Kein Wunschzettel an den Weihnachtsmann

Michael Krennerich
Soziale Menschenrechte – Zwischen Recht und Politik
Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts. 2013, 528 Seiten, 29,80 Euro

Bei den Menschenrechten denken viele zunächst an Meinungs- und Religionsfreiheit oder das Verbot von Folter und Diskriminierung. Doch neben den „politisch-bürgerlichen“ gewinnen zunehmend die „sozialen“ Menschenrechte an Bedeutung. So etwa das Recht auf Wasser, Nahrung, Arbeit, Bildung, Gesundheitsversorgung oder eine angemessene Unterkunft. Ob  Indigene sich gegen den giftigen Abbau von Edelmetallen zur Wehr setzen, Slumbewohner gegen ihre Zwangsräumung kämpfen oder Kleinbauern die Patentierung ihres Saatguts verhindern wollen  – sie alle beziehen sich mittlerweile auf diese Garantien, die von den Vereinten Nationen 1966 im UN-Sozialpakt festgeschrieben und später in zahlreichen UN-Konventionen spezifiziert wurden.

Wie aber sind diese Rechte einklagbar? Mit dieser Frage beschäftigt sich Michael Krennerich in seinem Buch über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, die von Insidern meist wsk-Rechte genannt werden. Krennerich, der am Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik in Erlangen tätig ist, räumt mit der gängigen Vorstellung auf, dass diese Garantien bloße „Wunschzettel an den Weihnachtsmann“ darstellen, die juristisch nicht durchsetzbar seien.

In vielen Staaten seien sie in die Verfassung sowie Arbeits-, Bildungs- oder Sozialgesetzgebung eingeflossen; auch in internationalen, völkerrechtlich zunächst unverbindlichen Deklarationen hätten sie inzwischen „gewohnheitsrechtliche Bindungskraft“. Was das konkret heißt, macht Krennerich anhand von zahlreichen Beispielen deutlich. So beschreibt er, wie das südafrikanische Verfassungsgericht das Gesundheitsministerium 2002 dazu verpflichtete, in öffentlichen Krankenhäusern ein Medikament gegen die HIV-Übertragung zur Verfügung zu stellen.

Der Autor warnt davor, nur auf den wirtschaftlichen Fortschritt zu blicken

Dennoch wird die Umsetzung der wsk-Rechte international bislang weniger gerichtlich erzwungen als  gesellschaftspolitisch erkämpft. Kontrollverfahren taugten eher „zum Bellen als zum kräftigen Beißen“, schreibt der Wissenschaftler und hebt die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft hervor. Vor allem das „Naming, Shaming und Blaming“, das „Benennen, Beschämen und Bedrängen“ der Verantwortlichen durch Betroffene und nichtstaatliche Organisationen (NGO) konnte die Verletzungen sozialer Menschenrechte bremsen. Krennerich verweist auf internationale Kampagnen gegen Kinderarbeit, Landvertreibung oder skrupellose Ausbeutung in der Kleidungsindustrie. Menschen, die für sauberes Wasser oder kulturelle Teilhabe kämpfen, seien keine Bittsteller, sondern Rechtsinhaber, stellt der Autor klar. Es habe lange gedauert, bis diese Erkenntnis in der Entwicklungszusammenarbeit angekommen sei, kritisiert er und zitiert eine Studie der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst von 1995: „Soziale Menschenrechte sind bislang kein Thema der Entwicklungszusammenarbeit.“ Seither habe sich viel getan, nicht zuletzt die Millenniumsziele hätten für einen Schub gesorgt.

Krennerich warnt davor, nur auf den wirtschaftlichen Fortschritt zu blicken. „Im schlimmsten Fall können Entwicklungsvorhaben sogar gegen die Menschenrechte verstoßen“, betont er und erinnert an Millionen von Menschen, die für den Bau von Staudämmen zwangsweise umgesiedelt wurden. Mehrmals verweist er darauf, dass ungezügelter Ressourcenabbau und ungerechte Handelsabkommen viele „soziale Verlierer“ geschaffen haben. Nicht zuletzt durch diese engagierte Parteinahme für die Opfer des globalisierten Marktes bietet das wissenschaftliche und dennoch angenehm lesbare Buch einen attraktiven Einstieg zum Verständnis der wsk-Rechte. (Wolf-Dieter Vogel)

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