„Wir werden als Staatsfeinde dargestellt“

Menschenrechtler
Präsident Rodrigo Duterte führt seinen Krieg gegen Drogen mit großer Brutalität. Kritiker werden beschimpft und bedroht. Die Menschenrechtlerin Nymia Pimentel Simbulan lässt sich trotzdem nicht einschüchtern.

Präsident Duterte ist bekannt für seine Abneigung gegenüber Menschenrechtsaktivisten. Welche Schikanen haben Sie erlebt?
Im ersten Jahr seiner Amtszeit lief das vor allem über die sozialen Medien. Jedes Mal, wenn wir die Politik der Regierung kritisiert haben, vor allem im Zusammenhang mit ihrem Krieg gegen Drogen, gossen eifrige Unterstützer der Regierung und regierungstreue Trolle etwa bei Facebook einen Schwall von Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen über uns aus. Einmal waren die Botschaften direkt gegen mich persönlich gerichtet. Seitdem kümmern sich Menschenrechtsorganisationen auf den Philippinen verstärkt um die persönliche Sicherheit und den Schutz ihrer Mitglieder und Mitarbeiter.

Wofür engagieren Sie sich zurzeit besonders?
Als die Regierung 2016 an die Macht kam und ihren Krieg gegen Drogen ausgerufen hat, haben wir eine breite Koalition von Menschenrechtsorganisationen ins Leben gerufen. Sie steht unter der Überschrift „iDefend“ – Bewegung zur Verteidigung der Menschenrechte und Würde. Ein wesentliches Ziel war, sich gegen diesen Krieg der Regierung zu stemmen, der städtische Gemeinschaften überall im Land in Angst und Schrecken versetzt hat. Darüber hinaus wollten wir das öffentliche Bewusstsein für die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen wachrütteln und Gerechtigkeit einfordern für diejenigen, die außergerichtlichen Tötungen im Krieg gegen Drogen zum Opfer gefallen waren. Uns wurde klar, wie wichtig es ist, über Menschenrechte aufzuklären und Verstöße dagegen zu dokumentieren, in Gemeinschaften, Schulen, Kirchengemeinden und am Arbeitsplatz.

Was geschieht mit Ihren Dokumentationen von Menschenrechtsverletzungen?
Zurzeit stellen wir gut dokumentierte Fälle zusammen, die wir veröffentlichen möchten, wenn der Präsident im Juli seine dritte Rede zur Lage der Nation hält. Diese Fälle sind außerdem hilfreich für unsere Informations- und Aufklärungsarbeit. Sie dienen als konkrete Beispiele, mit denen wir beweisen können, dass die Menschenrechte auf den Philippinen mit Füßen getreten werden – und dass Opfer außergerichtlicher Tötungen Kinder, Ehefrauen, Mütter und Geschwister hinterlassen haben, deren Leben durch den frühzeitigen Tod ihrer Väter, Ehemänner und Söhne zerstört worden ist. Denn sie waren meistens die Ernährer der Familien. Und die Dokumentationen sind hilfreich für alternative Berichte an die Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen – zum Beweis, dass sich die Lage auf den Philippinen verschlechtert.

Sind Sie als Menschenrechtsaktivisten in den Gemeinschaften willkommen?
Nicht immer. Oft ist eine gewisse Zurückhaltung spürbar. Das liegt an dem allgemeinen Klima der Furcht in den Gemeinschaften, die in den Krieg gegen Drogen einbezogen sind. Zunächst haben sie sich von uns distanziert und wollten nicht befragt werden. Außerdem hat uns die Regierung stets als „Staatsfeinde“ dargestellt, als Menschen, die sich gegen das Regierungsprogramm zur Bekämpfung illegaler Drogen stellen und Kriminelle und Abhängige unterstützen und schützen.

Hat sich diese Einstellung im Laufe der Zeit geändert?
Bei der Regierung nicht. Sie attackiert und verunglimpft uns, sobald wir Kritik an ihr äußern. Aber in den Gemeinschaften sehen wir einen Wandel. Inzwischen empfangen sie uns in ihren Häusern, öffnen sich und sind bereit, ihre Erfahrungen zu teilen. In jüngster Zeit konnten wir 50 Fälle von außergerichtlichen Tötungen dokumentieren. Angesichts der weit verbreiteten Furcht in unserer Gesellschaft ist das eine ermutigende Entwicklung. Wir versuchen, ausreichend Beweismittel zusammenzutragen, um einen Fall vor Gericht zu bringen, vorzugsweise vor ein internationales Gericht. Denn das Justizwesen auf den Philippinen ist in einem beklagenswerten Zustand. Im Mai ist die Oberste Richterin des Landes, Maria Lourdes Sereno, abgesetzt worden, sie hatte die Drogenpolitik der Regierung scharf kritisiert.

Warum ist Präsident Duterte trotzdem immer noch so beliebt?
Dass er an die Macht gekommen ist, ist ein Zeichen dafür, wie unzufrieden die Menschen mit den vorangegangenen Regierungen waren. Sie sind daran gescheitert, das Leben der Armen und Benachteiligten zu verbessern. Mit Hilfe einer gut geölten Medienmaschinerie und einer Armee von Trollen hat er sich das Image eines starken Mannes gegeben, eines Mannes, der dem Volk nahesteht, und ihm mit ganzem Einsatz dienen wird. Die vulgären Ausdrücke, die er oft und gerne verwendet, sollen zeigen, dass er die Sprache der einfachen Leute spricht. Und seine Unterstützer glauben, dass er seine Versprechen erfüllen wird.

Welche Ziele hat er schon erreicht?
Er hat zum Beispiel versprochen, korrupte Beamte zu verfolgen, ohne Ansehen ihrer Position. Mitglieder seines Kabinetts und andere Amtsträger, die verdächtig waren, in schmutzige Geschäfte verwickelt zu sein, sind entlassen worden. Allerdings oft ohne Gerichtsverfahren. Außerdem verfolgt die Regierung ein Programm, mit dem sie Infrastruktur wie Straßen, Eisenbahnschienen, Brücken und Autobahnen baut. Damit schafft sie auch Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft. Außerdem brüstet sie sich mit ihrem erfolgreichen Krieg gegen Drogen, der allerdings auf Kosten der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit geht.

Wie können internationale Menschenrechtsorganisationen Ihre Arbeit unterstützen?
Vor allem durch ständigen Druck auf die Regierung. Das wird zwar nicht sofort wirken, aber langfristig kann der Präsident das nicht ignorieren. Ein sehr gutes Beispiel ist der Versuch der Regierung, die Todesstrafe für Drogenvergehen wieder einzuführen. Das Repräsentantenhaus, in dem Dutertes Partei die Mehrheit hat, billigte den Gesetzesentwurf. Doch der Senat setzte die Beratungen darüber zeitweise aus. Mit Hilfe internationaler Experten und Berater ist es uns gelungen, einigen Senatoren vor Augen zu führen, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe ernsthafte Folgen für den Status und das Ansehen der Philippinen in der internationalen Gemeinschaft hätte. Denn sie haben ein optionales Protokoll zur Internationalen Konvention über zivile und bürgerliche Rechte unterschrieben, das das verbietet. Auch Brot für die Welt, Misereor und das Menschenrechtsnetzwerk Philippinen haben sich in Erklärungen an die Regierung gewandt.

Wie könnten andere Regierungen oder die Europäische Union Druck ausüben?
Ihr bestes Druckmittel, um die Menschenrechtssituation zu verbessern, wären wirtschaftliche Maßnahmen. Sie könnten Sanktionen androhen oder Investitionen zurückziehen.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Menschenrechtslage auf den Philippinen verbessert, solange Duterte an der Macht ist?
Ich bin nicht so optimistisch zu glauben, dass die Regierung ihre Haltung ändern wird. Meine Zuversicht ruht darauf, dass sich die Einstellung der Menschen gegenüber der Regierung wandelt. Die zunehmenden Verstöße gegen die Menschenrechte werden Bedingungen schaffen, unter denen die Menschen aufstehen und ihre Rechte verteidigen werden.

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2018: Vormarsch der starken Männer
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