Die Zukunft geraubt

Zwangsheiraten von Mädchen müssen eingedämmt werden
Zwangsheiraten von Mädchen müssen eingedämmt werden

(29.5.2013) Mit vierzehn Jahren muss Akech ihre Pläne für ein besseres Leben begraben. Der Onkel, bei dem die junge Südsudanesin aufgewachsen ist, verkauft sie als Braut an einen alten Mann – die Gegenleistung: 75 Kühe. Akech versucht, sich der Heirat zu widersetzen. Doch sie hat keine Chance. Ihre Cousins beschuldigen sie, die Familie zu entehren, und zwingen sie, das Haus zu verlassen.

So wie Akech geht es jährlich mehr als 14 Millionen Mädchen unter 18 Jahren. Manche sind erst acht oder neun, wenn sie gegen ihren Willen mit meist sehr viel älteren Männern verheiratet werden. Sie leben vor allem in Südasien und in Subsahara-Afrika. Und ihre Zahl, so fürchtet der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen UNFPA, wird noch zunehmen.

Die Praxis, Mädchen bereits in jungen Jahren in eine Ehe zu geben, wurzelt in Traditionen, Armut und Ungleichheit. Frauen sind ja ohnehin dazu da, Kinder zu bekommen und die Familie zu versorgen – da können sie ruhig früh damit anfangen, lautet eine weit verbreitete Ansicht. Zugleich glauben viele Eltern, ihre Töchter damit zu schützen: Sie nehmen an, die Gefahr, vergewaltigt zu werden, sei als Ehefrau geringer. In manchen Kulturen ist der Glaube verbreitet, Mädchen vor der Pubertät zu verheiraten, bringe der Familie Glück. Darüber hinaus müssen Eltern für jüngere Bräute eine geringere Mitgift bezahlen oder können gar noch Brautgeld fordern. In jedem Fall haben sie eine Esserin weniger im Haus. Für Töchter armer Familien, vor allem auf dem Land, ist das Risiko denn auch besonders hoch, als Minderjährige verheiratet zu werden.

Müttersterblichkeit: Die meisten sind minderjährig

Die Folgen für die Mädchen sind verheerend. Sobald sie verheiratet sind, ist in der Regel Schluss mit der Schule. Ihr geringer Bildungsstand schwächt ihr Selbstbewusstsein und ihre Kraft, sich gegenüber dem Ehemann und dessen Familie zu behaupten. Später haben sie zudem kaum Chancen, einen Job zu finden, um das Familieneinkommen aufzubessern oder auf eigenen Füßen zu stehen. Hinzu kommt ein hohes Risiko, sehr schnell schwanger zu werden, eine Fehlgeburt zu erleiden oder bei der Geburt zu sterben. Denn zum einen wissen sie wenig über Methoden der Empfängnisverhütung oder können sie dem Mann gegenüber nicht durchsetzen. Zum anderen ist ihr Körper oft noch nicht weit genug entwickelt, um ohne Gefahr ein Kind austragen zu können.

Die Mehrzahl der Schwangeren, die die Geburt ihres Kindes nicht überleben, ist minderjährig. Auch das Risiko, dass Kinder tot geboren werden oder kurz nach der Geburt sterben, ist bei sehr jungen Müttern deutlich erhöht. Wenn es nicht gelingt, die Verheiratung Minderjähriger einzudämmen, werden laut den Vereinten Nationen die Millenniumsziele vier und fünf – die Sterblichkeit von unter Fünfjährigen um zwei Drittel und die Müttersterblichkeit um drei Viertel zu senken – nicht erreicht.

Je länger die Mädchen zur Schule gehen, desto später heiraten sie

Die Verflechtung von Tradition, Armut und der Überzeugung, Frauen seien minderwertig, macht es so schwer, diese Praxis zu bekämpfen. Zwar seien Fortschritte etwa in Bolivien, Äthiopien und Nepal erzielt worden, heißt es in einem UNFPA-Bericht vom vergangenen Oktober. Generell sei die Situation für Mädchen in Städten einfacher geworden, weil ihre Familien dort mehr Chancen auf Bildung und Arbeit für sie sehen. Dennoch sei man trotz aller Anstrengungen auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene in den vergangenen zehn Jahren kaum vorangekommen, beklagen die Bevölkerungsexperten.

Der Endspurt bei den Millenniumszielen und die Debatte über ihre Nachfolge bieten die Chance, die Bemühungen zu verstärken. Ansatzpunkte gibt es genug: In 158 Ländern weltweit ist das gesetzliche Mindestalter für eine Ehe bereits auf 18 Jahre festgelegt. Die anderen sollten nachziehen und vor allem müssen alle dafür sorgen, dass das Gesetz auch eingehalten wird. Das ist etwa in Indien nicht der Fall: Das Land verzeichnet nach wie vor weltweit die meisten Kinderheiraten. Darüber hinaus brauchen Mädchen denselben Zugang zu grundlegender und weiterführender Schulbildung wie Jungen. Denn je länger sie zur Schule gehen können, desto später heiraten sie.

Eltern und traditionelle Führer müssen davon überzeugt werden, wie wichtig Bildung ist, um Armut zu überwinden – auch und gerade für Mädchen. Und damit das Ganze verpflichtend wird, sollte bei der Formulierung eines neuen Entwicklungsziels „Gleichstellung der Geschlechter“ (denn daran festzuhalten ist nötig) ein weiterer Indikator festgelegt werden: den Anteil der Mädchen, denen durch eine zu frühe Heirat die Zukunft geraubt wird, deutlich zu verringern. (Gesine Kauffmann)

Link-Tipps: 
Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes 
Informationsportal Zwangsheirat.de
Papatya (Hilfsorganisation für Mädchen und junge Frauen) 

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