„Wir wählen nach dem Grad der Gefährdung aus“ 

Fünf Fragen
Bedrohten Menschenrechtsaktivisten muss eine Auszeit ermöglicht werden, erklärt Martina Bäurle von der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.

Martina Bäurle ist Geschäftsführerin der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.
Wer sind momentan Ihre Gäste?
Derzeit ist die Fotojournalistin Tatsiana Tkachova aus Belarus bei uns, der kurdische Archäologe Heval Bozbay und die Fotojournalistin Masrat Zahra aus Kaschmir. Ihnen bieten wir ein Jahr lang die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen - spazieren zu gehen, ohne sich ständig nach Verfolgern umdrehen zu müssen oder sich im Café zu unterhalten ohne Angst, abgehört zu werden. Gleichzeitig berichten sie in Deutschland von ihrer Arbeit und den Entwicklungen in ihren Heimatländern. 

Wie wählen Sie aus, wer ein Stipendium erhält?
Jedes Jahr erhalten wir zwischen 60 und 100 Vorschläge, v.a. von Organisationen wie Reporter ohne Grenzen oder Amnesty International. Dann wählen wir nach dem Grad der Gefährdung aus. Es muss aber klar sein, dass die Stipendiaten danach wieder in ihre Heimat zurückgehen. Wir sind keine Flüchtlingshilfsorganisation; uns geht es darum, bedrohten Menschenrechtsaktivisten eine Auszeit zu ermöglichen. Die allermeisten unserer Stipendiaten wollen auch zurück, sie sagen: „Da werde ich gebraucht, da gehöre ich hin.“ 

Wie kamen Sie persönlich zu dieser Aufgabe?
Ich habe mich in der Chile-Solidaritätsbewegung engagiert, da war ich Mitte 20. Ich habe als Hispanistikstudentin Folterzeugnisse von Menschen übersetzt, die unter der Pinochet-Diktatur gelebt haben. Ich bin stundenlang um die Alster gegangen, um die Bilder loszuwerden. Über den Pastor Helmut Frenz aus der Chile-Bewegung kam ich 1991 zur Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte – und bin geblieben. 

Welche Begegnung ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? 
Ellen Tordesillas von den Philippinen ist in Hamburg jeden Morgen um vier Uhr aufgestanden, um mit ihrem Redaktionsteam in der Heimat eine Konferenz abhalten zu können. Aber auch die Begegnung mit Sihem Bensedrine aus Tunesien, eine unserer ersten Stipendiatinnen, habe ich noch in besonders guter Erinnerung. Ich bewundere all diese Menschen für ihren Mut. 

Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit?
Es ist toll, in Kontakt zu bleiben und dann beispielsweise zu erfahren, dass ein ehemaliger Stipendiat im Friedensprozess in Kolumbien zwischen der Regierung und den Rebellen vermittelt hat. Aber ich freue mich genauso, miterleben zu dürfen, wie sich Menschen, die völlig erschöpft und ausgebrannt bei uns ankommen, nach und nach entspannen, etwa bei Hafenrundfahrten, Fahrradtouren oder Schwimmkursen, und völlig neue Energie tanken. 

Das Gespräch führte Elisa Rheinheimer.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2022: Tod und Trauer
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