Die Proteste sind verklungen

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Vor zehn Jahren ging es den Protestierenden vor allem um bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr: "Wenn der Fahrpreis nicht sinkt, wird die Stadt stillstehen."
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Zehn Jahre nach den Massendemonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen im Öffentlichen Nahverkehr stellt die Bewegung kaum noch einen Machtfaktor dar; rechte Politiker haben sie ausmanövriert.

"Damals im Frühsommer gingen über eine Million Menschen in vielen Städten Brasiliens auf die Straße, um gegen Fahrpreiserhöhungen, Armut und Ungleichheit zu protestieren“, erinnert sich Mayara Vivian. Die heute 33-Jährige war vor zehn Jahren als Studentin Teil der Protestbewegung und gehörte zu einer Gruppe von MPL-Vertretern, die sich zu Verhandlungen mit der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff trafen. „Wir sahen darin damals eine Riesenchance, nicht nur überhöhte Preise für Busse und U-Bahnen, sondern soziale Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft insgesamt anzugehen.“ Entsprechend forderten die Demonstranten auch besseren Zugang armer Menschen zu sozialen Diensten. Mitte Juni reagierte die Polizei mit großer Gewalt auf die Proteste, viele Demonstranten wurden mitunter schwer verletzt. „Von da an hatte ich Angst, wenn ich demonstrieren ging“, erinnert sich auch Klismann Matos, damals Student und Teil der Protestbewegung, heute Geographieprofessor. „Wir hatten große Träume, aber daraus wurde nichts.“

Konservative kapern die Bewegung

Zwar begannen angesichts der Polizeigewalt fast alle großen Medien des Landes, auch die konservativen, wohlwollender über die Proteste zu berichten. Gleichzeitig aber änderte sich in der Berichterstattung über die Proteste deren Stoßrichtung: Anders als zu Anfang standen nicht mehr erhöhte Fahrpreise und fehlende soziale Dienste für die Armen im Mittelpunkt, sondern Kritik an der Sozialpolitik der regierenden Arbeiterpartei und an deren vermeintlicher Korruption. Der damalige konservative Gouverneur von São Paulo – und heutige Vizepräsident von Brasilien – Geraldo Alckmin nutzte die Gunst der Stunde, machte die Fahrpreiserhöhung rückgängig und arbeitete zusammen mit konservativen Politikern und Medien erfolgreich daran, die ursprünglich von Studenten und Arbeitern angeführte Protestbewegung zu einer Bewegung gegen die Korruption der Regierung und für die Absetzung Dilma Rousseffs zu machen. Diese veränderte Bewegung wurde auch von Konservativen getragen und schließlich auch angeführt. Als Brasilien im folgenden Jahr Gastland der Fußballweltmeisterschaft war, entzündeten sich weitere Proteste an den immensen Ausgaben und hohen sozialen Kosten für die WM. 2016 übernahm Michel Temer von der Demokratischen Partei die Präsidentschaft von Rousseff, 2019 wurde dieser von Jair Bolsonaro von der Liberalen Partei abgelöst. 

Heute, zehn Jahre nach den großen Protesten der MPL-Bewegung, halten Teile der Arbeiterpartei den Demonstranten von damals vor, den Konservativen zur Macht verholfen zu haben. „Diese Vorwürfe sind verrückt“, meint Mayara. „Wir, die wir die Welt verändern wollen, sind ohnehin in der Minderheit. Wenn wir nicht zusammenhalten, wie sollen wir da weiterkommen?“ 

Aus dem Englischen von Barbara Erbe. 

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