Die SPD entdeckt den globalen Süden neu

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Willy Brandt und Nelson Mandela im Juni 1990, kurz nach der Freilassung des südafrikanischen Freiheitskämpfers und späteren Staatspräsidenten. Der amtierende SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil will an die engagierte Nord-Süd-Politik seines Vorgängers Brandt anknüpfen.
Berlin
Bei einer Konferenz im Willy-Brandt-Haus hat SPD-Chef Lars Klingbeil Pläne für eine neue Nord-Süd-Verständigung vorgestellt. Mehr als ein Gerüst liefern sie nicht.

Der Titel klingt ehrgeizig: Fünf-Punkte-Plan für die Demokratisierung der internationalen Ordnung. Darin skizzieren die Sozialdemokraten, wie sie zusammen mit dem globalen Süden die multilateralen Organisationen reformieren wollen. Es brauche „eine neue Qualität der Zusammenarbeit und eine strukturelle Weiterentwicklung“ der Beziehungen mit Partnern in Afrika, Lateinamerika und Asien, heißt es in dem Papier. Ihr Wunsch nach Mitgestaltung der von den westlichen Industriestaaten dominierten Ordnung in einer multipolaren Welt sei berechtigt. 

Als Teil der außenpolitischen Neuaufstellung der Partei hatte der SPD-Vorsitzende Schwesterparteien in Südamerika, Asien und zuletzt in Afrika besucht. Das Papier macht deutlich, dass die SPD die Institutionen und Regeln, „die globale Sicherheit garantieren und Entwicklungschancen ermöglichen sollen“, durch zunehmende Krisen für überfordert und die internationale Finanzarchitektur für ungerecht hält. Ein wichtiger erster Schritt zu einer gerechteren Beteiligung sei schon der vom SPD-Kanzler eingeleitete Beitritt der Afrikanischen Union zur G20 der Industrie- und Schwellenländer. 

Wie die angestrebte Demokratisierung aussehen soll, kommt auf knapp zwei Seiten aber nur schemenhaft zum Ausdruck. Zum Stichwort UN-Reform wird an die „G4-Initiative“ von Deutschland, Brasilien, Indien und Japan erinnert, sich im Bemühen um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat gegenseitig zu unterstützen. Entwicklungsbanken sollen Finanzierungen für öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Klimaschutz oder den Schutz von Wäldern und Meeren anbieten – was SPD-Ministerin Svenja Schulze bereits vorantreibe. Der Internationale Währungsfonds (IWF) soll in Schuldenkrisen stärker auf soziale Teilhabe und Ungleichheit achten.

Bei Schuldenerlassen will die SPD eine "faire Beteiligung" aller Geber

Von Zahlungsschwierigkeiten hatte SPD-Chef Klingbeil sicher auch beim Besuch in Ghana gehört. Überschuldete Länder sollen laut dem Papier Schulden erlassen bekommen, wenn sie sich verpflichten, den Gegenwert in soziale Sicherung, Bildung und die ökologische Transformation zu investieren. In der G20 will die SPD für eine „faire Beteiligung aller Geber“ werben, einschließlich China. Zudem solle eine internationale Initiative verhindern, dass private „Geier-Fonds“ sich aus Staatsanleihen von Schuldenstaaten bereichern. Und zur Steuergerechtigkeit heißt es, die Steuerbasis rohstoffreicher Länder müsse besser geschützt, Kapitalflucht unterbunden und illegale Finanzströme müssten ausgetrocknet werden.

Klingbeil knüpfte in einer programmatischen Rede Mitte März an die Tradition Willy Brandts an, der schon in den 1970er Jahren einen respektvolleren Umgang mit dem globalen Süden gefordert und den Dialog vertieft habe. Die Beschlüsse seiner Nord-Süd-Kommission 1980 und 1983 „lesen sich auch aus heutiger Sicht visionär“, so der SPD-Chef. Nach dem Ende der bipolaren Ära, in der niemand an einer Reform der internationalen Institutionen interessiert gewesen sei, sei es nun an der Zeit, Machtgefälle zu überwinden. Für viele Menschen und Regierungen im globalen Süden „ist die multipolare Welt ein emanzipatorisches Versprechen“ – weg von Abhängigkeiten vom Westen zu neuen Möglichkeiten der Kooperation, sagte Klingbeil. So seien chinesische Investitionen in Infrastruktur „ein attraktives Angebot, das wir mit unserer Entwicklungszusammenarbeit zu lange nicht gemacht haben“.

Hilfsorganisationen geht das SPD-Papier indes nicht weit genug. Klaus Schilder, beim katholischen Hilfswerk Misereor für Entwicklungsfinanzierung zuständig, begrüßt zwar, dass die SPD sich der internationalen Finanzarchitektur und der Schuldenproblematik zuwendet. Das Papier sei aber nicht ambitioniert genug. So kritisiere der Plan zwar indirekt, dass die Anpassungsprogramme des IWF in Schuldenstaaten weiter auf harte Sparzwänge zu Lasten der Ärmsten setzen. Doch das ändere nichts daran, dass der IWF kurzfristige Gläubigerinteressen bediene, statt Schuldenerlasse zu ermöglichen.

Kein Wort zu einem Staateninsolvenzverfahren

Erstaunlich findet Schilder zudem, dass die SPD offenbar gar nicht echte Schuldenerlasse, sondern lediglich Schuldenumwandlungen (Swaps) im Blick habe. Ausgeblendet würden außerdem die im Mai vergangenen Jahres von UN-Generalsekretär António Guterres vorgeschlagene Reform der globalen Schuldenarchitektur und das Versprechen der Bundesregierung, Staateninsolvenzverfahren zu prüfen

Den Anspruch, Machtgefälle abzubauen, erfüllt die SPD nach Ansicht von Schilder auch nicht bei der Steuergerechtigkeit. Die von der OECD beschlossene globale Mindeststeuer von 15 Prozent für Konzerne, auf die sich das Papier der Sozialdemokraten bezieht, sei einerseits zu niedrig, um illegale Finanzabflüsse aufzuhalten, andererseits zu wenig an den Interessen der Länder im globalen Süden orientiert. Auch zu der UN-Rahmenkonvention zur internationalen Steuerkooperation, über die seit Februar verhandelt wird, und zur Diskussion über eine globale Vermögensbesteuerung bleibe die SPD stumm. 

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