„Entwicklungspolitik? Was soll das sein?“

Zum fünften Jubiläum pflegt „welt-sichten“ seine Debattenkultur
Zum fünften Jubiläum pflegt „welt-sichten“ seine Debattenkultur

Klar, dass die Hauptnachrichten eher über eine Herdprämie berichten als über Wertschöpfungsketten in Kenia. Wie vermittelt man komplexe Themen aus fernen Regionen? Und landet man damit zwangsläufig in einer Nische? Darüber diskutierten die Gäste beim „Doppeljubiläum“ der Zeitschrift „welt-sichten“ und ihres Herausgebervereins am 1. Februar in Frankfurt am Main.

Fünf Jahre gibt es das Magazin nun, und die meisten der rund 60 geladenen Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen, Medien, Politik und Kirche zeigten sich zuversichtlich. Globale, komplizierte Themen seien durchaus vermittelbar, sagte Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst: „Man muss die Leute da abholen, wo ihre eigenen Interessen liegen, zum Beispiel als Konsumenten.“

Tatsächlich funktioniert das ja bereits: Die ARD-Tagesthemen berichten über ausgebeutete Menschen in Asiens Textilfabriken, die an deutsche Discounter liefern. Oder über Schokolade, deren Gewinnspannen die Kakaobauern in Westafrika bezahlen. Bettina Gaus, Redakteurin der Berliner „tageszeitung“, zeigte aber auch Grenzen auf: „Nicht alle Menschen interessieren sich für die Themen, die ,welt-sichten' behandelt.“ Das sei auch nicht notwendig. Das Magazin solle sich weiterhin an eine „interessierte Teilöffentlichkeit“ richten. Die Frage sei deshalb nicht, wie man die Auflage steigern könne, „sondern wie man diesen Journalismus unabhängig hält“, sagte Gaus.

Thilo Hoppe, Bundestagsabgeordneter der Grünen, kritisierte, dass einige Medien mit größerer Auflage vor allem nach Skandalen suchten. Es fehle an differenzierten Hintergrundstücken, die beispielsweise wichtige UN-Entscheidungen erklärten. „Solche Themen werde ich bei Journalisten kaum los“, monierte Hoppe. „Aber zum Teppich von Dirk Niebel hätte ich damals in den Hauptnachrichten ein Interview geben können.“

Matthias Ruchser vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik mahnte, die Fachsprache entwicklungspolitischer Debatten sei für ein größeres Publikum Gift. „Da müssen die Experten verständlicher werden“, sagte Ruchser. Viel Zustimmung bekam Bettina Gaus für ihren Appell, endlich den Begriff „Entwicklungspolitik“ zu überwinden. „Was soll das denn sein?“, fragte Gaus provokant. Der Begriff Entwicklung suggeriere einen linearen Aufstieg aus der Armut. Das sei ein Irrtum, wie das Beispiel Somalia zeige.

Gaus sprach sich zudem gegen Begriffe wie „Empfängerländer“ oder „Zusammenarbeit“ aus, denn diese Begriffe seien Schönfärberei und verschleierten das klare Machtgefälle zwischen Industrieländern und armen Staaten. Gaus lobte „welt-sichten“ dafür, eine andere Perspektive einzunehmen als jene des überlegenen, gutmütigen Helfers aus dem Norden.

Die Macher von „welt-sichten“ hörten viel Lob – und Wünsche nach noch mehr Kontroverse, mehr Meinung, gegensätzlichen Positionen und kurzen, prägnanten Analysen. Der Vorsitzende des Herausgebervereins, Hans Spitzeck, nannte das Magazin ein „einzigartiges Beispiel für eine ökumenische Kooperation über Landesgrenzen hinweg“. Jörg Bollmann, Geschäftsführer des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik, sagte: „Die Leser von ,welt-sichten' wissen mehr von der Welt und haben einen zeitlichen Vorsprung.“ Als Beispiel nannte er eine Analyse über Mali im vergangenen Herbst.

„,welt-sichten' pflegt keine politische Korrektheit, sondern gibt Denkanstöße“, sagte Chefredakteur Bernd Ludermann. Das Magazin betrachte sich als Ergänzung zur Tagespresse und wolle Fachleute genauso ansprechen wie eine breite Leserschaft.

Der Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik (VFEP), der „welt-sichten“ herausgibt, wurde im Januar 2003 gegründet. Ihm gehören sieben evangelische und katholische Entwicklungswerke an, darunter zwei aus der Schweiz. Sie fördern damit einen unabhängigen Journalismus, der für brisante globale Fragen wie soziale Gerechtigkeit, den Umgang mit natürlichen Ressourcen oder zivile Konfliktbewältigung öffentliche Aufmerksamkeit schaffen soll. Zugleich wurde damit die Finanzierung, zunächst der Vorgängerzeitschrift „epd Entwicklungspolitik“ (später „eins Entwicklungspolitik) und dann von „welt-sichten“ auf eine breitere Basis gestellt. (Felix Ehring)

Lesen Sie auch die Empfehlungen der Redaktion aus fünf Jahren „welt-sichten“:

Chefredakteur Bernd Ludermann empfiehlt den Beitrag von Hans-Joachim Spangenberg vom Juni 2011: Spangenberg zeigt, dass unsere Wirtschaftsweise entscheidende Grenzen für die Tragfähigkeit des Planeten missachtet. Ein Umbruch hin zu einer Wirtschaft mit geringem Energie- und Rohstoffkonsum steht bevor, ob wir das wollen oder nicht.

Der Historiker Robert Aldrich analysierte im September 2010, wie das Stigma der Homosexualität erfunden wurde. Ein informativer, unaufgeregter Beitrag, der eine gute Grundlage für die noch andauernden Debatten legt, meint Redakteurin Gesine Kauffmann.

Bereits im Juli 2008 erklärte Robert G. Berschinski, welches Unheil die USA mit ihrem Kampf gegen vermeintliche und echte Terroristen in Mali anrichteten. Berschinski wusste als ehemaliger Aufklärungsoffizier der US-Luftwaffe, wovon er schrieb. Redakteur Tillmann Elliesen sagt: Ein Insiderbericht, der vieles verständlich macht, was heute in Mali passiert.

Der Geisteswissenschaftler Mark LeVine schrieb im Juni 2010 über Heavy Metal im IranVolontär Sebastian Drescher sagt: Ein spannender Artikel, der verfolgt, wie sich eine junge Metalszene im konservativen Mullah-Staat immer wieder Freiräume erkämpft. 

An den Grenzen Europas werden jeden Tag Menschenrechte verletzt. In Griechenland, Italien, Spanien, Malta und Zypern. Karl Kopp mahnt im August 2012: Von einer Asylpolitik, die die Menschenrechte achtet, ist Europa weit entfernt. Lesenswert, findet Tanja Kokoska von „welt-sichten“-Online.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
unmöglich, auf die verschiedenen anregenden Diskussionsbeiträge Ihrer Gesprächsrunde einzugehen. Deshalb nur ein Punkt: die Forderung, den Begriff "Entwicklungspolitik" zu `überwinden` fand, berichten Sie, `viel Zustimmung`. Einzige Begründung: angeblich suggeriere der Begriff `einen linearen Aufstieg aus der Armut`. Größte Hochachtung vor der journalistischen Arbeit von B. Gaus. Meines Erachtens ist ihr Einwurf aber viel zu kurz gegriffen. Selbstverständlich ist es das Ziel von Entwicklungspolitik, die Lebensbedingungen für die Menschen in den Partnerländern zu verbessern - sonst sollte sie ihre Koffer packen. Entwicklung ist aber sehr viel mehr als Armutsüberwindung - statt verschiedener Begründungen der Hinweis: wir alle sprechen von der Entwicklung unserer Kinder und meinen die volle Entfaltung ihrer Fähigkeiten. So ist es auch bei der Entwicklung von Gesellschaften gemeint - dies als Versuch einer kurzen Antwort auf die Frage: `Was soll das denn sein ?´ Das s o l l es sein. Gewiss eine gewaltige Aufgabe - mit Linearität hat das aber nichts zu tun - das wäre eine viel zu mechanische, eindimensionale Betrachtungsweise. Irrtümer und Fehler mit den daraus resultierenden Lernprozessen sind dem Entwicklungsbegriff inhärent und nicht von ihm zu trennen. Also gerade kein gerader Weg. Und welche Bezeichnung sollte denn die so verstandene umfassende Entwicklungsarbeit besser und unmißverständlich kennzeichnen? Schade, dass es dazu keinen Vorschlag gab; er wäre wahrscheinlich genauso oder leichter angreifbar. "Entwicklungshilfe" und "wirtschaftliche Zusammenarbeit" können es jedenfalls nicht sein.
Schließlich: Partnerschaftliche Zusammenarbeit ist trotz wirtschaftlichen Gefälles zwischen den Beteiligten möglich, wenn die menschliche und kulturelle Gleichrangigkeit des Vertragspartners anerkannt wird. Und das gibt es, wie ich aus eigener Erfahrung weiss.
Mit freundlichen Grüssen
Cay Gabbe

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Sehr geehrte Damen und Herren,

bei allen Kommentaren die ich zu diesen Thema gelesen habe, stelle ich mir die Frage, wie wohl die Betroffenen Personen, um die es letztendlich geht darüber denken würden? Für diese Menschen geht es mehr oder weniger darum, wie sie ihren beschwerlichen Altag etwas leichter gestalter können.

Entwicklungshilfe hat genau diese Aufgabe. Ein Entwicklunghelfer muß die Möglichkeit bekommen in zwei oder drei Jahren nachhaltig zur Verbesserung der Lebensbedingungen beizutragen.

Wenn wir über die Darstellung der Entwicklungshilfe in der öffentlichkeit sprechen, sollten wir die Erfolge vieler engagierter Mitarbeiter in der Heimat und vor Ort in den Vordergrund stellen. Wir "Deutschen" neigen immer dazu, uns in Selbstkritik zu ergehen und sehen nicht, wie sehr wir im Ausland geschätzt werden.

Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Buchholz

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