Begriffe wie „Anerkennung“ und „Sichtbarkeit“ werden in der Entwicklungsfinanzierung eher metaphorisch verwendet. Für viele Entwicklungsländer beschreiben sie jedoch konkrete Lebenswirklichkeiten. Als ich im Jahr 2014 nach Peking zog, erkannte ich als Kenianerin die chinesischen Straßenhändler sofort als informelle Unternehmerinnen und Unternehmer wieder. Die gibt es so auch in Nairobi, weshalb sich umgekehrt auch meine chinesischen Kolleginnen und Kollegen auf ihren Reisen nach Kenia wie zu Hause fühlen.
Dieses gegenseitige An- und Wiedererkennen erklärt, warum Süd-Süd-Partnerschaften oft als wirksamer und besser auf die Bedürfnisse der jeweils anderen Seite abgestimmt empfunden werden. Es verdeutlicht auch, warum das globale Finanzsystem für viele arme Länder nicht funktioniert: Die internationale Finanzarchitektur ignoriert die besonderen Bedingungen, mit denen viele Entwicklungsländer zu tun haben. Tatsächlich kann man sagen, dass die globale Finanzwelt ein Motor des „Othering“ ist, also der bewussten Abgrenzung von anderen.
Ein Land ist nicht nur ein Zahlenwerk
Die Analysen des Internationalen Währungsfonds (IWF) etwa zur Frage, ob ein Land seine Schulden längerfristig tragen kann oder nicht, ignorieren oft die komplexe Wirklichkeit von Entwicklungsländern und fokussieren nur auf eng gefasste fiskalische Kennzahlen. Im Gegensatz dazu fragt Chinas Export-Import-Bank bei der Bewertung eines Infrastrukturprojekts in Afrika, ob eine neue Straße, ein Hafen oder eine neue Eisenbahnlinie Arbeitsplätze schafft, die Handelskapazität steigert oder die politische Stabilität stärkt. Das ist nicht nur ein technischer Unterschied zur Perspektive des IWF. Vielmehr wird hier ein Land nicht bloß als Zahlenwerk wahrgenommen, sondern als lebendiger und dynamischer Organismus.
Autorin
Hannah Wanjie Ryder
ist ehemalige Diplomatin, Geschäftsführerin von Development Reimagined und Senior Associate beim Afrika-Programm des Center for Strategic and International Studies.Ähnlich blind wie der IWF sind auch die internationalen Ratingagenturen, wenn sie die Kreditrisiken eines Landes bewerten. Ein Fall, an dem Ghana und die Africa Export-Import Bank (Afreximbank) beteiligt waren, ist ein anschauliches Beispiel dafür: Im Rahmen der Umstrukturierung seiner Staatsschulden beantragte Ghana einen Schuldenerlass für einige seiner Kredite bei dieser Bank. Die Ratingagenturen verbesserten daraufhin die Bonitätsbewertung Ghanas und stuften die der Afreximbank ab. Ein Schuldner wurde also dafür belohnt, dass er einen Kreditgeber gefährdete, zu dessen Gründung er ursprünglich beigetragen hatte.
Wäre dies auch geschehen, wenn es sich nicht um eine afrikanische, sondern um eine europäische oder nordamerikanische Finanzinstitution gehandelt hätte? Ich bezweifle das. Die Herabstufung der Afreximbank steht für ein systemisches Versagen dabei, die Rolle und Glaubwürdigkeit afrikanischer Institutionen anzuerkennen. Eine derartige Behandlung ist zutiefst destruktiv, hemmt finanzielle und institutionelle Innovationen und bestraft Solidarität im globalen Süden.
In Süd-Süd-Kooperationen herrscht gegenseitiger Respekt
Was geschieht im Unterschied dazu, wenn zwei Länder des Südens zusammenarbeiten? Ob es nun kenianische Unternehmen sind, die ihre innovativen E-Payment-Plattformen nach Äthiopien bringen, oder Brasilien und Mosambik, die in der Landwirtschaft zusammenarbeiten: Hier herrschen gegenseitiger Respekt und gleiche Prioritäten; die Handlungsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten des jeweils anderen werden anerkannt. In diesen Kooperationen gilt nicht der eine Partner als besser informiert und der andere als weniger entwickelt. Es stehen auch nicht ausschließlich starre Messgrößen im Vordergrund, die weder innenpolitische Sachzwänge noch das Potenzial für langfristige sozioökonomische Erträge berücksichtigen.
Dasselbe gilt, wenn Entwicklungsländer gemeinsam neue Finanzmechanismen schaffen. Ein Beispiel ist die Common Leveraging Union of Borrowers (CLUB), eine Gruppe verschuldeter Länder, die vor zwei Jahren von der Organization of Southern Cooperation mit Sitz in Addis Abeba ins Leben gerufen wurde. Inspiriert vom Mikrokreditmodell des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus bündeln die Mitgliedsländer ihren Kreditbedarf, um als eine Einheit mit den Kreditgebern zu verhandeln und so möglicherweise günstigere Zinssätze und Rückzahlungsbedingungen zu erzielen, als sie es alleine könnten.
Schlussfolgerungen für eine Reform der globalen Finanzarchitektur
Was folgt daraus für eine Reform der globalen Finanzarchitektur? Zunächst einmal gilt es, die Analysen zur Tragfähigkeit von Schulden grundlegend zu überarbeiten, um lokale Gegebenheiten und Entwicklungsprioritäten zu berücksichtigen. Multilaterale Finanzinstitutionen sollten anerkennen, dass sich Schulden für den Aufbau produktiver Infrastruktur qualitativ unterscheiden von Schulden zur Finanzierung laufender Ausgaben. Indem sie den möglichen sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Nutzen von Staatsausgaben nicht anerkennen, signalisieren diese Institutionen, dass sie die individuellen Entwicklungsstrategien der Empfängerländer nicht ernst nehmen.
Zweitens sollten die USA und die Europäische Union, wo die großen Ratingagenturen sitzen, diese dazu verpflichten, in den von ihnen bewerteten Ländern gut ausgestattete Büros zu unterhalten. Wie können die Agenturen behaupten, ein Land zu verstehen, wenn sie nicht vor Ort präsent sind? Lokale Büros würden dazu beitragen, die Voreingenommenheit und die blinden Flecken zu bekämpfen, die die Länderratings bislang prägen.
Drittens müssen Südafrika, wo Ende November der erste G20-Gipfel auf dem afrikanischen Kontinent stattfindet, und seine Partner im globalen Süden sicherstellen, dass diese Probleme im Abschlusskommuniqué des Gipfels anerkannt und die Grundlagen für Reformen geschaffen werden. Viertens schließlich müssen mehr Mittel für Mechanismen bereitgestellt werden, die die Süd-Süd-Zusammenarbeit erleichtern, etwa mehr kostengünstiges Kapital für afrikanische multilaterale Finanzinstitutionen oder Kreditnehmergemeinschaften wie CLUB.
Weg von der „Abgrenzung“, hin zur „Anerkennung“
Kritische Stimmen mögen einwenden, dass „Anerkennung“ in der knallharten Welt der Finanzen ein weiches, ja geradezu sentimentales Konzept sei. Sie irren sich. Anerkennung ist Macht. Sie entscheidet darüber, welche Stimmen Gehör finden, welche Politik gemacht wird, welche Projekte finanziert und welche Zukunftsperspektiven verfolgt werden. Wenn Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika zusammenarbeiten, erkennen sie die Herausforderungen, die Chancen und die Würde des jeweils anderen an und bauen auf gemeinsamen Erfahrungen auf, anstatt sich gegenseitig Urteile aufzuzwingen.
Ohne einen grundlegenden Wandel weg von der „Abgrenzung“ und hin zur „Anerkennung“ werden alle Versprechen zur Reform der globalen Finanzarchitektur Lippenbekenntnisse bleiben. Sie muss aus der Perspektive des Südens und für den Süden neu gestaltet werden.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier und Tillmann Elliesen.
© Project Syndicate, 2025; https://www.project-syndicate.org/
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