Im Visier der reichen Staaten

Die Preise vieler Rohstoffe sind in ebenso wie die Nachfrage in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Viele Industrie- und Schwellenländer haben deshalb nationalen Strategien formuliert mit dem Ziel, der heimischen Industrie günstigen Zugang zu Rohstoffen zu sichern. Doch dadurch gerät das Ziel einer gerechten globalen Ordnung zur nachhaltigen Nutzung von Rohstoffen immer mehr aus dem Blick.
Die beiden Ölpreisschocks der 1970er Jahre haben erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg Fragen der Rohstoffsicherung auf der Agenda vieler Industrieländer nach oben gerückt. Viele Entwicklungsländer versuchten damals, den kurzzeitigen Erfolg des Kartells der Ölförderländer (OPEC) nachzuahmen und andere Rohstoffe ebenfalls teurer zu machen, doch ohne Erfolg.
 

Autor

Cord Jakobeit

ist Professor für Internationale Politik an der Universität Hamburg.
 
Zwar gab es Versuche, Rohstoffabkommen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu schließen, doch solche Abkommen blieben auf landwirtschaftliche Güter beschränkt und ohne nachhaltige Wirkung. In Abkommen wie denen für Kakao, Kaffee, Weizen oder Zucker sagten die Industrieländer allenfalls zu, zur besseren Information über Rohstoffpreise und -mengen beizutragen. Dagegen weigerten sie sich beharrlich, ausreichend Finanzmittel bereitzustellen, um die stark schwankenden Rohstoffpreise und damit die Exporterlöse der Entwicklungsländer stabilisieren zu helfen. Die Industrieländer argumentierten, Rohstoffpreise sollten wie alle anderen Preise auch auf dem Weltmarkt, das heißt vom freien Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmt werden – nicht mit langfristigen Abnahmegarantien zu bestimmten Preisen oder gar über Marktausgleichslager. Weil die Schuldenkrise und die Strukturanpassungspolitik die Entwicklungsländer seit Anfang der 1980er Jahre zwangen, „um jeden Preis“ zu verkaufen, bestand aus Sicht der Industrieländer kein Bedarf nach einer gesonderten nationalen oder globalen Rohstoffpolitik - abgesehen von strategischen Erdölreserven und der militärisch motivierten Lagerhaltung der USA.

Diese Zeiten sind vorbei. Im letzten Jahrzehnt sind die Rohstoffpreise auf breiter Front gestiegen. Die Preissprünge an den Rohstoffmärkten lassen sich auf drei Ursachen zurück führen. Zum einen ist die Nachfrage wachstumsstarker Schwellenländer, vor allem Chinas, stetig gestiegen. Das führt dazu, dass die bisher üblichen Preisrückgänge in Phasen, in denen in den alten Industrieländern die Wirtschaft schwach ist, ausbleiben oder geringer ausfallen. Zweitens gibt es für einzelne mineralische Rohstoffe, insbesondere für Seltene Erden mit China, nur einen oder wenige Anbieter; das führt zu Preissteigerungen oder gar zum Ausfall von Lieferungen.

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Drittens sind im Zuge der Politik des billigen Geldes (zahlreiche Notenbanken, darunter die der USA, halten die Zinsen niedrig und stellen umfangreich finanzielle Liquidität bereit) Finanzinvestoren auf breiter Front in die Spekulation an den Rohstoffterminmärkten eingestiegen und haben so zu einer geldpolitisch angetriebenen Zunahme der Rohstoffpreise beigetragen. Auch die Preise von Grundnahrungsmitteln wie Mais und Weizen sind im Zuge dieser Entwicklungen auf intransparenten Handelsplattformen in den Blick der Finanzspekulation geraten und zum Teil rasant gestiegen. Das hat verheerende Folgen für Armutsgruppen in den Ländern des Südens, die auf billige Grundnahrungsmittel angewiesen sind. Allerdings wird insbesondere dieser dritte Grund von vielen Industrieländern kaum anerkannt. Die Beschlüsse des G20-Gipfels in Cannes vom November 2011 sind daher – wenig überraschend – bei der Eindämmung der Finanzspekulation auf Rohstoffe weit hinter den Erwartungen zahlreicher zivilgesellschaftlicher Gruppen zurückgeblieben.

Stattdessen setzen die mächtigen Staaten auf die nationale Karte. Auslöser dieser Entwicklung war neben dem Preisanstieg bei vielen Rohstoffen in erster Linie das Vorgehen Chinas. Die Regierung in Peking hat die alten Industrieländer nicht nur mit den Exportbeschränkungen für Seltene Erden unter Druck gesetzt, sondern auch mit ihren Rohstoff- und Entwicklungsabkommen mit zahlreichen rohstoffreichen Ländern. Autokratische Staaten in Afrika, die von den Industrieländern in den letzten beiden Jahrzehnten wegen schlechter Regierungsführung eher gemieden wurden, bilden einen besonderen Schwerpunkt der Rohstoffstrategie Chinas. Peking finanzierte großzügig Infrastrukturprojekte wie Hafenanlagen, den Eisen- und Straßenbau oder Sportstadien im Gegenzug für direkte Unternehmensbeteiligungen und langfristige Lieferverträge über Erdöl, Kupfer, Kobalt und andere Rohstoffe. Das hatte bei dem gigantischen Rohstoffhunger der expandierenden chinesischen Industrie absehbare Folgen für die Preisentwicklung.

Rohstoffpolitischer Aktionismus macht auch vor Deutschland nicht halt. Gedrängt von der Industrie hat die Bundesregierung im Oktober 2010 eine neue Rohstoffstrategie vorgelegt. Einerseits geht es darin um die Erschließung eigener Rohstoffvorkommen, effizientere Produktionsprozesse, Anstrengungen zum Materialsparen, um die Entwicklung von Ersatzstoffen und um die Verbesserung von Recycling-Technologien. Andererseits sind auch bilaterale Rohstoffabkommen vorgesehen. Inzwischen hat Berlin eine Rohstoffpartnerschaft mit der Mongolei vereinbart, mit Kasachstan steht man kurz vor dem Abschluss. Deutschland bietet Unterstützung bei Ausbildung und Modernisierung der Rohstoff-Wirtschaft im Gegenzug für besseren Zugang zu den nationalen Märkten.

Darüber hinaus sind die Planungen für eine „Allianz zur Rohstoffsicherung“, so der Arbeitstitel des Projekts, weit fortgeschritten. Zehn große deutsche Konzerne bündeln darin ihre Interessen, um sich mit Rückendeckung und Unterstützung der deutschen Politik direkt an Bohrungen und Minen in den Rohstoffländern zu beteiligen. Was noch vor wenigen Jahren als Verstoß gegen marktwirtschaftliche Grundsätze gegolten hätte, wird heute als zeitgemäße Industriepolitik deklariert. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hat flankierend eine Liste besonders wichtiger Partnerländer identifiziert. Dazu zählen jeweils drei Länder in den verschiedenen rohstoffreichen Regionen der Welt: Südafrika, Simbabwe und die Demokratische Republik Kongo in Afrika; Russland, Kasachstan und die Ukraine im GUS-Raum; China, Indien und Indonesien in Asien; sowie Brasilien, Chile und Peru in Südamerika.

Auch andere Industrieländer haben auf den Handlungsdruck bei der Rohstoffsicherung mit neuen nationalen Rohstoffstrategien reagiert. Japan, wo die Importabhängigkeit bei den meisten Metallrohstoffen besonders hoch ist, hat bereits im Juli 2009 eine Strategie für die dauerhafte und stabile Versorgung mit seltenen Metallen beschlossen. Ähnlich wie im Fall Deutschlands handelt es sich um eine Doppelstrategie, bei der Maßnahmen für Substituierung und Recycling mit verbessertem Zugang zu Rohstoffen im Ausland flankiert werden. Im Unterschied zu Deutschland ist Japans Strategie der Beteiligung an ausländischen Unternehmen jedoch bereits über das Planungsstadium hinaus weit fortgeschritten: Mit starker Unterstützung der japanischen Regierung beteiligen sich japanische Konzerne direkt an Unternehmen in rohstoffreichen Ländern.

Etwas anders stellt sich die Situation in den USA dar. Denn die sind im Gegensatz zu Deutschland und Japan vergleichsweise gut mit Rohstoffen ausgestattet, bei gleichzeitig ungebremster Nachfrage nach dem Schlüssel-Energierohstoff Erdöl. Aber auch in den USA hat das Energieministerium im Dezember 2010 mit einer „Critical Materials Strategy“ reagiert. Recycling, Lagerbildung und eine beschleunigte heimische Förderung sind die Eckpunkte der US-Strategie. Rohstoffpartnerschaften werden zwar auch angeführt. Im Unterschied zur deutschen und japanischen Strategie geht es dabei in der amerikanischen aber in erster Linie um eine bessere Zusammenarbeit mit Japan und der Europäischen Union (EU), um mittels einer gemeinsamen Energie- und Rohstoffdiplomatie auf China einzuwirken und Marktverzerrungen und Versorgungsengpässe zu beseitigen. Deutschland, Japan und die USA haben zudem die Exploration des Meeresbodens als potentiellem Reservoir für mineralische Rohstoffe wieder aufgenommen.

Auch in der EU spielen Überlegungen zu einer neuen Rohstoffstrategie eine wichtige Rolle. Denn die einzelnen EU-Länder konkurrieren mit ihren nationalen Rohstoffstrategien auch untereinander und laufen Gefahr, im globalen und zunehmend heftigeren Kampf um Rohstoffquellen gegeneinander ausgespielt zu werden. Gleichwohl folgt die EU bisher den bekannten Pfaden. Bereits 2010 hat die EU-Kommission 14 wichtige Rohstoffe aufgelistet, die für die Versorgung der Industrie als unentbehrlich gelten. Außerdem setzt die EU darauf, das Recycling, die Materialeffizienz und die Forschung voranzutreiben, die Rohstoffförderung innerhalb der EU zu unterstützen sowie den Streitschlichtungsmechanismus der Welthandelsorganisation (WTO) zu nutzen, um sich gegen Lieferbarrieren und Exportbeschränkungen von Monopolanbietern zu wehren.

Und die EU will Rohstofffragen in Handelsabkommen mit Drittstaaten stärker berücksichtigen. Im Rahmen von bilateralen oder regionalen Handelsabkommen versucht sie, von rohstoffreichen Entwicklungsländern die Zustimmung zu einem Verbot oder einer Eindämmung von Ausfuhrbeschränkungen zu erhalten. Und sie beharrt auf Investitionsregeln, nach denen europäische Unternehmen wie einheimische Unternehmen behandelt werden müssen, um so einen noch besseren Zugang zu Rohstoffen zu erhalten. Den Regierungen in den Entwicklungsländern werden damit aber die Möglichkeiten genommen oder stark eingeschränkt, ihre einheimischen Unternehmen zu schützen, Einnahmen aus der Besteuerung des Rohstoffexports zu generieren und eigene Standards durchzusetzen.

Das Beispiel der EU macht deutlich, dass es aus Sicht der rohstoffreichen Entwicklungsländer nicht nur segensreich ist, wenn ihre Produkte wieder stärker gefragt sind und höhere Preise erzielen. Denn der neue „Wettlauf um die Rohstoffe“ erhöht den politischen Druck und macht sie zu Zankäpfeln der Industrieländer, die allein die eigenen Interessen an einer gesicherten Versorgung in den Vordergrund stellen. In den Industriestaaten sollte man daher bei allem Nachdenken über neue Rohstoffstrategien nicht vergessen, worum es eigentlich gehen muss: nicht darum, den Wettbewerb um Rohstoffe zu verstärken und Ressourcenkonflikte anzuheizen. Sondern es geht um die Förderung einer kooperativen, gerechten und globalen Ordnung zur nachhaltigen Nutzung von nicht erneuerbaren (und auch erneuerbaren) Rohstoffen zur Bekämpfung der Armut in den Entwicklungsländern sowie zur Verminderung des großen Ressourcenverbrauchs in den Industrie- und Schwellenländern.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2011: Bodenschätze: Reiche Minen, arme Länder
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