„Die Entwicklungshilfe muss unser Rückgrat bleiben“

IFAD
Kleinbauern oder Agrarindustrie? Für IFAD-Chef Gilbert Houngbo ist das kein Entweder-Oder. Beide Modelle der Landwirtschaft haben ihre Berechtigung, sagt er im Interview. Und er erklärt, wie IFAD mit der Weltbank zusammenarbeitet und warum der Fonds die Zusammenarbeit mit Privatinvestoren sucht.

Herr Houngbo, IFAD ist eine der weniger bekannten UN-Organisationen. Was ist die besondere Rolle des Agrarfonds?
IFAD entstand 1977 aus der Ölkrise und den folgenden Preiskrisen für Nahrungsmittel, unter denen Landbewohner am meisten gelitten haben. Wir arbeiten daran, auch in abgeschiedenen ländlichen Gegenden wirtschaftliche Chancen zu schaffen, meistens indem wir Kleinbauern fördern. Wir geben den Regierungen für einzelne Projekte stark vergünstigte Darlehen zwischen 35 und 50 Millionen Dollar. Am Anfang jedes Projekts steht ein Treffen mit Gemeindevertretern, meist unter einem Dorfbaum. Wir hören zu, was gegen Armut oder Mangelernährung gebraucht wird. Das kostet Zeit und erfordert Erfahrung.

Welche Konzepte haben über die Jahre gut oder weniger gut funktioniert?
Das kann man so nicht sagen. Man muss immer die Zeit und den Kontext berücksichtigen. Die sogenannte Grüne Revolution hat in Asien gezündet, während in Afrika erst die Institutionen gestärkt werden müssen. Dort brauchen heute viel mehr junge Menschen Arbeit als vor 40 Jahren. Zugleich dürfen wir unsere Augen nicht verschließen, wenn Produktivität auf Kosten der Nachhaltigkeit geht. Es ist ein Dilemma, wenn der Anbau einer Sorte sehr profitabel ist, aber nicht die Ernährungssituation verbessert.

Was also tun?
Wir müssen heute Produktivität, Ernährungsstand und Klima gleichzeitig berücksichtigen. Kernziel bleibt, mehr zu produzieren, aber mit umweltfreundlicher Landtechnik. Und wir müssen den landwirtschaftlichen Unternehmergeist der Jugend wecken und stärker in Frauen investieren.

Sie bemühen sich auch, Kleinbauern mit Großfarmen zu verbinden. Welche Rolle spielt die Agrarökologie bei IFAD?
Für mich gibt es kein Entweder-Oder. Wir haben zum Beispiel 2012 ein Programm gestartet, in dem es um umweltfreundliche Methoden, erneuerbare Energien und die Beteiligung des Privatsektors zur Anpassung an den Klimawandel geht. Die Aufgabe ist, den Bauern Zugang zu bezahlbarer Technologie für nachhaltiges und klimafreundliches Wirtschaften zu ermöglichen. Afrika importiert jährlich immer noch Lebensmittel im Wert von 70 Milliarden US-Dollar.

Geld für Küstenfischer, Viehhirten und Bauern

Die Hauptfunktion des in Rom angesiedelten Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) besteht darin, vor allem sehr armen Entwicklungsländern Finanzmittel ...

Wo arbeitet IFAD?
Unsere primäre Zielgruppe bleiben die Länder mit niedrigem beziehungsweise niedrigem mittleren Einkommen. Die Hälfte unserer Tätigkeit spielt sich in Afrika ab, gut ein Drittel in Asien, der Rest verteilt sich auf Lateinamerika und Osteuropa.

Wie funktioniert die Kooperation mit anderen Finanzinstitutionen?
Wir sind ein mitgliedsfinanzierter Fonds und keine Bank. Unsere Darlehen werden von Entwicklungsbanken, von anderen Entwicklungspartnern oder mit privatem Geld kofinanziert. Wir nutzen Analysen der Weltbank und ihre Vergabepraxis, da müssen wir nicht das Rad neu erfinden.

Gibt es da auch Rivalität oder ein Rennen um das bessere Projekt?
Nein. Entwicklungsbanken wie die Weltbank können erfolgreiche Projekte mit Fokus auf die Landbevölkerung in Zusammenarbeit mit uns ausbauen. Wir können zum Beispiel insgesamt 600 Millionen Dollar aufbringen: 400 von der Weltbank, 100 von IFAD und 100 von der Regierung. Jeder kann seine Stärken einbringen. Wir vom IFAD können gut vor Ort Bauernverbände und Gemeinden mobilisieren. Die Weltbank macht die Policy-Analyse. Wir leben von solchen Ergänzungen.

Stimmt es, dass IFAD Geberbeiträge künftig mit Mitteln vom Finanzmarkt ergänzen will?
Wir alle wissen, dass die UN-Nachhaltigkeitsziele mit staatlicher Entwicklungshilfe nicht zu erreichen sind. Wir brauchen den Beitrag des Privatsektors, ohne zugleich die Verschuldungsgefahr zu erhöhen. Für uns heißt das: Die öffentliche Entwicklungshilfe – Official Development Assistance – muss unser Rückgrat bleiben, aber wir wollen das mit Privatkapital ergänzen. Bis 2020 will IFAD eine Bonitätsbewertung. Dann können wir verhandeln, was wir von bilateralen Entwicklungsfinanzierern oder am Kapitalmarkt aufnehmen.

Damit schlagen Sie eine neue Richtung ein...
Ja, wir sind auf dem Weg. Eine neue Dimension ist bereits die Ende 2018 gegründete Impact-Investment-Gesellschaft ABC. Ihr Fonds Agribusiness Capital wird mit 45 Millionen Euro von der EU und mit jeweils fünf Millionen Euro der Africa Green Revolution Alliance und von Luxemburg finanziert. Private Anleger können gewinnbringend Anteile erwerben und damit Darlehen an mittelständische junge Agrarunternehmer unterstützen, die in der Lücke zwischen Mikro- und Großkrediten kein Kapital bekommen. Am Anfang stand ein von der Europäischen Union finanziertes IFAD-Projekt für jugendliche Landarbeiter in Uganda, die ein Agribusiness gründen wollten. Das Modell war sehr erfolgreich und soll jetzt ausgeweitet werden.

Ist der Schritt auf den Kapitalmarkt nicht gewagt? Die ODA-Geber könnten versucht sein, sich zurückzuziehen?
Natürlich gibt es warnende Stimmen. Es wird im Vorstand zu entscheiden sein, in welchem Umfang künftig Fremdkapital ge­hebelt werden soll. Ich denke, wir sollten achtsam sein und 100 Prozent der Eigenmittel nicht überschreiten. Am Ende des nächsten Wiederauffüllungsjahrs 2020 werden wir Klarheit haben.

Das Gespräch führte Marina Zapf.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2019: Rassismus
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