Lieber mächtig als vernünftig

Staaten-Insolvenzverfahren
Die UN-Generalversammlung hat am Donnerstag Prinzipien für ein Staaten-Insolvenzverfahren beschlossen. Die Entwicklungs- und Schwellenländer treiben diese Reform voran – und beißen bei den Industrieländern auf Granit.

Dabei haben sie gute Argumente. Staatsschuldenkrisen kommen unter der gegenwärtigen Weltfinanzordnung immer wieder vor – nicht zuletzt wegen der Zinspolitik des Nordens und weil heißes Kapital mal in arme Länder drängt, mal schlagartig zurückfließt. Die gängigen Verfahren, sie zu bewältigen, verschleppen nur den Konkurs: Zunächst gibt es meist neue Kredite, mit denen alte bedient werden unter der Bedingung, dass der Schuldnerstaat drastisch spart. Die Gläubigerländer nehmen dabei gern ihren Banken Risiken ab. Ist ein Teilerlass der Schulden dann doch unvermeidlich, sitzen die Gläubiger am längeren Hebel und versuchen, sich gegenseitig die Kosten zuzuschieben. Für das Ziel, dem verschuldeten Staat schnell auf die Beine zu helfen, gibt es keinen starken Anwalt, obwohl genau das die Voraussetzung wäre, dass die Gläubiger einen größeren Teil ihres Geldes zurückbekommen. Kurz: Durchwursteln macht Schuldenkrisen unnötig schmerzhaft und selbst für die meisten Gläubiger unnötig teuer.

Seit langem liegen ausgearbeitete Pläne auf dem Tisch, wie man das ändern kann. In der Praxis aber bewegt sich nichts. Das will die Gruppe der 77 – ein loser Zusammenschluss von mittlerweile 134 Entwicklungs- und Schwellenländern – zusammen mit China ändern. Treibende Kraft sind lateinamerikanische Länder, in denen die Angst vor Geierfonds umgeht. Diese kaufen Schuldtitel von überschuldeten Ländern mit großem Abschlag, beteiligen sich nicht an Schuldenerlassen und klagen, wenn es dem Schuldner besser geht, die Schulden zum Nennwert ein.

Alle Gläubiger gleich behandeln

Um ein Staaten-Insolvenzrecht zu erreichen, setzen die G77 und China auf die Vereinten Nationen, in denen jedes Land eine Stimme hat. Die Resolution, die sie gerade dort durchgebracht haben, ist jedoch kein Sieg, sondern ein Zeichen für die Grenzen dieser Strategie. Angetreten waren sie nämlich, um einen Rechtsrahmen für die Staateninsolvenz zu schaffen. Vor einem Jahr hat die UN-Generalversammlung auf Druck der G77 beschlossen, dies binnen eines Jahres zu tun. Doch darüber wollten die Industrieländer in den UN nicht einmal diskutieren.

Die G77 und China sind ihnen deshalb mit der jetzt verabschiedeten Resolution weit entgegengekommen: Dort sind für die Bewältigung von Staatsschuldenkrisen lediglich neun freiwillige und recht allgemeine Prinzipien niedergelegt. Immerhin gehört dazu, dass die Souveränität der Schuldnerländer geachtet und schnell Lösungen gefunden werden sollen, die dort Wirtschaftswachstum begünstigen. Zudem sollen Mehrheitsentscheidungen der Gläubiger für alle bindend sein und alle Gläubiger gleich behandelt werden. Das letztere lehnen die Industrieländer ab, weil der IWF und die Weltbank (sowie in der Eurozone der Europäische Rettungsfonds) privilegiert sind: Schulden bei ihnen müssen auf jeden Fall bedient werden. In der Praxis allerdings hat der IWF armen Ländern auch schon Schulden erlassen.

Am längeren Hebel sitzen bleiben

Der einzige echte Beschluss in der jüngsten Resolution ist, dass der Prozess fortgeführt wird. Mit anderen Worten: Die G77 und China fordern die Industrieländer lediglich auf, im Rahmen der UN über ein Insolvenzverfahren zu reden. Genau das verweigern die: Die Industrieländer bestehen darauf, dass der IWF für Finanzfragen das einzig richtige globale Forum ist. Im IWF haben große Kapitalgeber mehr Stimmen und die USA ein Veto.

Offenbar wollen die Industrieländer und speziell die USA vor allem die Kontrolle über die Gestaltung der globalen Finanzordnung behalten. Die Bundesregierung kann zudem kein Staaten-Insolvenzrecht befürworten, solange sie im Fall Griechenland auf dem Diktat der Gläubiger besteht und jeden Schuldenerlass für unzulässig erklärt. Die harte Haltung des Nordens fördert das gemeinsame Auftreten der G77 und China, die eigentlich sehr unterschiedliche Interessen haben. China zum Beispiel ist ein großes Gläubigerland, steht aber an der Seite der armen Schuldner, um damit Druck auf den Norden zu machen.

Kurz: Die Industrieländer machen aus der Debatte über eine überfällige Reform eine Machtfrage. Dabei bleibt die Vernunft auf der Strecke. Der Preis wird in der nächsten Schuldenkrise fällig – für Schuldner und für Gläubiger.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2015: Gesundheit: Ohne Fachkräfte geht es nicht
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