Verschwendung zu Ehren der Toten

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REUTERS/Akintunde Akinleye
In Südnigeria wird erwartet, dass Familien aufwendige Begräbnis­feiern ausrichten – hier eine Bestattung in Lagos im Mai 2013.
Südnigeria
Im christlichen Süden Nigerias können Bestattungsfeiern tagelang dauern und Familien in Schulden stürzen. Die Kritik daran wird lauter, auch in den Kirchen, doch Verfechter der Tradition kümmert das wenig.

Der nigerianische Geschäftsmann, der als Obi Cubana bekannt ist, hatte es nicht eilig, seine Mutter zu beerdigen. Sie war im Dezember 2020 gestorben, und der Körper der Toten lag etwa sieben Monate im Leichenhaus, während der Sohn mit den Vorbereitungen für eine angemessene Bestattung beschäftigt war. Sie fand schließlich im Juli 2021 statt und war ein grandioser Karneval. Tausende Menschen strömten in Cubanas Heimatstadt Oba im Bundesstaat Anambra (Südost-Nigeria), um daran teilzunehmen. Alle, die in der Gesellschaft Rang und Namen haben, fanden sich ein – darunter Politiker, hochkarätige Unternehmer, Pop- und Filmstars, populäre Fußballer. 

Mehr als 250 Kühe und Dutzende von Ziegen und Schafböcken wurden für die Zeremonie geschlachtet. Lastwagen karrten Bier und Wein im Überfluss heran. Die Gäste bekamen luxuriöse französische Alkoholika serviert, von denen die Flasche Tausende Euro kostet. Es war auch eine Gelegenheit, Reichtum zur Schau zu stellen: Viele Gäste kamen mit Taschen voller Geld und warfen Scheine in die Luft, um sie herabregnen zu lassen; einige schleuderten ganze Bündel Banknoten hoch. 

Wie prominente Gäste bei der Beerdigung seiner Mutter mit Geld um sich warfen, hat Obi Cubana selbst auf Instagram dokumentiert: in diesem Post.

Diese Beisetzungsfeier ist als eine der größten Partys der letzten Zeit bezeichnet worden. Cubana selbst nennt sie stolz „die Mutter aller Beerdigungen“ – so prunkvoll gestaltet, dass die Lebenden die Toten beneidet und sich gewünscht hätten zu sterben. Der goldene Sarg für seine Mutter hatte einen Wert von etwa 64.000 Euro. Wie viel die pompöse Beerdigung genau gekostet hat, ist unklar, laut Schätzungen waren es bis zu einer Million Euro. Rund 630.000 Euro haben Cubanas Freunde, Kollegen und Geschäftspartner sowie Prominente gespendet. 

Eine Woche lang Fleisch für ganz Ijebu-Igbo

Das ist ein Beispiel, wie manche Nigerianer, vor allem im südlichen Teil des Landes, die Toten feiern. Als der Geschäftsmann Mike Adenuga seine Mutter beerdigte, dauerten die Feiern in seiner Heimatstadt Ijebu-Igbo im Südwesten Nigerias sieben Tage. In der Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern gab es für jeden Haushalt reichlich Essen und Getränke. „Alle Straßen in Ijebu-Igbo bekamen Kühe geschenkt. Jede Straße hatte eine Kuh, eine ganze Woche lang gab es überall Fleisch, wo auch immer man hinkam“, erzählte Oba Olaseni Oladejo, ein Einwohner der Stadt.

Cubana gehört zur Volksgruppe der Ibo, Adenuga zu den Yoruba. Die Yorubas und die Ibos sind die beiden größten ethnischen Gruppen im überwiegend christlichen Süden Nigerias. Beide sind für ihre extravaganten Beerdigungen bekannt. 

Autor

Sam Olukoya

ist freier Journalist im nigerianischen Lagos.
Obschon sie überwiegend Christen sind, sehen viele im Süden Nigerias den Tod nicht als Ende des Lebens an, sondern als Übergang in eine andere Welt. Sie glauben, dass Tote, die ohne die richtigen Riten begraben werden, im Jenseits nicht akzeptiert werden. Manche fürchten auch, dass die Verstorbenen nicht in Frieden ruhen, wenn ihr Tod nicht groß gefeiert wurde. In einigen Teilen Südnigerias ist es üblich, dass Familien mehrere Jahre nach der ersten Beerdigung eine zweite abhalten, wenn sie das Gefühl haben, die erste sei nicht aufsehenerregend genug gewesen. 

Jeremiah Whesus Familie zum Beispiel hat die Mutter aufwendig beerdigt. Er begründet das mit der Angst vor den Auswirkungen, die eine bescheidene Beerdigung haben könnte. „Wenn Menschen ihren Eltern kein angemessenes Begräbnis zuteilwerden lassen, werden ihnen nach einiger Zeit viele schlimme Dinge widerfahren“, sagte er. Er habe oft erlebt, dass Familien, die ihre Toten nicht mit dem gebührenden Aufwand begraben hatten, von Tragödien und Unfällen heimgesucht wurden. 

Schlichte Trauerfeiern schaden dem Ansehen

Kostspielige Bestattungen im Süden Nigerias werden auch aus Prestigegründen organisiert. Wenn Familien schlichte Trauerfeiern in kleinerem Rahmen abhalten, verlieren sie an Ansehen, weil sie dann als arm gelten. Familien wetteifern um die Beerdigung, die am meisten hermacht, um wohlhabender als andere zu wirken.

Solche kulturellen und sozialen Faktoren bewirken oft Druck auf Familien, das Geld für teure Beisetzungen um jeden Preis aufzubringen – auch wenn sie sich das gar nicht leisten können. Manche verkaufen wertvollen Besitz wie Grundstücke und Häuser oder verschulden sich, um die enormen Beerdigungskosten zu decken, die oft mehrere Tausend Euro betragen.

Das Geld wird häufig für teure Särge und kostspielige Geschenke für die Gäste ausgegeben. Teure Veranstaltungsorte werden gemietet und Bestatter, Caterer, Livebands, Komödianten und andere Unterhaltungskünstler engagiert. Fein gekleidete Sargträger, die zum Klang von Trommeln und Trompeten tanzen und dabei den Sarg auf den Schultern balancieren, sind eine große Attraktion bei Beerdigungen im Süden Nigerias. Befürworter bescheidener Beerdigungen finden, die fröhliche Atmosphäre, die Trommler, Trompeter und tanzenden Sargträger stünden im Gegensatz zu der ernsten Stimmung, die man bei einem solchen Anlass erwartet.

Die Last hoher Beerdigungskosten

Während die Familien Geld für eine aufwendige Bestattung zusammentragen, liegen Leichen oft monatelang, manchmal jahrelang in der Leichenhalle. Joseph Babalolas Familie hat die Beisetzung seiner Großeltern aus diesem Grund hinausgezögert. „Wir mussten ein preisgünstiges Leichenhaus finden, um nicht zu viel für die Konservierung des Leichnams auszugeben, während wir Geld für die Beerdigung auftrieben“, sagte er.

Eine aufwendige Beerdigung zu finanzieren, kann für viele Familien sehr schwer sein. Familienmitgliedern werden dafür Abgaben auferlegt, unabhängig davon, ob sie sich die leisten können oder nicht. „Es ist bis heute schwierig, weil ich mir überall Geld leihen musste. Wir sind eine arme Familie“, sagt Jeremiah Whesu. 

Babalola bemerkt, dass sich die nigerianische Gesellschaft mehr dafür interessiert, wie ein Mensch beerdigt wird, als wie er gelebt hat. „Bevor sie starb, hat sich meine Großmutter oft über mangelnde Pflege beklagt, aber nach ihrem Tod wurde viel Geld für ihre Beerdigung ausgegeben“, erinnert er sich. Aus seiner Sicht ist es in Nigeria teurer zu sterben, als zu leben. 

Die hohen Beerdigungskosten sind in Nigeria zu einem Streitthema geworden. Kritiker sagen, dass sie enorme finanzielle Folgen für die Hinterbliebenen haben und diese in Schulden stürzen, zumal in einem Land, in dem etwa die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt. Der Filmemacher Victor Okhai sieht in den nigerianischen Beerdigungsriten schädliche traditionelle Praktiken, die die Menschen ärmer machen. 

Das Geld sinnvoller einsetzen?

Einige Nigerianer haben Leute wie Cubana dafür kritisiert, dass sie verschwenderische Beerdigungen veranstalten. Die Musikerin Onyeka Onwenu hält solche Feiern in einer Zeit, in der Nigeria unter weit verbreiteter Armut leidet, für unsensibel. „Reichtum wird rücksichtslos zur Schau gestellt in einer Gesellschaft, in der der Hunger in vielen Haushalten ein guter Bekannter ist, die Armut ein unnachgiebiges Monster und die Jugendarbeitslosigkeit legendär; das muss schlechte Gefühle schüren, die zu schlechten Handlungen führen können“, meint sie. „Wenn meine Freunde mich feiern wollen, sollten sie das tun, solange ich noch lebe, damit ich mich mit ihnen freuen kann – nicht wenn ich dahingeschieden bin und nichts davon mitbekomme“, sagt sie.

Manche sagen, die riesigen Summen, die für Beerdigungen ausgegeben werden, könnten sinnvoller eingesetzt werden. Nach Ansicht des Zeitungskolumnisten Reuben Abati hätte man mit dem Geld, das Cubana für die pompöse Bestattung seiner Mutter aufgewendet hat, ein Krankenhaus oder eine Schule zu ihrem Gedenken bauen können. „Dann würden sich die Menschen an sie erinnern und nicht daran, wie ihr Sohn und seine Freunde bei ihrer Beerdigung das Geld zum Fenster hinausgeworfen haben“, sagt er. 

Doch andere halten teure Beerdigungen, besonders für geliebte Menschen wie Eltern, für erforderlich. Cubana sagt, seine Familie hatte ursprünglich vor, für seine Mutter zu ihrem 80. Geburtstag den besten Karneval der Welt zu veranstalten. Aber weil sie vorher starb, habe die Familie sie mit einem angemessenen Begräbnis entschädigen müssen. „Wir beschlossen, die Planungen und die Energie, die wir für ihren 80. Geburtstag reserviert hatten, in ihre Beerdigung zu stecken.“ Er fügt hinzu, dass er sie ehren musste, weil sie ihm nach dem Tod seines Vaters für ihn die Mutter- und Vaterrolle übernommen hatte. 

Jeremiah Whesu teilt diese Ansicht: „Du musst eine aufwendige Beerdigung veranstalten, um deine Eltern dafür zu ehren, dass sie dich geboren, deine Ausbildung finanziert und für dich gesorgt haben, als du noch jung warst.“ Wenn die Kinder ein angemessenes Begräbnis ausrichten, beten die Eltern im Grab für sie, sagt er.

Im muslimischen Norden kein Prunk bei Bestattungen

Trotz der Covid-19-Pandemie nehmen im Süden Nigerias weiter große Menschenmengen an Beerdigungen teil, ohne sich an die Gesundheitsvorschriften zu halten. Nur während des Lockdowns im Jahr 2020 war die Personenzahl streng begrenzt. In Nigeria sind seit März 2020 mehrmals harte Einschränkungen des öffentlichen Lebens verfügt und wieder gelockert worden, abhängig vom Landesteil oder speziell für große Städte. Vorschriften, die die Zahl der Teilnehmenden an öffentlichen Veranstaltungen begrenzen, sind weiter in Kraft, aber große Beerdigungen gab und gibt es nach wie vor.

Anders als im christlich geprägten Süden Nigerias sind im überwiegend muslimischen Norden die Beerdigungszeremonien in der Regel sehr einfach und folgen strengen islamischen Geboten. Bei Begräbnissen wird hauptsächlich gebetet, der Leichnam ist in ein einfaches Tuch gehüllt. Anders als im Süden, wo Bestattungen erst nach mehreren Monaten stattfinden, wird ein Mensch im Norden in der Regel innerhalb von 24 Stunden nach seinem Tod beerdigt. 

Der Pastor einer Pfingstkirche, Reno Omokri, sagt, der christliche Süden solle sich das zum Vorbild nehmen. Besonders beeindruckt ihn, dass Begräbnisse sich nicht nach dem sozialen Status des Verstorbenen richten. „Wir sind bei der Geburt und beim Tod alle gleich, das anzuerkennen ist ein Weg, Gott zu ehren“, sagte Omokri. „Wir sollten unsere Mittel nutzen, um Menschen zu helfen, die noch leben.“ 

Auch Gesetze helfen nicht wirklich

Die katholische und die anglikanische Kirche im Süden Nigerias erklären, dass die teuren Beerdigungen nicht unbedingt christliche Werte widerspiegeln. Im Bundesstaat Anambra hat die Kirche die Verabschiedung eines Gesetzes zur Regelung der Beerdigungskosten unterstützt. Das Gesetz schreibt vor, dass Tote innerhalb von zwei Monaten beerdigt werden müssen. Es ist seit Juni 2020 in Kraft, wird aber nicht streng durchgesetzt.

Die einen halten das Gesetz für notwendig, um ein gewisses Maß an Bescheidenheit bei Beerdigungen wiederherzustellen. Für andere, besonders Traditionalisten, sollten Familien das Recht haben, ihre Toten so zu bestatten, wie sie es wünschen. Beisetzungen staatlich zu regeln, steht für sie auch im Widerspruch zu lokalen Bräuchen. 

Cubana hat die aufwendige Beerdigung seiner Mutter im Bundesstaat Anambra ein Jahr nach Verabschiedung dieses Gesetzes abgehalten, sie war also illegal. Für viele deutet das darauf hin, dass man selbst mit Gesetzen teure Bestattungsfeierlichkeiten im Süden Nigerias nur schwer regulieren kann. Denn weil mächtige Leute solche Beerdigungen entweder organisieren oder daran teilnehmen, ist das Gesetz nur schwer durchzusetzen.

Aus dem Englischen von Anja Ruf.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2022: Tod und Trauer
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