„Es tut mir nicht Leid, dass ich’s gemacht hab“

Das Österreich der 1960er und 1970er Jahre war weit entfernt von den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, nicht nur geographisch. Dennoch machte sich eine allmählich wachsende Zahl von Menschen auf, um als Entwicklungshelfer oder -helferin mehrere Jahre auf einem oder mehreren dieser Kontinente zu verbringen. Die meisten sagen, ihnen habe diese Zeit viel gebracht – wahrscheinlich mehr, als sie selbst als Helfer geben konnten.
Die Lust am Abenteuer und die Sorge um den fernen Nächsten waren die stärksten Triebfedern für viele der ersten österreichischen Entwicklungshelfer. In den Interviews mit ihnen kommt das Bewusstsein zum Ausdruck, „dass ich irgendwas beitragen soll und kann zur Veränderung in der Welt“, wie Herr St. meint. Der häufig genannte Wunsch zu helfen war überwiegend christlich inspiriert und folgte „dem hohen Ideal der Nächstenliebe“. Politische Motive hingegen spielten eine untergeordnete Rolle. Mehrere der Interviewten schildern allerdings, wie sie sich in den Jahren als Entwicklungshelfer von Amtskirche und Religion zunehmend abwandten und eine linke Politisierung erlebten: „Die Religion hab ich mir bald abgeschminkt, auch ... der Glaube ist mir abhanden gekommen.“
 

Autor

Gerald Hödl

ist Historiker und arbeitet an der Universität Wien in einem Forschungsprojekt zur kolonialen Entwicklungspolitik.

Immer wieder fallen die Worte Abenteuer und Abenteuerlust, wenn es um die Entscheidung für den Entwicklungseinsatz geht. Frau F. konnte sich „das nicht so vorstellen, dass ich im Alter mal in Österreich sitze“. Herr N. schildert „die Enge dieses Bergbauernhofes, auf dem ich aufgewachsen bin“. Sie war „mit ein Grund, dem zu entfliehen“. Bereits sein Vater habe versucht, der Enge zu entkommen, und zwar in den Weltkrieg; ihm habe die Entwicklungshilfe diese Möglichkeit eröffnet.

Freude am Reisen

Für die 1990er Jahre und für die späten 2000er Jahre liegen Untersuchungen vor, in denen die Motive österreichischer Entwicklungshelfer untersucht wurden. Sie gelangen zu einem Ergebnis, das dem Bild aus den Interviews der Helfer und Helferinnen aus den 1960er und 1970er Jahren stark ähnelt. Das wichtigste Motiv ist laut den neueren Studien der Wunsch, andere Kulturen kennenzulernen sowie etwas Sinnvolles und Wichtiges zu tun; auch die Freude am Reisen ist nach wie vor ein nicht unwesentlicher Grund. Eine auffallende Kontinuität zeigt sich ferner in der geringen Bedeutung, die dem Entwicklungshilfeeinsatz für die eigene berufliche Karriere beigemessen wird. In den 1960er und 1970er Jahren, so erzählen es viele der Interviewten, war die Arbeitsmarktsituation in Österreich für sie derartig günstig und die materiellen Bedingungen des Entwicklungsdienstes so unattraktiv, dass es keine handfesten beruflichen oder finanziellen Gründe für die Tätigkeit als Entwicklungshelfer gab.

Eine „erzählte Geschichte“ der Entwicklungshilfe Österreichs

Was hat junge Männer und Frauen aus Österreich vor 40 Jahren bewogen, als Entwicklungshelfer nach Afrika, Asien oder Lateinamerika zu ...

Allgegenwärtig in den Erzählungen ist die katholische Kirche, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit den großen katholischen Entsendeorganisationen Institut für Internationale Zusammenarbeit (IIZ) und Öster-reichischer Entwicklungsdienst (ÖED) – 2001 zu Horizont3000 fusioniert –, sondern auch und vor allem in Bezug auf die Einsätze selbst. Viele der Projekte wurden über kirchliche Netzwerke initiiert, die zwischen Österreich und Lateinamerika beziehungsweise Afrika bestanden, und nutzten die kirchliche Infrastruktur vor Ort. Zugleich bedienten sich die lokalen kirchlichen Institutionen der österreichischen Entwicklungsprojekte. Der für ihr Projekt zuständige Bischof „war ärmer“, erinnert sich Frau B., „also der war froh, dass der von Österreich oder Europa oder wo Leute oder Geld ... kriegt, für die Arbeit“.

Die Einbindung österreichischer Entwicklungshelfer in kirchliche Strukturen erwies sich in einigen Fällen als durchaus problematisch, etwa wenn sich die persönliche Weltsicht veränderte, wie Frau K. erzählt: „Die Diözese wollte natürlich kirchliche Loyalität. Allerdings hat sich dann im Laufe der Arbeit herausgestellt, dass meine Vorstellung von Jugendarbeit nicht mit der charismatischen Linie von dem neuen Bischof zusammengepasst hat. Und ich mich in der Zeit von der Kirche eher distanziert habe.“ In einem anderen Fall prallten unterschiedliche Entwicklungsvorstellungen aufeinander: jene des Paters und Projektleiters, der „sich schnell noch so eine Art Denkmal ... schaffen“ wollte, „also ein größeres Bauobjekt oder einen Traktor“, und jene von Herrn R. und seinen Kollegen und Kolleginnen, die für ein bedächtigeres und gemeinsam mit der Bevölkerung erarbeitetes Vorgehen eintraten.

Unterstützung beim Befreiungsprozess

Die Tätigkeiten in den Projekten waren so vielfältig, dass es schwer fällt, sie zu verallgemeinern oder gar eine Typologie zu erstellen. Manche der Interviewten beschränkten sich darauf – oder mussten sich angesichts der Rahmenbedingungen darauf beschränken –, vordefinierten Anforderungsprofilen zu entsprechen. Andere wiederum bemühten sich von Anfang an, gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung Aufgaben festzulegen und geeignete technische Lösungen zu finden. Eine dritte, sehr kleine Gruppe versuchte, politisch emanzipatorische Aktivitäten zu unterstützen – „das Bewusstsein zu stärken, dass die Leute aus ihrer Situation halt ihre gewünschten Veränderungen initiieren konnten“, wie es Frau K. ausdrückt. Sie stützt sich dabei genauso auf den brasilianischen Pädagogen Paulo Freire wie Herr G., der es ablehnt, als Entwicklungshelfer bezeichnet zu werden. Sein Selbstverständnis sei ein ganz anderes gewesen: „Ich bin ein compañero, ich begleite jemanden, ich bin ein Verbündeter“. Nicht um Entwicklung sei es ihm gegangen („ein grundsätzlich sozusagen irreführender Begriff!“), sondern um einen „Befreiungsprozess“, in dem es galt, den „indianischen Menschen ... in Paraguay“ zu helfen, „ihre Rechte wirksam zu vertreten“.

In diesen Erzählungen tut sich eine Welt auf, die weit entfernt ist von heutigen Praktiken der Entwicklungszusammenarbeit, von „Logframes“ und Projektevaluationen, und in der gleichzeitig auf spontane und radikale Weise vieles möglich war und von dem vorweggenommen wurde, was später in domestizierter Form als „participatory development“ und „empowerment“ Eingang in den entwicklungspolitischen Kanon gefunden hat. Dennoch handelt es sich auch dabei nur um Spielarten des zugrundeliegenden Machtverhältnisses innerhalb der sogenannten technischen Hilfe: Menschen aus Nordamerika, Ostasien und Europa sehen sich berufen, ihre als höherwertig eingestuften Fähigkeiten, Kenntnisse und Verhaltensweisen an Menschen aus dem „Süden“ weiterzugeben, um deren Produktivität und Lebensqualität zu erhöhen. Ausgangspunkt war oft die Annahme, den Menschen des Südens fehle es an Bildung. Abhilfe könne nur der „Norden“ schaffen, so die gängige Auffassung jener Zeit, wie sich Herr L. erinnert: „In den 1960er Jahren ... hat es geheißen: Know-how und Technologie, und dann rennt das Ganze ... Und wir waren halt das Know-how quasi.“

Derartigen Äußerungen stehen Erinnerungen gegenüber, in denen die Verbreitung europäischen Wissens mittels Entwicklungshilfe problematisiert wird. Mehrere der Interviewten betonten den Wert indigenen Wissens, etwa im Fall landwirtschaftlicher Methoden, die zwar nicht europäischen Vorstellungen, aber den ökologischen Verhältnissen vor Ort entsprachen. Andere Gesprächspartner erinnern sich an die Unzulänglichkeit der eigenen Kenntnisse: Dass einiges nicht wie gewünscht funktioniert habe, habe nicht zuletzt daran gelegen, erzählt Frau K., dass sie „einfach zu jung“ gewesen sei und „unternehmerisch überhaupt keine Ahnung gehabt“ habe.

In dem agrarwissenschaftlichen Lehrgang, in dem er unterrichtete, erinnert sich Herr St., hätten Afrikaner gesessen, „die haben mich also locker an Erfahrung übertroffen mit, wie soll man sagen, einer Kompetenz“. Er wisse auch von Fällen, in denen die mangelnde Kompetenz der vermeintlichen Fachleute zu unverhohlener Kritik geführt habe. Junge, gebildete Afrikaner und Afrikanerinnen hätten solche Leute als „le petit blanc“ bezeichnet, „also dass man da eben immer die kleinen Weißen schickt, die oft nicht so ausgebildet sind und nicht Französisch können“. Die Kritik sei auch deshalb so schneidend ausgefallen, weil die Entwicklungshelfer und -experten in Konkurrenz zu einheimischen Fachleuten standen: Diese „haben eher das Gefühl gehabt, dass wir verdrängen, wir verdrängen sie von ihren Plätzen, sie könnten das eigentlich schon lang, und besser“.

Einige der Interviewten zogen eine scharfe Trennlinie insbesondere zu Diplomaten und Mitarbeitern internationaler Organisationen: „Die abschreckenden Beispiele waren die sogenannten Beamten der UNO, UNESCO“, erzählt Herr H. „Die waren in der Hauptstadt, und wenn die nur drei Schritte aus den eigenen vier Wänden gemacht haben, dann waren sie schon im Busch ... Die haben eine irrsinnige Angst gehabt. Die sind dann zu uns gekommen und haben uns dann erklären wollen, wie die Welt dort geht. Und konnten net einmal die einheimische Sprache. Na, die haben wir meistens immer ziemlich kühl behandelt und wieder dorthin gschickt, wo sie hingehören, nämlich in die Hauptstadt, dann war die Gschicht erledigt.“ Frau A., die selbst eine Zeitlang als Expertin der FAO gearbeitet hatte, spricht wiederholt von der „Expertenmafia“, die sich oft aus ehemaligen Kolonialbeamten zusammengesetzt habe, von den „Weltbankhansln“. Ihre persönliche Konsequenz: „Von den Europäern habe ich mich ferngehalten aus Prinzip.“

Als Bilanz ihrer Einsatzzeit nennen die Befragten nur ganz selten praktische Resultate ihrer Arbeit. Stattdessen scheint es so, als hätte das zentrale Ergebnis darin bestanden, dass Wissen, Erfahrungen und Emotionen vom Süden in den Norden geflossen seien. Herr G.: „Man bekommt mehr, als was man gibt ... Wobei ich da nicht sicher bin, was ich gegeben habe.“ Frau L. geht davon aus, „dass ich sicher nicht so viel zurückgeben konnte, wie ich bekommen hab“, und Herr M. hat sich „so gefühlt, dass ich derjenige bin, der am meisten davon profitiert hat, ich eigentlich wenig tun konnte für die Leute“. Die „intensivsten Jahre meines Lebens“ sei die Zeit in Lateinamerika gewesen, sagt Herr G., „eine wunderschöne Zeit“, meinen unabhängig voneinander Frau H. und Frau L., und für Herrn St. waren seine Jahre in Afrika der „wichtigste Lebensabschnitt, ... das hat also mein ganzes weiteres Leben geprägt“. Stellvertretend für die meisten ehemaligen Entwicklungshelfer bezeichnet Frau K. die Einsatzzeit als „das beste Lernfeld und das beste Stipendium, das ich bekommen konnte“ – „lernen“ und „lehrreich“ sind die beiden Wörter, die am häufigsten fallen, wenn die Befragten Rückschau halten.

Zu den positiven Erfahrungen, die sie mitnahmen, zählen die Interviewten Toleranz sowie „einen offeneren und weiteren Blick“, „Zugang zu anderen Kulturen“, Freundschaften – und in einigen Fällen eine Politisierung, die weit über die Einsatzzeit hinausreichte. Die Zeit als Entwicklungshelfer wurde zum „Impuls für uns, Weiteres zu tun“, als Auftrag, „die bewusstseinsbildende Arbeit in Österreich zu forcieren“, wie Frau K. erzählt. Und so wurden etliche der Interviewten nach ihrer Rückkehr zu Trägern der sich in den 1970er Jahren formierenden österreichischen Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung. Aber das ist dann schon wieder eine andere Geschichte.

Der Beitrag ist in längerer Form zuerst erschienen im Journal für Entwicklungspolitik, Jg. 26, Heft 3, 2010.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2011: Entwicklungsdienst: Wer hilft wem?
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