Den Rückfall in die Autokratie verhindern

Tunesien
Zur Zeit des Arabischen Frühlings wurde Tunesien als demokratischer Hoffnungsträger gefeiert. Die internationale Unterstützung für die junge Demokratie hält sich aber - vor allem von Seiten der Europäischen Union - leider in Grenzen. Das muss sich ändern.

Barbara Erbe ist Redakteurin bei „welt-sichten“.

Die Krisen in Staaten wie Sudan, Äthiopien oder Mali, die zurzeit ganz oben auf der Liste der internationalen Konfliktherde stehen, haben sich über Jahre und vor den Augen der Weltöffentlichkeit zusammengebraut. Zur Priorität wurden sie aber erst, als die Gewalt eskalierte und viele Menschenleben kostete. Ein Staat, der gerade sowohl wirtschaftlich als auch innenpolitisch immer tiefer in die Krise gerät, ist Tunesien: Das nordafrikanische Land hat sich innerhalb weniger Jahre vom demokratischen Hoffnungsträger zurück zur Autokratie entwickelt.

Als sich dort Ende 2010 der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi selbst anzündete, um auf Polizeiwillkür und Repression aufmerksam zu machen, löste er damit eine demokratische Revolution aus, den „Arabischen Frühling“. Der Diktator Zine el-Abidine Ben Ali wurde ohne Blutvergießen gestürzt, das Land gab sich eine demokratische Verfassung und bestimmte mit freien Wahlen ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten – Ende 2014 erkor die britische Zeitschrift „The Economist“ deshalb Tunesien zum Land des Jahres . Vielen europäischen Politikern galt es fortan als Beleg dafür, dass Demokratie und Islam Hand in Hand gehen können. So sagte die damalige Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, Anfang 2011 einem demokratischen Tunesien die volle Unterstützung der EU zu, und der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, erklärte: „Wenn wir es jetzt schaffen, die entstehende tunesische Demokratie zu unterstützen, dann werden wir auch in Ägypten, Jordanien und Syrien erleben, dass sich das Volk gegen die Diktatoren erhebt.“

Die tatsächliche Unterstützung fiel dann allerdings dürftiger aus, als es für die junge Demokratie nötig war. So stocken die Verhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen (Deep and Comprehensive Free Trade Agreement, DCFTA ), die die EU und Tunesien 2015 aufgenommen haben, seit 2018. Nach wie vor haben es tunesische Agrar- und Fischereiprodukte schwer, auf den EU-Binnenmarkt zu gelangen. Dabei hätte eine Marktöffnung Tunesien wirtschaftlich stärken und Wachstum vor allem dort fördern können, wo es am dringendsten benötigt wird: in arbeitsintensiven Branchen, die vor allem den Ärmeren Einkommenszuwächse bringen.

Die Auswirkungen der Coronapandemie und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine haben das Land, das einen großen Teil seiner Getreidelieferungen aus der Ukraine bezieht, wirtschaftlich weiter gebeutelt; Tausende Menschen gehen dort seit 2020 regelmäßig auf die Straße, um gegen die schlechte Wirtschaftslage, aber auch gegen Korruption zu demonstrieren. Nicht zuletzt deshalb kam es Ende Juli 2021 zu einem Bruch im Demokratisierungsprozess: Der erst im Oktober 2019 gewählte Staatspräsident Kais Saied löste das Parlament auf und entließ den Premier. Ende Juli 2022 führte er per Referendum – mit einer Wahlbeteiligung von nur 28 Prozent – eine neue Verfassung ein, die die Gewaltenteilung schwächte und seine eigene Position stärkte. Ende 2022 wurde das Parlament bei nur elf Prozent Wahlbeteiligung neu gewählt, es kann nun aber weder die Regierung noch den Präsidenten kontrollieren. Zudem hat Saied die Kontrolle über die Wahlrechtskommission, die Antikorruptionsbehörde und den Obersten Justizrat erlangt. Zahlreiche Oppositionspolitiker wie der Vorsitzende der islamischen Ennahda-Partei, Rached Ghannouchi, aber auch unabhängige Journalisten sind in den vergangenen Monaten verhaftet worden.

Das alles funktioniert für Saieds Regierung zum einen, weil die Opposition – die Ennahda-Partei, die ein Zweig der Muslimbrüder ist, sowie unabhängige säkulare Gruppen und der Gewerkschaftsdachverband UGTT – untereinander zerstritten ist und weil die Regierung den Zorn der Bevölkerung regelmäßig mittels Hassreden auf afrikanische Arbeitsmigranten umlenktAber es funktioniert auch, weil die internationale Gemeinschaft und dabei vor allem die EU wieder einmal eher weg- als hinblickt. Die globale Sanktionsregelung der EU im Bereich der Menschenrechte wurde 2020 geschaffen, um gegen die Urheber schwerer Menschenrechtsverletzungen und -missbräuche vorzugehen, unabhängig davon, wo sie begangen werden. Zu den Sanktionen können Reiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten gehören. Nichts davon hat die EU aber bislang veranlasst 

Zu Recht fordern Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International zudem die EU-Mitgliedsstaaten auf, bei Zusammenkünften etwa der europäischen Außenminister die Repression in Tunesien anzuprangern, die Freilassung friedlicher Oppositioneller zu fordern und der Regierung eine engere Zusammenarbeit auch im Wirtschaftsbereich zuzusagen, sobald Menschenrechte und demokratische Stabilität gewahrt sind. Es gilt aber demokratische Entwicklung in Tunesien ernsthaft zu unterstützen –  nicht nur, wenn es darum geht, Flüchtlinge aufzuhalten. 

 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2023: In der Stadt zu Hause
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