Auslaufmodell Entwicklungshelfer?

Der Entwicklungsdienst droht in Deutschland sein Profil zu verlieren

Es gab eine Zeit, da waren Entwicklungshelfer richtige Revoluzzer. Vor vierzig Jahren herrschte Aufbruchstimmung beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED). Man war angesteckt vom Geist der 68er und der aufkommenden Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung. Ihren Dienst bei den Armen in Afrika, Asien und Lateinamerika verstanden viele Helfer als politischen Beitrag für eine bessere Welt. Ein rein fachlicher Entwicklungsdienst sei unmöglich, hieß es damals. Und ganz wichtig für die eigene Identität: Mit der als technokratisch und eigennützig verpönten staatlichen Entwicklungszusammenarbeit wollte man möglichst wenig zu tun haben. Der Entwicklungsdienst sei nicht Teil der staatlichen Hilfe, sondern eine Alternative zu ihr, erklärte die DED-Spitze 1970 selbstbewusst.

Autor

Tillmann Elliesen

ist Redakteur bei "welt-sichten".

Heute kann davon keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Seit diesem Jahr gehört der DED ganz offiziell zum Werkzeugkasten der staatlichen deutschen Entwicklungshilfe. Im Januar wurde er mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und der Weiterbildungsagentur InWent zur neuen Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zusammengelegt. Internationale Gremien wie der Entwicklungsausschuss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bemängeln seit Jahrzehnten, die deutsche Entwicklungspolitik sei auf zu viele Institutionen zersplittert und deshalb weniger wirksam als möglich. Mit der Fusion der drei Organisationen zur GIZ will Entwicklungsminister Dirk Niebel das Problem lindern.

Dafür hat er aus allen politischen Lagern Lob erhalten. Allerdings droht der DED-Entwicklungshelfer nun endgültig sein spezifisches Profil zu verlieren, das ihn etwa von den Experten der bisherigen GTZ unterscheidet. Im Entwicklungsministerium (BMZ) und in der GIZ scheint man das eher gelassen zu sehen. Zumindest hat man sich in beiden Häusern offensichtlich noch nicht allzu viele Gedanken über eine Abgrenzung gemacht und scheint das auch nicht für vordringlich zu halten. Selbst der Geschäftsführer des bisherigen DED, Jürgen Wilhelm, jetzt Mitglied des GIZ-Vorstandes, betont die Gemeinsamkeiten zwischen DED-Helfern und GTZ-Experten; die Unterschiede zwischen beiden, etwa in Bezug auf ihre Qualifikation und ihre Arbeitsfelder, ihren Auftrag und ihre Bezahlung, seien in den vergangenen Jahren kleiner geworden.

Breite Einsatzmöglichkeiten

Hinzu kommt, dass mit der Gründung der GIZ eigenständige DED-Projekte zum Auslaufmodell werden. Früher hat der DED vom Entwicklungsministerium ein jährliches Budget erhalten und konnte mehr oder weniger selbstständig entscheiden, in welche Länder er wie viele Entwicklungshelfer schicken will. In der GIZ hingegen sind DED-Vorhaben Teil der technischen Zusammenarbeit, das heißt sie werden aus demselben Haushaltstitel finanziert und auch inhaltlich in diese integriert. Schon seit einigen Jahren werden DED-Helfer verstärkt in GTZ-Projekte eingebunden; derzeit arbeitet ein gutes Drittel von ihnen zusammen mit GTZ-Experten in solchen Kooperationsvorhaben. In den kommenden Jahren soll dieser Anteil deutlich gesteigert werden; in der GIZ spricht man von bis zu 80 Prozent, im BMZ will man sich nicht auf eine Zielmarke festlegen.

Mehr gemeinsame Projekte sind einerseits sinnvoll – wozu sonst wäre die Fusion von GTZ und DED gut gewesen? Andererseits verringert das den Spielraum für den Einsatz von Entwicklungshelfern in Ländern, mit denen Deutschland keine Vereinbarung über Entwicklungszusammenarbeit hat, etwa in Diktaturen wie Simbabwe. Oder in Sektoren, die nicht zu den Schwerpunkten der staatlichen Zusammenarbeit mit einem Land zählen. Doch gerade diese Unabhängigkeit und Flexibilität sowie die Möglichkeit, in autoritären Staaten oder Diktaturen mit gesellschaftlichen Kräften zu arbeiten, sehen viele als ein wichtiges Markenzeichen des bisherigen DED.

Zwar nennt auch die GIZ in einem internen Papier mit ersten Überlegungen zur künftigen Rolle der Entwicklungshelfer die breiten Einsatzmöglichkeiten „auch außerhalb der Schwerpunkte in Partnerländern sowie in Nicht-Partnerländern“ als eine der Stärken des Entwicklungsdienstes. Insgesamt aber liest sich das Papier eher wie ein Konzept dafür, den DED-Entwicklungshelfer von einst in der GIZ als eine Art „Juniorfachkraft“ zu etablieren, die in Partnerorganisationen auf lokaler und regionaler Ebene umzusetzen hilft, was die GTZ-Experten mit Ministerien und Regierungsbehörden in den Hauptstädten austüfteln.

Genau das fürchten die nichtstaatlichen Personalentsender wie der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) oder die katholische Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH). Für sie unterscheidet sich der Entwicklungsdienst vom Experteneinsatz weiter dadurch, dass die Helfer in das Leben und den Alltag lokaler Gemeinschaften eingebunden sind, dass nicht nur die eine Seite von der anderen, sondern beide Seiten voneinander lernen und dass der Helfer sich über seinen eigentlichen Dienst hinaus sozial und entwicklungspolitisch engagiert, auch nach der Rückkehr ins Heimatland. Wenn der DED-Helfer zur „Juniorfachkraft“ degradiert werde, bei der diese Aspekte keine Rolle mehr spielen, dann färbe das auch auf die nichtstaatlichen Dienste ab, sagt Jürgen Deile vom EED. Der DED ist mit rund tausend Helfern im Einsatz etwa doppelt so groß wie die sechs nichtstaatlichen Dienste zusammen und ist damit so etwas wie ein Trendsetter. Erhält der Entwicklungsdienst in der GIZ kein klares Profil, dann könnte der Einsatz als Entwicklungshelfer generell an Attraktivität verlieren, fürchtet Deile.

Schwierige Rückkehr in den alten Beruf

Allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen Entwicklungsdienst und Experteneinsatz nicht erst seit es die GIZ gibt – und auch die nichtstaatlichen Dienste haben wenig unternommen, das zu verhindern. Im Entwicklungshelfer-Gesetz von 1969 ist er definiert als „Dienst ohne Erwerbsabsicht“, bei dem junge Männer und Frauen ihre Fachkenntnisse gegen ein Taschengeld für zwei oder drei Jahre einem Entwicklungsland zur Verfügung stellen und anschließend wieder in ihren Beruf zurückkehren. Damit haben heutige Einsätze häufig nichts mehr zu tun. Alle drei großen Personaldienste DED, EED und AGEH haben den Entwicklungsdienst zunehmend professionalisiert und die Anforderungen an die Qualifikation der Helfer immer weiter nach oben geschraubt. Das Durchschnittsalter der DED-Helfer ist seit 1978 von 28 auf 41 Jahre gestiegen, der durchschnittliche AGEH-Helfer war in den 1960er Jahren 26 Jahre alt, heute ist er 47.

Der DED sei „grundsätzlich kein Einstieg für eine Berufsperspektive in der Entwicklungszusammenarbeit“, schrieben ehemalige Helfer noch Ende 2009 in einem Thesenpapier. Dabei war schon damals das Gegenteil der Fall: Mehr als die Hälfte aller Entwicklungshelfer geht heute nach beendetem Einsatz mindestens noch ein zweites Mal „ins Feld“, wie es im Helfer-Jargon heißt. Und viele wechseln von einem Entsendedienst zum nächsten oder werden „Experten“ in der technischen Zusammenarbeit. Heute sei es viel schwieriger als früher, nach einigen Jahren Entwicklungsdienst wieder in den alten Beruf zurückzukehren, erklärt Hartwig Euler vom Arbeitskreis „Lernen und Helfen in Übersee“ (AKLHÜ). Die im Entwicklungshelfer-Gesetz als „Unterhaltsleistung“ bezeichnete Bezahlung der Helfer ist im Lauf der Zeit deutlich angehoben worden und bietet heute ein ordentliches Auskommen, zumal für Helfer mit Familie. Kurz: „Entwicklungshelfer“ ist längst ein Beruf. Und die Abgrenzung zum „Experten“ der technischen Zusammenarbeit ist in der Öffentlichkeit kaum noch zu vermitteln.

Die staatlich anerkannten Entwicklungsdienste hätten in den vergangenen Jahren stärker eigene Ideen zur Profilierung vorlegen müssen, sagt Euler. Man habe sich auf dem Entwicklungshelfer-Gesetz ausgeruht, ohne danach zu fragen, inwieweit es heute und in Zukunft überhaupt noch der Wirklichkeit entspricht. Jetzt besteht die Gefahr, dass sie von den Entwicklungen in der GIZ überrollt und von den Diskussionen dort abgehängt werden. Bis zur Gründung der GIZ hat der Arbeitskreis „Lernen und Helfen in Übersee“ die nichtstaatlichen Dienste als Mitgesellschafter im DED vertreten. Jetzt hat er formal nichts mehr zu sagen. Das BMZ betont zwar, man wolle die nichtstaatlichen Dienste an der Ausarbeitung eines neuen Entwicklungshelfer-Profils beteiligen. Doch davon sei bisher wenig zu spüren, klagt Euler.

Der Zug ist längst abgefahren

Im Kabinettsbeschluss vom Juli 2010 zur Gründung der GIZ hieß es, die Entsendung von Entwicklungshelfern werde „in der neuen Gesellschaft fortgeführt und erkennbar bleiben“. Damit werde „das eigenständige Profil“ der Helfer gewahrt. Manch einer bezweifelt aber, dass das noch gilt. Dem Vernehmen nach hat BMZ-Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz unlängst intern sowohl den Begriff als auch das Instrument „Entwicklungshelfer“ als nicht mehr zeitgemäß in Frage gestellt. Bei den nichtstaatlichen Diensten (und wohl auch bei Mitarbeitern des BMZ und des DED) sieht man das anders: Merkmale des Entwicklungsdienstes wie die persönliche Begegnung, der soziale und interkulturelle Austausch und die Ergebnisoffenheit des Personaleinsatzes seien wichtig für die Entwicklungszusammenarbeit. Ohne sie seien Fehlschläge wahrscheinlicher.

Die Personalentsender müssen Prioritäten setzen, sagt Euler. Will man möglichst erfahrene und fachlich gut qualifizierte Helfer, am besten schon mit Auslandserfahrung? Dann wird sich der Beruf „Entwicklungshelfer“ weiter etablieren und die Abgrenzung zum technischen „Experten“ immer schwieriger. Oder will man wieder die „weichen“ Merkmale des Entwicklungsdienstes betonen, die Einsätze zeitlich begrenzen, das Wechseln von einem Entsender zum nächsten unterbinden und so wieder den Charakter als befristeten Dienst stärken?

Ob sich das Rad dergestalt wieder zurückdrehen lässt, ist allerdings fraglich. Beim DED ist der Zug wahrscheinlich längst abgefahren. In der GIZ dürfte der Ausbau der Kooperationsvorhaben mit dem Ziel einer vollständigen Integration des Entwicklungsdienstes in die staatliche Entwicklungszusammenarbeit darüber entscheiden, welche Art von Helfer künftig gebraucht wird – eigenes Profil hin oder her. Und wenn der DED-Helfer erst einmal als „Juniorfachkraft“ etabliert ist, wird das wahrscheinlich auch die Diskussion über das Entwicklungshelfer-Gesetz richtig entfachen. Denn dann wäre es endgültig nicht mehr vertretbar, vom „Dienst ohne Erwerbsabsicht“ zu sprechen, für den man Unterhaltsleistungen statt ein ordentliches Gehalt erhält.

Für die nichtstaatlichen Dienste ist das gefährlich, weil mit dem Entwicklungshelfer-Gesetz auch ihre Arbeitsgrundlage kippen würde. Umso wichtiger ist es, dass sie nicht weiter auf die GIZ starren wie das Kaninchen auf die Schlange und sorgenvoll abwarten, was mit dem großen Bruder DED passiert. Die drohende Abwicklung des DED könnte auch als Gelegenheit begriffen werden, das eigene Profil zu schärfen – für einen ausdrücklich nichtstaatlichen und kirchlichen Entwicklungsdienst, der es wert ist, vom Staat gefördert zu werden.

 

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Herr Elliesen hat vollkommen recht! Die nichtstaatlichen Dienste dürfen keinesfalls nur auf die Entwicklung des Entwicklungshelfers (EH) in der GIZ schauen und sie gar abwarten! Sie werden für ihre EH-Vorstellungen keinen entsscheidenden Einfluss auf die GIZ-BMZ-EH-Konzeption nehmen können. Anders als beim DED ist die Zivilgesellschaft nicht mehr beteiligt. Die EHer sind ein rein staatliches EZ-Instrument geworden; die Stellung als Juniorfachkraft wird sich zwangsläufig ergeben. Der Ausweg liegt tatsächlich darin, dass sich wenigstens (oder zunächst) die beiden kirchlichen Entwicklungshelferdienste auf die eigene (!) konzeptionelle und ethische Stärke besinnen und sie im Hinblick auf die gegenwärtigen entwicklungspolitischen Herausforderungen aktualisieren ("schärfen"). Sie könnten den Begriff des "Dienstes" glaubhaft vertreten und andere nichtstaatliche Entwicklungsdienste motivieren, anregen und mitziehen. Ein unterschiedliches Profil staatlicher und nichtstaatlicher EHer ist überzeugender als ein gleiches! In der Vergangenheit sind die kirchlichen Entwicklungswerke wiederholt mutig "vorausgegangen" und haben die Richtung von Entwicklungspfaden bestimmt. Ob sie dazu heute auch noch den Mut und die Kraft haben? Zu wünschen ist es; es könnte für die EHer ein Aufbruch werden.
Cay Gabbe

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Lieber Herr Gabbe, vielen Dank für Ihren Kommentar. Die Vertreter nichtstaatlicher, auch kirchlicher Entsendedienste, mit denen ich für unseren aktuellen Brennpunkt gesprochen habe, haben die Hoffnung auf einen Entwicklungsdienst in der GIZ freilich noch nicht aufgegeben. Auch deshalb halten sie sich noch damit zurück, Initiativen wie den Aufruf des DED-Freundeskreises offen zu unterstützen. Der GIZ-Vorstand hat ja den Auftrag, ein Konzept für einen (neuen) Entwicklungsdienst auszuarbeiten. Wie ernst sie diesen Auftrag nehmen, ist natürlich eine andere Frage. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass das BMZ dem neuen Evaluierungsinstitut den Auftrag erteilt hat, das Instrument des Entwicklungshelfers zu evaluieren. Von den Ergebnissen wird einiges abhängen.

Tillmann Elliesen

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Der Artikel beschreibt klar den Bedeutungsverlust des Entwicklungshelferstatus. Doch während die privaten und kirchlichen Träger weiterhin den Entwicklungshelfer als wertsteigerndes Element in der Projektarbeit sehen, ist der EH im GIZ-System nie angekommen, schlimmer noch, er wird mit Entscheidungen des BMZ und der GIZ quasi ausgehungert. Steuern werden erhoben, Leistungen gedeckelt und gekürzt, gleichwohl dies nicht dem EH- Gesetz entspicht. Auch ich denke, dass dieses System letzendlich auf verlorenem Posten steht und irgendwann im Friedensdienst oder Freiwilligenjahr aufgeht.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2011: Entwicklungsdienst: Wer hilft wem?
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