Wenn 14-Jährige die Müllabfuhr antreiben

In Indien nehmen viele Kinder ihr Leben in die eigenen Hände, indem sie Kinderparlamente gründen, eigene Minister wählen und sich für ihre Rechte und das Gemeinwohl engagieren. Die Dokumentarfilmerin Anna Kersting zeigt an drei Beispielen, wie das geht.

Pünktlich zum Weltkindertag am 20. September kommt ein Dokumentarfilm in die Kinos, der eindrucksvoll beschreibt, was Kinder im indischen Bundesstaat Tamil Nadu alles erreichen können, wenn sie Missstände nicht einfach hinnehmen, sondern sich für ihre eigenen Angelegenheiten einsetzen. Die Berliner Regisseurin Anna Kersting, die hier auch als Autorin, Produzentin und Verleiherin fungiert, erzählt konsequent aus der Sicht von Kindern. Dabei konzentriert sie sich auf zwei Mädchen und einen Jungen, die beispielhaft für viele Mitglieder der 50.000 Kinderparlamente stehen, die es inzwischen in Indien gibt. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich vor der Kamera bewegen, spricht für ein tiefes Vertrauensverhältnis, das die Filmemacherin im Vorfeld aufgebaut haben muss.

Im Dorf Chatti widmet sich die 14-jährige Sri Priya vor allem den Umweltproblemen des Dorfes. Seit sie den Bürgermeister immer wieder auf Mängel bei Müllabfuhr und Wasserversorgung hingewiesen hat, hat sie sich bei den Erwachsenen großen Respekt verschafft. Dank des Drucks, den das Kinderparlament ausgeübt hat, hat sie zudem bewirkt, dass es im Dorf keine Kinderheirat mehr gibt.

Der 15-jährige Shaktivel hat im Dorf Patti das Amt des Kulturministers übernommen und setzt sich mit dem lokalen Kinderparlament dafür ein, den Alkoholismus im Dorf einzudämmen. Denn viele Mütter und Kinder leiden unter der Trunksucht der Väter und der Gewalt in der Familie. Shaktivel entwickelt mit Mitstreitern ein Theaterstück, das die Folgen des Alkoholmissbrauchs für die Familien anschaulich macht.

Die spannendste Figur ist die 15-jährige Swarna Lakshmi aus der Küstenstadt Pondicherry. Die Blinde setzt sich seit fünf Jahren für Inklusion ein und ist nach mehreren so genannten „Ministerposten“ zur „Premierministerin“ im landesweiten Kinderparlament aufgestiegen. Mit einer Delegation reist sie zu den Vereinten Nationen nach New York, wo sie sich für ein Weltkinderparlament stark macht.

In etlichen Sequenzen werden wir Zeugen, wie die Kinderparlamentarier mit großem Ernst lokale Probleme erörtern und in mühevoller Kleinarbeit nach Lösungen suchen. Und zwar nicht nur für sich, sondern auch für das Gemeinwohl. Etwa wenn eine Kinderdelegation in Chatti Eltern aufsucht und befragt, warum deren Kinder nicht mehr zur Schule kommen.  
Etwas gewöhnungsbedürftig ist eine akustische Besonderheit: Während fremdsprachige Filme hierzulande meist synchronisiert werden, gibt es hier ein Overvoice: Off-Stimmen übertragen die Dialoge ins Deutsche, wobei die tamilischen Originalstimmen im Hintergrund noch zu hören sind. Das Verfahren verstärkt die Authentizität, erschwert aber die Verständlichkeit.

Was bei den detailfreudigen Schilderungen, die manchmal etwas langatmig und redundant ausfallen, fehlt, sind Hintergrundinformationen über die Entstehung der Kinderparlamente. Diese fallen ja nicht vom Himmel, sondern gehen in der Regel auf Impulse von Erwachsenen zurück. So entwickelte vor Jahren die südindische Hilfsorganisation „Neighbourhood Community Network“ das Konzept unabhängiger Kinderparlamente, die mithelfen sollen, dass Kinderrechte auch respektiert werden. Dieses Konzept wurde von vielen lokalen Menschenrechtsgruppen übernommen, die interessierten Kindern eine Vertrauensperson zur Seite stellen, über Kinderrechte aufklären und bei der Gründung eines Kinderparlaments helfen.

Jenseits solcher Defizite macht der Film Heranwachsenden in anderen Ländern Mut, den indischen Beispielen zu folgen und sich selbst für ihre Rechte einzusetzen.

 

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