Jubel und Sorgen nach Einigung auf EU-Lieferkettengesetz

Artur Widak/NurPhoto via Getty Images
Aktivistinnen und Aktivisten protestieren im Mai 2023 vor dem Europäischen Parlament in Brüssel für ein starkes EU-Lieferkettengesetz, das europäische Unternehmen dazu verpflichtet, in ihren Geschäften auf die Menschenrechte zu achten.
Österreich
Auf die politische Einigung auf ein EU-Lieferkettengesetz reagiert Österreichs Wirtschaft bisher skeptisch. Zivilgesellschaftliche Initiativen hingegen feiern den Erfolg.

In Brüssel haben sich Unterhändlerinnen und Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten Mitte Dezember auf ein Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) geeinigt. Der Entwurf muss noch vom EU-Parlament und dem Rat abgesegnet werden, was aber nach der Einigung auf politischer Ebene nur als Formsache gilt.

Die Richtlinie nimmt Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Jahresumsatz in die Pflicht. Sie gilt außerdem für kleinere Unternehmen aus den Bereichen Textil, Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und mineralische Rohstoffe. Die erfassten Firmen sind nun verantwortlich dafür, dass es entlang ihrer Lieferketten zu keinen Menschenrechtsverstößen kommt und ihr Geschäft im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen ist. Die Richtlinie gilt auch für Firmen, die ihren Sitz nicht in der EU haben, , wenn sie drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie einen Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro in der EU erwirtschaften.

„Vor fünf Jahren hätte sich noch niemand von uns in Österreich gedacht, dass so ein Gesetz kommt“, sagt Bettina Rosenberger, Geschäftsführerin des Netzwerks Soziale Verantwortung, das sich seit Jahren für ein Lieferkettengesetz eingesetzt hat. Im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich konnte sich Österreich bisher nicht zu einem nationalen Gesetz durchringen. Dabei haben Mitte Oktober 70 Unternehmen in einem offenen Brief an die österreichische Bundesregierung appelliert, sich für ein strenges Lieferkettengesetz auf EU-Ebene stark zu machen, darunter Unternehmen wie IKEA Österreich, der Mineralwasserabfüller Vöslauer, die Oekostrom AG sowie die VBV-Vorsorgekasse.

Vor einem Jahr hat sich der Wirtschaftsminister noch enthalten

Aus dem Wirtschaftsministerium kommen nach der politischen Einigung auf EU-Ebene hingegen verhaltene Töne. Der „nationale Umsetzungsbedarf“ müsse nun geprüft werden, schreibt eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) auf Anfrage. Noch vor einem Jahr hatte sich Wirtschaftsminister Kocher bei der Abstimmung in Brüssel enthalten, da es laut Ministerium innerhalb der Regierung keine Einigung über die österreichische Positionierung gab. Strittig waren in der Koalition aus ÖVP und den Grünen die Definition der Lieferkette sowie die Einbindung von Finanzdienstleistern in die Richtlinie. Der Finanzsektor ist nun vorerst ausgenommen, was jedoch nach erneuten Verhandlungen später geändert werden kann.

„Die österreichische Wirtschaft bekennt sich zu nachhaltigem, verantwortungsvollem und zukunftsfähigem Wirtschaften und unterstützt die Intentionen der Initiative, den internationalen Menschenrechts- und Umweltschutz durch einen kohärenten Rechtsrahmen zu verbessern“, heißt es aus der Österreichischen Wirtschaftskammer (WKÖ). Zugleich dürfe laut WKÖ daraus kein Bumerang für Europa als Wirtschaftsstandort werden: Auf die betroffenen Unternehmen drohe eine „bürokratische Lawine“ zuzurollen, sagte Georg Knill, der Chef der Industriellen Vereinigung.

Auf die Frage, wie viele österreichische Unternehmen von der Richtlinie erfasst werden, antwortet die Wirtschaftskammer Österreich, man müsse die endgültigen Definitionen der CSDDD abwarten. Die Tageszeitung „Der Standard“ berichtete Ende November von rund 600 betroffenen Unternehmen.

"Nicht jeder Kugelschreiber muss nachverfolgt werden"

Johannes Jäger, Volkswirtschaftsprofessor an der Fachhochschule des BFI Wien, entgegnet der Kritik des Mehraufwands: „Die Unternehmen müssen überlegen, wo potenziell große Probleme in der Lieferkette auftreten können. Das heißt aber nicht, dass sie im Detail jeden Kugelschreiber nachverfolgen müssen“. Jäger hat mit seinem Kollegen Gonzalo Durán von der Universidade de Chile im Auftrag der Arbeiterkammer, der gesetzlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer, die möglichen Auswirkungen eines Lieferkettengesetzes auf Europa und den globalen Süden untersucht.

Die Europäische Kommission habe die administrativen Kosten für große Unternehmen auf lediglich etwa 0,001 Prozent des Umsatzes geschätzt, berichtet der Wirtschaftsprofessor. Zudem sei es für Unternehmen sinnvoll, ihre Lieferbeziehungen genau zu kennen. Viele Unternehmen würden auch heute schon im Sinne einer Qualitätssicherung ihre Lieferkette überprüfen. „Zusätzlich einen genauen Blick auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards zu werfen, halte ich für unerlässlich“, so Jäger.

Der globale Süden werde davon profitieren, denn die Einhaltung der Menschenrechte umfasse etwa Versammlungsfreiheit und das Recht auf Bildung von Gewerkschaften. Das stärke die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Gleichzeitig verhindere es Lohndumping, da auch Unternehmen, die außerhalb der EU sitzen, in die Pflicht genommen werden.

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