Grenzschutz mit Drohnen und Datenkraken

Nicolas Economou/NurPhoto 
Griechische Beamte überwachen 2021 in Nea Vyssa die Grenze zur Türkei in der Region Evros per Kamera­system. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex unterstützt die ­griechische Grenzpolizei mit ­Drohnen, Radartürmen, Wärmesensoren, Zäunen und Kontrollräumen.
Festung Europa
Sogenannte irreguläre Migranten und Flüchtlinge werden in Europa längst als Sicherheitsproblem wahrgenommen. Entsprechend rüstet die Europäische Union an ihren Außengrenzen auf, um sie fernzuhalten.

Hinweis: Dieser Text stammt aus dem Heft "Krieg ohne Ende?", das Anfang Februar 2024 erschienen ist. Er wurde vor dem Beschluss des EU-Parlaments über die Asylreform geschrieben. 

Europa ist von stacheldrahtbewehrten Zäunen umgeben, an denen Grenzbeamte mit Wärmebildkameras, Herzschlagdetektoren, Gewehren und Schlagstöcken patrouillieren, unterstützt von Drohnen, Hubschraubern und Flugzeugen. Wer nach Europa einreisen will, muss Fingerabdrücke und sein Foto hinterlassen, die in einer riesigen biometrischen Datenbank gespeichert werden. Diese technische Aufrüstung wird mit reichlich fließenden Steuermitteln weiter vorangetrieben. 

Drei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gibt es an Europas Grenzen mehr befestigte Sperranlagen als je zuvor; teils wird die Grenzsicherung auch tief im europäischen Binnenland, teils weit draußen im außereuropäischen Ausland betrieben. Diese Situation ist das Ergebnis langfristiger Bestrebungen aus Politik und Wirtschaft, die Überwachung und Kontrollen an den Grenzen zu verschärfen.

Was das für die Menschen, die in die EU wollen, bedeutet, hängt davon ab, ob sie zu der Mehrheit derer gehören, die regulär mit den erforderlichen Papieren und Genehmigungen einreisen, oder ob solche Papiere für sie unerreichbar sind und sie daher einen „irregulären“ Grenzübertritt versuchen. Wer offiziell einreist, muss immer mehr persönliche Daten preisgeben. Die zunehmende Automatisierung an den Grenzen stützt sich auf die Erfassung sensibler personenbezogener Daten und den Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz, mit deren Hilfe festgestellt werden soll, ob von einer Person eine Bedrohung ausgeht oder nicht.

Der Versuch einzureisen, wird immer gefährlicher

Wer keine Erlaubnis hat, in die EU einzureisen – also fast alle Flüchtlinge mit der bemerkenswerten Ausnahme derer, die einen ukrainischen Pass besitzen –, ist mit Technologien, Personal und Maßnahmen konfrontiert, die darauf abzielen, diese Reise so gut wie unmöglich und damit zugleich immer gefährlicher zu machen. Das Bestreben, Menschen in Not um jeden Preis fernzuhalten, führt dazu, dass sie zunehmend auf Schleuser zurückgreifen – mit fatalen Folgen. Jedes Jahr sterben Tausende an den europäischen Außengrenzen, Familien werden auseinandergerissen, viele bezahlen ihren Einreiseversuch und die anschließende eventuelle Internierung oder Abschiebehaft und soziale Ausgrenzung mit schweren körperlichen und psychischen Schäden. Dennoch halten politische Parteien jeglicher Couleur an dieser harten und unheilvollen Praxis fest, die durch das von der EU derzeit vorangetriebene neue Migrations- und Asylpaket noch verschärft werden wird.

Diese Migranten hat Libyens Grenzschutz im Mai 2022 auf dem Meer festgenommen. Ihnen drohen Misshandlung und Abschiebung.

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex mit Sitz in Warschau wurde 2004 zur technischen Koordination zwischen den Grenzschutzbehörden der EU-Mitgliedstaaten gegründet. Seither hat sich ihr Aufgabenbereich ständig erweitert. Insbesondere nach der sogenannten Migrationskrise von 2015 und 2016 wurden die Befugnisse der Agentur erheblich ausgeweitet. Die Agentur wuchs durch neue, 2016 erlassene Gesetze über ihre „Unterstützungsrolle“ hinaus und ist zu einem eigenständigen Akteur mit regulierenden, überwachenden und operativen Aufgaben geworden. 

Dazu gehört nun auch, die Abschiebung abgewiesener Flüchtlinge und Migranten zu koordinieren, die Analyse und der Austausch von Daten, die Grenzüberwachung sowie die Entwicklung neuer Technologien. Seit 2019 besitzt die Agentur noch weitergehende Befugnisse, die Abschiebungen sowie die Zusammenarbeit mit Drittstaaten und dortige Einsätze betreffen.

Die Uniformen, Schusswaffen und Schlagstöcke der Grenzschutzbeamten von Frontex sind ebenso militärischer Natur wie die sonstigen Instrumente ihrer Arbeit: Ihre Drohnen stammen aus israelischen Rüstungsbetrieben, ihre Fahrzeuge sind mit Radargeräten und Wärmebildkameras ausgestattet. Hinzu kommen Herzschlagdetektoren und CO2-Messgeräte, um in Fahrzeugen versteckte Personen aufzuspüren. Die Liste der Lobbyisten von Unternehmen wie Airbus, BAE Systems, Leonardo und Thales, die sich bei den Veranstaltungen von Frontex die Klinke in die Hand geben, liest sich wie ein Who is who der Rüstungsindustrie. Sämtliche Informationen, die Frontex in Überwachungs- und Feldoperationen gewinnt, werden mit Daten von EU-Behörden und Drittländern kombiniert und in das Europäische Grenzüberwachungssystem EUROSUR eingespeist. Es soll einen ständig aktuellen Überblick der Lage an den europäischen Grenzen und in deren Vorfeld ermöglichen.

Das EU-Grenzregime verschlingt viel Geld

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten finanzieren auch die Forschung und Entwicklung der eingesetzten Technologien. Von 2014 bis 2022 erhielten 49 Forschungsprojekte Unterstützung in Höhe von insgesamt fast 275 Millionen Euro für neue Grenztechnologien, darunter autonome Drohnenschwärme und KI-Systeme, die Daten von Drohnen, Satelliten, Kameras, Sensoren und anderen Quellen zum erklärten Zweck einer „Analyse der Bedrohungslage“ und zur „Aufdeckung illegaler Aktivitäten“ zusammenführen und auswerten sollen. Zu den Hauptempfängern dieser Fördermittel gehören neben großen Forschungseinrichtungen wie dem Fraunhofer-Institut auch Rüstungskonzerne wie Leonardo in Italien.

Autor

Yasha Maccanico

ist Politikwissenschaftler und arbeitet seit 1998 für die Organisation Statewatch in London, die zur Lage der Menschenrechte und der Demokratie in Europa forscht sowie Analysen und Informationen bereitstellt.

Dabei ist dies nur ein winziger Bruchteil der Mittel, die für die Stärkung des EU-Grenzregimes zur Verfügung gestellt werden. Eine Studie der Organisation Statewatch aus dem Jahr 2022 ergab, dass zwischen 2015 und 2020 fast acht Milliarden Euro für die EU-Grenzsicherung ausgegeben wurden, die zum größten Teil aus dem EU-Haushalt stammten. Insgesamt sind für die Jahre von 2021 bis 2027 für Asyl, Migration und Grenzkontrolle über 113 Milliarden Euro vorgesehen. Im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen von 2028 bis 2035 werden diese Mittel aller Voraussicht nach noch höher ausfallen.

Die Zusammenarbeit zwischen der EU, ihren Mitgliedsstaaten und Drittländern bei der Einwanderungskontrolle reicht von der Diplomatie über kurz- und langfristige Projekte sowie formelle Vereinbarungen bis hin zu operativen Einsätzen. Die Folgen sind häufig fatal. So haben die Mitgliedsstaaten beispielsweise in ihrem Bemühen, die Zahl der über das Mittelmeer flüchtenden Menschen zu verringern, ihre nationalen Einsätze zur Seenotrettung zurückgefahren, wie sie beispielsweise die Italiener mit der Operation Mare Nostrum organisiert hatten. Gleichzeitig wurde die Überwachung aus der Luft verstärkt, unter anderem mit den von Frontex betriebenen, in Israel hergestellten Drohnen. Versuche von Migranten, das Mittelmeer zu überqueren, werden nun häufig nur noch beobachtet, während die Aufgabe, sie abzufangen, an die Behörden von Ländern wie Libyen, Tunesien und Ägypten ausgelagert wird.

Technisch gestützte Überwachung an Drittstaaten-Grenzen

Dies ist Teil eines laufenden Plans mit dem offiziell erklärten Ziel, die Koordination der Such- und Rettungskapazitäten und die Grenzüberwachung an den See- und Landgrenzen dieser Länder zu stärken. Die Zusammenarbeit mit Tunesien umfasst die Umrüstung von Such- und Rettungsschiffen, die Lieferung von Fahrzeugen und Ausrüstung für die tunesische Küstenwache und Marine sowie umfangreiche Finanzhilfen. Das Abkommen mit Ägypten scheint ähnlich strukturiert zu sein, und der Küstenwache des Landes wurden bis 2023 fünf Schiffe zur Verfügung gestellt.

Frontex spielt auch eine Schlüsselrolle bei der Auslagerung des EU-Grenzregimes in Drittstaaten. Die Reform von 2016 hat Frontex-Einsätze in Anrainerstaaten der EU ermöglicht, die Reform von 2019 sogar Einsätze auf der ganzen Welt, sofern eine Vereinbarung mit dem betreffenden Staat besteht. Derzeit sind EU-Grenzschutzbeamte in Albanien, Montenegro, Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Nordmazedonien stationiert. Die Agentur bemüht sich um Abkommen mit Niger, Senegal und Marokko und hat Delegationen aus Tunesien und Ägypten empfangen, um die Zusammenarbeit zu intensivieren.

Im April 2023 patrouillieren griechische Grenzpolizisten vor dem Stahlzaun an der türkischen Grenze, der illegale Einreisen verhindern soll.

In einem kürzlich erschienenen Bericht zeigt die Organisation EuroMed Rights, wie die EU als neues Element der Externalisierungsstrategie EU-Mittel verwendet – einschließlich Entwicklungshilfe –, um die technisch gestützte Überwachung auszulagern. Ziel dieses neuen Elements der Externalisierungsstrategie ist, Migrationsbewegungen und die Bevölkerung in Drittstaaten zu kontrollieren. Die Mittel fließen in die Bereitstellung von Ausrüstung, Schulungen, die Finanzierung von Operationen, die Erleichterung von Exporten der Industrie und die Förderung von Überwachungsgesetzen.

Menschenrechte nur ungenügend berücksichtigt 

Der Bericht geht besonders auf die erweiterte Rolle von Frontex ein. Die Agentur betreibt in einer Reihe von afrikanischen Staaten auch ohne entsprechende Abkommen, welche die Einsätze auf fremdem Territorium erlauben, die Einrichtung sogenannter Risikoanalysezellen; diese sammeln Daten über Migrationsbewegungen und werten sie aus. Außerdem hat die EU Schulungen für Nachrichtendienste in Algerien, den Aufbau von Kapazitäten zum Umgang mit digitalem Beweismaterial in Ägypten, Initiativen für die Grenzkontrolle in Libyen und Überwachungstechnologie für Marokko finanziert. Die Europäische Bürgerbeauftragte monierte, dass bei dieser Art von Zusammenarbeit die Menschenrechte nur ungenügend berücksichtigt würden.

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten stellen zwar Mittel für die Anschaffung neuer Technologien oder den Bau neuer Grenzkontrollsysteme bereit, halten sich aber sehr bedeckt mit Informationen über die Unternehmen, die diese Aufträge erhalten. Drittländer außerhalb der EU verwenden die erhaltenen Mittel nach ihren eigenen, häufig im Vergleich mit EU-Ländern wenig transparenten Beschaffungsregeln. Wie eine im März 2023 veröffentlichte Untersuchung von Statewatch ergab, sind Informationen über die Vergabe von Aufträgen an Drittländer nur sehr schwer zu bekommen.

Die Institutionen der EU und der Mitgliedsstaaten haben sich eindeutig darauf festgelegt, die Grenzkontrollen weiter auszubauen. Dagegen fordert eine Vielzahl von Organisationen, Initiativen und Kampagnen in Europa, Afrika und anderswo einen neuen Ansatz. Eine wichtige Gelegenheit, dies einzubringen, bieten die Planungen für die neuen EU-Haushalte für den Zeitraum 2028 bis 2035. Die Europäische Kommission wird vermutlich weitere Milliarden Euro in die Grenzsicherung stecken wollen. Dieses Geld sollte jedoch stattdessen in zahlreiche bessere und produktivere Verwendungsmöglichkeiten gesteckt werden. Die Aufgabe wird darin bestehen, den nötigen politischen Druck zu erzeugen, dass dies geschieht.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 1 / 2024: Krieg ohne Ende?
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