Dramatischer Spagat zwischen den Kulturen

Die norwegische Regisseurin Iram Haq schildert aufgrund persönlicher Erfahrungen und in packenden Bildern, wie eine 16-Jährige bei ihrer pakistanischen Familie in Ungnade fällt. Dabei gerät sie in eine tiefe Kluft zwischen den Kulturen.

Wenn die 16-jährige Nisha mit ihren Schulfreundinnen und -freunden zusammen ist, wirkt sie wie eine alltägliche norwegische Teenagerin. Sie spielt Basketball, tanzt und feiert gerne. Zu Hause aber, in ihrer muslimischen Familie aus Pakistan, ist sie ganz die gehorsame Tochter, die auch viel im Haushalt hilft. Als ihr strenger Vater Mirza sie eines Abends beim Knutschen mit dem Einheimischen Daniel erwischt, rastet er aus. Er verprügelt den Jungen und beschimpft die Tochter, weil er annimmt, dass die beiden Sex hatten. Schwer enttäuscht von Nisha, die nach seiner Ansicht die Familie entehrt hat, will er ein Exempel statuieren. Auch die pakistanische Gemeinschaft drängt zu einem harten Durchgreifen, um andere Mädchen von ähnlichen Taten abzuschrecken.

Gegen ihren Willen bringt Mirza seine Tochter zu seiner Schwester nach Pakistan, wo sie zeitweise eingesperrt wird, damit sie nicht wegläuft. In der für sie völlig fremden Umgebung fällt es dem Mädchen schwer, sich zu orientieren. Gerade als sie sich – nach acht Monaten – in ihr neues Leben eingefügt hat, gerät sie durch einen skrupellosen Cousin abermals in eine kompromittierende Lage. Ihre wütende Tante schickt Nisha zurück nach Norwegen, wo sie Gehorsam geloben muss, um wieder in die Familie aufgenommen zu werden. Vor allem ihre enttäuschte Mutter macht Nisha das Leben schwer.

Die 1976 geborene Regisseurin Iram Haq weiß, wovon sie spricht. In dem Drehbuch zu ihrem zweiten langen Spielfilm greift sie auf eigene Erlebnisse zurück, wie sie im Presseheft erklärt. „Als ich 14 Jahre alt war, wurde ich von meinen Eltern entführt und gezwungen, für eineinhalb Jahre in Pakistan zu leben. Ich habe lange gewartet, bis ich mich als Filmemacherin und auch als Mensch in der Lage gesehen habe, diese Geschichte in einer klugen und vernünftigen Weise zu erzählen.“

Erfreulicherweise vermeidet Haq eine simple Schwarz-Weiß-Malerei. Stattdessen zeichnet sie komplexe Figuren. Nisha ist weder ein bloßes Opfer noch die Eltern skrupellose Täter. Vor allem der Vater erscheint ambivalent. Einerseits will er Nisha, ihrer jüngeren Schwester und dem älteren Sohn ein besseres Leben ermöglichen, andererseits will er seinen traditionellen pakistanischen Wertvorstellungen Respekt verschaffen. Auch die Mutter liebt ihre Kinder, führt aber ein strenges Regiment, um die heimische Ordnung aufrechtzuerhalten. Auch ist ihr bei allem besonders wichtig, was die Leute sagen.

Die einfühlsame Inszenierung, in der die agile Handkamera stets nah an den ausdrucksstarken Darstellern bleibt, zeigt fast beiläufig, wie schwierig es für das soziale Umfeld ist, Mädchen wie Nisha zu helfen, die am kulturellen Spagat zwischen Norwegen und Pakistan, an der Konfrontation von Tradition und Moderne zu zerbrechen drohen. So bemühen sich die Mitarbeiterinnen des Jugendamtes redlich, Nisha aus der Klemme zu helfen. Doch es fällt ihnen sichtlich schwer, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, die die Familie aus Scham über die vermeintliche Schande errichtet hat.

Konnte sich Nisha in Norwegen noch zeitweise der strikten sozialen Kontrolle, insbesondere durch den Vater, entziehen, so büßt sie in Pakistan jede Bewegungsfreiheit und Selbstbestimmung ein. Obwohl sie keine Rebellin sein will, muss sie sich gleich zwei Mal einer drohenden Zwangsverheiratung entziehen. Schließlich lehnt sie sich gegen die patriarchalischen Strukturen auf, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Das atmosphärisch dichte Coming-of-Age-Drama wurde auf der Filmkunstmesse in Leipzig 2017 mit dem Preis der Jugendjury und auf den Nordischen Filmtagen in Lübeck mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

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