Streit über den Grünen Knopf 2.0

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Saswata Majumder/pacific press/picture alliance
Baumwollspinnerei in Kolkata in Indien. Neuerdings müssen Unternehmen auch diesen Produktionsabschnitt prüfen, wenn sie den Grünen Knopf wollen.
Textilsiegel
Das Siegel des Bundesentwicklungsministeriums für nachhaltige Produktion in der Textilindustrie, der Grüne Knopf, ist überarbeitet worden. Einige Anforderungen an Unternehmen sind jetzt strenger; Kritikerinnen finden sie dennoch zu lasch. 

Der Grüne Knopf geht in eine neue Runde: Die Standards dieses Textilsiegels, das vom Bundesentwicklungsministerium (BMZ) 2019 eingeführt wurde, sind strenger gefasst worden. Das Siegel soll Verbraucherinnen und Verbrauchern erleichtern, gezielt Kleidung oder etwa Bettwäsche zu kaufen, die umweltverträglich und ohne Verstöße gegen Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter hergestellt worden sind.

Solche Verstöße sind in der Textilbranche häufig. Denn sie ist arbeitsintensiv und für arme Länder eine Art Einstiegsindustrie. Nicht selten findet man in Schneidereien Hungerlöhne, überlange Arbeitszeiten und gefährliche oder an Sklaverei grenzende Arbeitsbedingungen. Andere Teile der Lieferkette wie Färbereien setzen gefährliche Chemikalien unverantwortlich ein (vgl. „welt-sichten“ 2/2022), im Baumwollanbau findet man Kinderarbeit, Gewerkschaften sind nirgends wohlgelitten.

Ein Ansatz gegen diese Missstände setzt auf Verbraucherinnen und Verbraucher. Das Kalkül lautet: Wenn Kunden nachhaltige Produkte bevorzugen, haben die Firmen Anreize, für verantwortliche Herstellung zu sorgen – auch bei ihren Zulieferern im globalen Süden, wo der größte Teil der Textilproduktion stattfindet. Damit man nachhaltige Produkte wählen kann, müssen die aber klar gekennzeichnet sein. Produktsiegel dafür gibt es für Textilien im Überfluss, und die zugrundeliegenden Standards und die Prüfverfahren sind sehr unterschiedlich.

„Siegelklarheit“ für Produktsiegel

Hier mehr Klarheit zu schaffen, ist ein Ziel des Grünen Knopfs. Er knüpft damit an die Initiative „Siegelklarheit“ des BMZ von 2015 an, erläutert Sebastian Herold, der stellvertretende Leiter des für Textillieferketten zuständigen Referats im Ministerium. Der Grüne Knopf zeigt nun direkt an der Ware, welche Produktsiegel – zurzeit sind es elf – aus Sicht des BMZ ausreichend verlässlich sind. Er ist insofern ein Meta-Siegel: Mit „guten“ Siegeln zertifizierte Textilien können das BMZ-Siegel erhalten.

Ziel des Siegels: nachhaltige Textilien aus der Nische holen.

Doch dafür gibt es eine zweite Bedingung: Firmen, die solche Textilien vertreiben, müssen zusätzlich Sorgfaltspflichten für das gesamte Unternehmen erfüllen. „Es darf nicht reichen, nur eine spezielle grüne Produktlinie anzubieten“, sagt Herold. „Das ganze Unternehmen muss sich auf den Weg zu Nachhaltigkeit machen.“ Die Grundsätze dafür sind dieselben, die auch dem 2021 verabschiedeten Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz zugrunde liegen: Firmen sollen analysieren, wo in ihrer Lieferkette Risiken für Missstände sind, und mit ihren Zulieferern Schritte dagegen planen; sie sollen darüber transparent berichten; und sie sollen Beschwerdemechanismen für Mitarbeitende schaffen. Dafür hat der Grüne Knopf 2019 konkrete Standards festgesetzt, auf die ganze Firmen sich verpflichten müssen, wenn einzelne ihrer Produkte das Siegel tragen.

Diesen Doppelansatz – Standards für Produkte plus Anforderungen an Unternehmen – findet Gisela Burckhardt richtig. Zweifel hat die Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsorganisation FEMNET aber daran, wie verlässlich die vom „Grünen Knopf“ anerkannten Siegel, insbesondere deren Sozialstandards, von deren Trägern kontrolliert werden. Denn sie beruhten auf einmaligen Prüfungen; die hätten seit über zwanzig Jahren die Arbeitsbedingungen nicht verbessert. Und die ursprünglichen Standards für die Sorgfaltspflichten fand FEMNET, die sich besonders für bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie einsetzt, wie andere Kritikerinnen viel zu lasch.

Der Grüne Knopf – nicht frei von Mängeln

Burckhardt bemängelt erstens, dass die Sorgfaltspflichten beim Grünen Knopf zunächst nicht für die ganze Produktionskette galten, sondern nur für Nassprozesse und Konfektion, also Färben und Bleichen sowie Zuschneiden und Nähen. Die Bedingungen in Webereien, Spinnereien oder beim Anbau von Baumwolle mussten gesiegelte Unternehmen nicht kümmern. Zweitens sollten die Firmen zwar darauf achten, dass ihre Zulieferer die lokalen Mindestlöhne zahlten. Die aber sind nicht existenzsichernd, sagt Burckhardt, davon kann eine Familie nicht leben: „Existenzsichernde Löhne sind in den meisten Ländern drei bis vier Mal höher als der Mindestlohn. Deshalb machen die beschäftigten Frauen so viele Überstunden.“

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".
Zudem hat FEMNET 2020 zusammen mit der Schweizer Organisation Public Eye geprüft, ob die Firmen ihren Berichtspflichten zu Risiken in ihren Lieferketten nachkommen. Ergebnis: Ein großer Teil benannte Risiken nur sehr allgemein und ließ offen, was das Unternehmen für Abhilfe tat. Geschlechtsspezifische Gewalt und Repression von Gewerkschaften hatten die meisten kaum im Blick.

Höhere Standards als zuvor

Die Kritik ist bei der Überarbeitung, die bis September 2022 lief, berücksichtigt worden, sagt Herold: Unter dem neuen „Grünen Knopf 2.0“ sind die Standards sowohl für die anerkannten Produktsiegel als auch für die Sorgfaltspflichten höher als zuvor. Standards für andere Siegel wurden dabei laut Herold weniger stark verändert, weil man das deren Trägern nicht einfach vorschreiben kann. Das BMZ habe aber Änderungswünsche entwickelt, die bis August 2023 erfüllt sein müssen. Dann könne es sein, dass nicht alle elf anerkannten Siegel weiter vom Grünen Knopf zugelassen sind.

Die Baumwollernte – hier nahe Kairo in Ägypten – ist das erste Glied in der Lieferkette von Textilien.

Bemerkenswert sind Verschärfungen der Sorgfaltspflichten. Erstens müssen die Unternehmen laut den neuen Standards Risiken für die gesamte Lieferkette abschätzen, nicht mehr nur für Nassprozesse und Konfektion. Zweitens sollen sie jetzt existenzsichernde Löhne „fördern“: Das heißt, sie sollen die Lohnlücke ermitteln und Schritte planen, sie zu verkleinern – allerdings nur für die Beschäftigten in der Konfektion und nur für Länder oder Zulieferer mit hohem Risiko.

Drittens gibt es jetzt zahlreiche Regeln für textile Rohstoffe. So darf Baumwolle nur aus nachhaltiger Landwirtschaft stammen – erzeugt ohne Zwangs- und Kinderarbeit und mit nur begrenztem Pestizideinsatz. Viele Arten der Synthetikfasern sind nur bedingt erlaubt oder nur, wenn sie überwiegend aus Recycling stammen. 

Keine echten Lohnerhöhungen

Das sind auch für Gisela Burckhardt deutliche Verbesserungen. Besonders bei existenzsichernden Löhnen findet sie die Änderungen aber unzureichend. „Es ist jetzt vorgeschrieben, die Lohnlücke zu analysieren und eine Strategie dagegen zu haben, aber das ist auf die Konfektion beschränkt.“ Echte Lohnerhöhungen würden nicht verlangt – weder in der Konfektion noch in der restlichen Lieferkette.

„Wenn wir die Zahlung existenzsichernder Löhne sofort und flächendeckend fordern würden, wäre unser Siegel aus dem Markt“, entgegnet Herold. „Das ist so komplex, dass kein Unternehmen dieses Ziel in kurzer Zeit erreichen könnte.“ Zum Ansatz des Grünen Knopfes gehöre, nachhaltige Textilien aus der Nische zu holen, also den Marktanteil glaubwürdig gesiegelter Ware auszuweiten. Dazu müsse man schrittweise vorgehen und müsse ausloten, was ambitionierte Unternehmen leisten können. „Auch mit dem Grünen Knopf 2.0 decken wir nicht alles ab, was man aus unserer Sicht abdecken sollte“, sagt Herold. 

Gelingt also die Marktausweitung? Herold verbucht als Erfolg, dass die Beteiligung am Grünen Knopf und dessen Bekanntheit wachsen. „93 Unternehmen sind jetzt zertifiziert. Der Grüne Knopf ist laut einer jährlichen Umfrage das viert bekannteste Siegel im deutschen Textilmarkt“, sagt er. Öffentliche Einrichtungen wie Bahn und Feuerwehr ordern Dienstkleidung mit dem Grünen Knopf.

Die großen Textilunternehmen fehlen

An der Liste der beteiligten Firmen fällt aber auf: Viele sind klein oder mittelgroß, darunter auf ökologische Textilien oder Outdoor-Bekleidung spezialisierte wie hess natur und Vaude. Auch die großen Discounter Lidl, Aldi, Rewe und Tchibo sind dabei; bei ihnen machen Textilien einen kleinen Teil des Angebots aus. Es fehlen aber die großen Textilunternehmen H&M, Peek und Cloppenburg sowie die Otto-Gruppe. H&M begründet das auf Anfrage damit, dass man sich für Nachhaltigkeit einsetze, aber wo immer möglich auf internationale oder europaweite Standards setze. Ein Siegel, das im Wesentlichen auf den deutschsprachigen Raum beschränkt ist, ist für große, international tätige Textilunternehmen offenbar wenig reizvoll.

Zudem stellen Produkte mit dem Grünen Knopf bei den beteiligten Firmen nur einen mehr oder weniger kleinen Teil des Angebots – mit wenigen Ausnahmen wie Vaude, das den Anteil mit 90 Prozent angibt. Die Rücksicht auf den Markt findet Burckhardt denn auch fragwürdig. Sie bezweifelt, dass Siegel für spezielle, nachhaltige Produkte das Verhalten von Firmen insgesamt verändern. Der Einsatz für nachhaltige Lieferketten solle nicht freiwillig, sondern allen Firmen vorgeschrieben sein.

Macht das Lieferkettengesetz den Grünen Knopf überflüssig?

Das genau ist das Ziel des deutschen Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetzes (LKSG) – es wurde Mitte 2021 verabschiedet und tritt 2023 in Kraft. Verantwortung für die gesamte Lieferkette ist dann vorgeschrieben. Bringt der Grüne Knopf dann noch einen Zusatznutzen? 

Ja, sagt Herold. Erstens gilt das LKSG nur für Firmen mit über 3000 Beschäftigten, ab 2024 dann ab 1000 Beschäftigten; am Grünen Knopf beteiligen sich auch kleinere. Zweitens gehe der Grüne Knopf 2.0 mit den Anforderungen an existenzsichernde Löhne über den Anspruch dieses Gesetzes hinaus. Drittens kann laut Herold das BMZ mittels des Grünen Knopfes die Nachhaltigkeitsanforderungen an die Textilindustrie schrittweise weiter erhöhen. 

Der Grüne Knopf ist also auch ein Instrument, mit dem das BMZ im Gerangel der politischen Interessen den Einsatz für strenge Unternehmenspflichten stärken will – wohl auch innerhalb der Bundesregierung. In der Tat dürften freiwillige Siegel plus Kampagnen für faire Lieferketten dazu beigetragen haben, dass das LKSG beschlossen wurde und heute viele Unternehmen solche Gesetze akzeptieren.

www.gruener-knopf.de
www.siegelklarheit.de
https://femnet.de/

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erschienen in Ausgabe 12 / 2022: Schlaue Maschinen
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