Erzählungen von vergangenen Gräueln

NoViolet Bulawayo: Glory. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, 460 Seiten, 25 Euro

Vor vierzig Jahren begingen Militärs unter dem Despoten Robert Mugabe in Simbabwe Massaker an der Zivilbevölkerung. Zwei Romane, die nun auch auf Deutsch vorliegen, beleuchten deren Hintergründe und Folgen.

Die junge simbabwische Autorin NoViolet Bulawayo nutzt für ihre Auseinandersetzung mit den Massakern in den westlichen Provinzen, die ab 1983 mindestens 20.000 Menschenleben forderten und die Ndebele-sprachige Bevölkerung traumatisierten, die Form einer Fabel: „Glory“ verlagert die Machenschaften des Mugabe-Regimes in das imaginäre Tierreich Jidada. Ein klappriges Pferd, das altersbedingte Probleme mit dem Urinieren hat und bei jeder Gelegenheit schlafen möchte, klammert sich dort mit allen Mitteln an seine Macht und wird darin von seiner Ehegattin, einem eitlen Esel, bestärkt – gemeint sind der langjährige Präsident Simbabwes, Robert Mugabe und seine Ehefrau Grace. Wichtige Regimevertreter, die vom skrupellosen Präsidenten installiert worden sind, tauchen ebenfalls in Fell oder Gefieder auf und bekleiden absurde Ämter wie Minister für Nichts oder Minister für Gewalt und Desinformation. 

Fabel über Machtcliquen im Stil sozialer Medien

Das in einem rasanten Stil geschriebene Buch richtet sich aber nicht nur an Simbabwe-Kenner. Die Fabel steht allgemein für eine verkommende Machtclique, wie es sie vielerorts gibt. Dabei integriert Bulawayo im Spiel mit Sprache und Ausdrucksformen den Kommunikationsstil sozialer Medien ebenso wie Elemente aus der Erzählkunst der Ndebele, wie etwa schnelle und variierende Wortspiele. Das Buch unterscheidet sich dadurch inhaltlich und formal von der Farm der Tiere, dem Klassiker von George Orwell. Die Bewohner von Jidada organisieren sich zunächst virtuell und dann real, um die Regierenden zu entmachten. In der Realität sind die Verbrechen der Militärs in Simbabwe bis heute ungestraft geblieben; eine Revolution ist – anders als im Buch – nicht in Sicht.

Novuyo Rosa Tshuma: Haus aus Stein. Interkontinental Verlag, Berlin 2023, 400 Seiten, 28 Euro

Novuyo Rosa Tshuma, die wie Bulawayo im Westen Simbabwes aufgewachsen ist, wählt einen ganz anderen Weg, um die Gräuel der Vergangenheit und deren Folgen zu thematisieren. Ihr symbolreicher historischer Roman bezieht sich mit seinem Titel „Haus aus Stein“ auf den Namen des unabhängigen Staates Simbabwe, der sich an der monumentalen Steinarchitektur des einstigen Herrschersitzes und urbanen Zentrums Great Zimbabwe orientiert. Doch im Unterschied zu diesem felsenfest stehenden Weltkulturerbe bröckelt es im Gemäuer des neuen Machtapparats und der Häuser seiner Bewohner. Denn an ihnen klebt Blut von Ermordeten und Verschwundenen. Tshuma stellt eine Familie in den Vordergrund, deren Sohn nach einer Protestveranstaltung verschollen ist, und seziert die Wunden, die das hinterlassen hat. In geschickt arrangierten Rückblenden entfaltet die inzwischen in den USA lebende Autorin ein Ehe- und Familiendrama. 

Düsteres Psychogramm in packender Sprache

Sie baut darin einen hinterlistigen jungen Untermieter ein, der persönliche Abgründe, Schuld und Versagen zu seinen Gunsten ausnutzt. Er setzt seine Gasteltern emotional unter Druck und entlockt ihnen persönliche Geheimnisse. Als diabolischer Meister der emotionalen Manipulation erstellt er sogar eine Facebook-Seite ihres verschollenen Sohnes und sendet von dort aus irritierende Nachrichten. 

Tshumas Figuren sind aber keineswegs einfach in gut oder böse zu unterteilen. Vielmehr überrumpelt sie ihre Leser mit Widersprüchen, Drehungen und Wendungen, die sie mit einer packenden Sprache zu einem düsteren Psychogramm zusammenfügt. So ist der perfide junge Untermieter auch ein Opfer politisch motivierter Gewalt, denn er wurde während der Massaker in den 1980er Jahren von einem Kommandanten der simbabwischen Armee gezeugt. Der Vergewaltiger beanspruchte als selbst ernannter „schwarzer Jesus“ Macht über Leben und Tod, die leibliche Mutter des Kindes wurde schließlich umgebracht. 

Plastische Beschreibungen von Gewalt

Ebenso wie „Glory“ beschreibt der Roman „Haus aus Stein“ die Gewaltpraktiken sehr plastisch. In beiden Büchern haben religiöse Figuren – bei Bulawayo etwa ein Prophet in Form eines Schweins, das sich den Mächtigen andient, bei Tshuma ein frivoler Kirchenvertreter – ihren moralischen Kompass verloren. 

Deutlich wird in beiden Büchern, dass nach mehr als vierzig Jahre nach den Massakern an Ndebele viel mehr als nur die Strafverfolgung einzelner Gewalttäter beginnen muss. Darüber hinaus sollte sich die Auseinandersetzung mit Simbabwe auch nicht auf den antikolonialen Unabhängigkeitskrieg oder Kritik an unfairen Wahlen beschränken.
 

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