Frieden durch Kaufverzicht?

Streitgespräch
Die EU erwägt einen Importstopp für Produkte aus den israelischen Siedlungen im Westjordanland. Die deutsche Bundesregierung ist dagegen. Auch die Friedensbewegung ist in der Frage gespalten. Pax Christi fordert, Waren aus den besetzten Gebieten sollten als solche gekennzeichnet werden; unklar deklarierte Produkte sollten nicht gekauft werden. Ist ein solcher Aufruf gerechtfertigt? Und kann ein Boykott den Frieden in Nahost voranbringen?
Pro: Im Sinne des Völkerrechts

Von Manfred Budzinski

Die Empfehlung zum Kaufverzicht von Waren aus den völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen unterstützt eine gerechte Friedenslösung in Nahost. Denn worum geht es? Die Siedlungs- und Besatzungspolitik der israelischen Regierung im Westjordanland nimmt der palästinensischen Bevölkerung wertvolle Ressourcen – Wasser zum Beispiel – und entzieht einem möglichen palästinensischen Staat die Lebensgrundlagen. Israelische Firmen, die in diesen Siedlungen investieren und produzieren, aber auch internationale und deutsche Firmen profitieren von dieser Besatzungspolitik.

Ein von 22 europäischen Hilfswerken und Organisationen vor zwei Jahren vorgelegter Bericht mit dem Titel „Handel gegen Frieden“ belegt, dass pro Jahr Waren im Wert von 230 Millionen Euro aus den völkerrechtswidrigen Siedlungen in die EU importiert werden. Das ist fünfzehn Mal mehr, als aus den palästinensischen Gebieten eingeführt wird.

In der Westbank und in Ostjerusalem wohnen bereits über eine halbe Million jüdische Israelis in „Siedlungen“, die zum Teil große Städte mit einigen Zehntausend Einwohnern sind. Dabei verbietet das Völkerrecht eindeutig, die eigene Bevölkerung in besetztem Land anzusiedeln. Hinzu kommt, dass Palästinenser und Palästinenserinnen in der Zone C (62 Prozent des besetzten Westjordanlandes) fast keine Baugenehmigung erhalten, was nicht zuletzt die lokale Wirtschaft behindert.

Für die palästinensische Bevölkerung stellte die internationale Gemeinschaft zuletzt jährlich etwa eine Milliarde US-Dollar an Unterstützung bereit. Zum Vergleich: Ohne die israelische Besatzung und die damit verbundene Behinderung ihrer Aktivitäten würde die palästinensische Wirtschaft laut Schätzung der Weltbank circa 3,4 Milliarden Dollar im Jahr verdienen.

Bereits im Jahr 2004 bekräftigte das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zur Sperranlage zwischen Westjordanland und israelischem Kernland, bestimmte israelische Besatzungsmaßnahmen seien rechtswidrig, darunter der Bau von Siedlungen. Das Gericht bestätigte die Rechtspflicht aller Staaten, diesen Maßnahmen „keine Beihilfe oder Unterstützung“ zu gewähren.Der Europäische Gerichtshof hat 2010 geurteilt, Siedlungen zählten nicht zum Staatsgebiet Israels.

Die israelischen Siedlungen in der Westbank und in Ostjerusalem sind nach Auffassung der internationalen Gemeinschaft nicht nur völkerrechtswidrig, sondern auch ein Haupthindernis auf dem Weg zu einem gerechten Frieden in Nahost. Mit der Entscheidung für den Verzicht auf Waren aus völkerrechtswidrigen Siedlungen können Verbraucher und Verbraucherinnen dem Gutachten des IGH Nachdruck verleihen.

Allerdings können sie Produkte aus Siedlungen bislang nicht als solche erkennen, weil sie genau wie Waren aus dem Staatsgebiet Israels bisher mit der Ursprungsangabe „Israel“ vermarktet werden – eine klare Irreführung. Deshalb begann im Mai 2012 die Nahost-Kommission von Pax Christi mit der Obsttüten-Aktion „Besatzung schmeckt bitter. Kaufverzicht für einen gerechten Frieden in Israel und Palästina“, in der die eindeutige Kennzeichnung von Waren aus israelischen Siedlungen gefordert wird.

In vielen Ländern werden Waren aus den Siedlungen bereits deklariert

Bis zur Erfüllung der Kennzeichnungspflicht ruft Pax Christi zu einem Kaufverzicht auf, wenn es sich bei Waren mit der unklaren Herkunftsangabe „Israel“ um Siedlungsprodukte handeln könnte. Wer das mit der Kampagne „Kauft nicht bei Juden“ aus der Nazizeit gleichsetzt, kann nicht unterscheiden zwischen einer zivilgesellschaftlichen Protestform gegen Unrecht einerseits und einer rassistischen Hetzkampagne andererseits – und verharmlost darüber hinaus den Nationalsozialismus.

In Großbritannien werden Waren aus den Siedlungen seit 2009 eindeutig deklariert, in Dänemark und Südafrika seit 2012. Die größte Schweizer Supermarktkette Migros kennzeichnet die Produkte seit dem vergangenen Jahr. Laut aktuellen Medienberichten bieten die deutschen Supermärkte Lidl und Kaiserʼs keine Siedlungsprodukte mehr an. Und auch zehntausende jüdischer Israelis kaufen laut einem Bericht der israelischen Zeitung „Ha’aretz“ wegen der Besatzung seit Jahren keine Waren aus den Siedlungen.

Am Siedlungsbau und an der Bereitschaft, den Palästinensern ihr Land zuzugestehen, entscheidet sich auch die Zukunft Israels. Wer diese unterstützen will, muss sich dafür einsetzen, dass auch die Palästinenser ihr Land entwickeln können.

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Kontra: Ein Kaufverzicht trifft die Palästinenser

Von Ricklef Münnich

Pax Christi macht den Menschen Hoffnung auf Frieden. Nicht Israelis und Palästinensern, sondern den Konsumentinnen und Konsumenten in Deutschland. Für jeden von uns sei es ganz einfach, etwas „für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel“ zu tun, nämlich „keine Waren aus israelischen Siedlungen in den Einkaufskorb“ zu legen. Pax Christi verspricht den deutschen Verbrauchern den inneren Frieden: Durch „Kaufverzicht“ stehen sie moralisch auf der sicheren Seite.

„Besatzung schmeckt bitter“. Diese Erkenntnis lässt Pax Christi auf Obsttüten drucken, in die sich um des Friedens willen am besten überhaupt keine Frucht aus Israel verirren soll. Solange nicht jede Erdbeere und Tomate eindeutig gekennzeichnet ist, gilt die Forderung: „Verzichten Sie auf Lebensmittel, die die unklare Ursprungsangabe ‚Israel‘ tragen, wenn es sich dabei um Siedlungsprodukte handeln könnte.“

Pax Christi meidet das Wort Boykott. Denn das schmeckt bitter in Deutschland, weiß auch die katholische Friedensbewegung. Vor einigen Monaten gab es Bilder von einer Demonstration vor einem Geschäft in Berlin, das Kosmetika vom Toten Meer verkauft, produziert in der judäischen Wüste, ein paar Kilometer von der Grenze von 1967 entfernt – also in einer Fabrik, die eine „Siedlung“ ist.

Der israelische Botschafter in Deutschland befand, es gebe nur einen Unterschied zu den vergilbten Fotos von früher, als man jüdische Geschäfte boykottierte: Die Bilder aus Berlin waren in Farbe. Beim „Kaufverzicht“ von Pax Christi stellen sich solche unschöne Assoziationen zu 1933 nicht so schnell ein. Auch das fördert den Frieden bei uns.

In Israel und Palästina ist leider wie immer alles ein bisschen komplizierter. Da reicht der Platz auf einer Obsttüte nicht aus, um sachgerecht zu informieren. Blicken wir auf einen bekannten Stein des Anstoßes: „SodaStream“, eine der erfolgreichsten Firmen Israels, selbst beim Umweltschutz, denn die Geräte für Softdrinks zum Selbermachen sparen jede Menge Getränkeverpackungen.

SodaStream betreibt 22 Fabriken in der ganzen Welt, aber der Konsument soll einen Bogen um das Produkt machen, weil der Standort Maale Adumim im „besetzten Westjordanland“ steht. Dort haben 900 arabische Frauen und Männer einen gut bezahlten Job gefunden, und die Lage der Produktionsstätte führt dazu, dass Juden und Muslime sich über einem gemeinsamen Arbeitsalltag gut kennen.

Die Firma zahlt den palästinensischen Arbeitern fast das Doppelte von dem, was sie bei ihren Landsleuten erhalten würden. Würde Soda Stream seine Produktion verlegen, würden nicht nur diese Arbeiter ihren Job verlieren, sondern einige Familien ihr gesamtes Einkommen. Kein Wunder, dass sich palästinensische Arbeiter in der „Besatzung“ im Januar ausdrücklich gegen einen Boykott ausgesprochen haben.

Boykotte bringen den Frieden in keiner Weise voran

SodaStream sollte deshalb weiter produzieren dürfen – selbst dann noch, wenn Maale Adumim in einem palästinensischen Staat liegt. Möglichst bald dort liegt, mag man hoffen und wünschen – um den dazu nötigen Friedensvertrag wird gerade gerungen. Dieser kommt durch den Kaufverzicht keinen einzigen Tag früher.

Mit Recht hat daher Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Deutsch-Israelischen Regierungskonsultationen Anfang März in Jerusalem der Presse in die Notizblöcke diktiert: „Wir glauben, dass Boykotte nicht die Antwort sein können, um den Friedensprozess voranzubringen, sondern wir glauben, dass das auf dem Verhandlungswege gehen muss.“

Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas hat übrigens die Anstrengungen von Pax Christi und anderen Boykotteuren, Israel wirtschaftlich unter Druck zu setzen, bislang öffentlich nicht unterstützt. Der Grund: Die Palästinenser konsumieren gerne israelische Produkte; 70 Prozent der Importe in die palästinensischen Autonomiegebiete stammen aus Israel. Die palästinensische Zeitung „Al Kuds“ schrieb, die israelischen Importe seien günstiger als die Waren aus Europa und von höherer Qualität als arabische Produkte. Die Boykottbewegung trifft letztlich die Palästinenser viel härter als die Israelis.

Boykotte gegen Israel bringen den Frieden für Palästina in keiner Weise voran. Es gibt weltweit etwa 40 Regionen, in denen Grenzen umstritten sind oder in denen die einen sagen, sie seien legal da, und die anderen nennen sie Besatzer. Sogar in Europa gibt es solche Gebiete. Pax Christi konzentriert sich lieber auf Israel. Irgendwo muss man ja anfangen, in Deutschland etwas für einen gerechten Frieden zu tun.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2014: Indonesien: Von Islam und Demokratie
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