Report: Sechs von zehn Ländern beschneiden Grundrechte

Berlin - In sechs von zehn Ländern beschneiden Regierungen dem neuen „Atlas der Zivilgesellschaft“ zufolge die Grundrechte. „Noch nie waren im Atlas so viele Länder rot eingefärbt. Hier wird jegliche Kritik an staatlichem Handeln schwer bestraft“, sagte Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“, bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch in Berlin. 2021 lebten demnach insgesamt 6,9 Milliarden Menschen und somit 88 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, in denen zivilgesellschaftliche Grundrechte - wie die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit - nicht garantiert werden können.

Im Vergleich zum Vorjahr sei die Zahl angestiegen, hieß es weiter. „Der negative Trend setzt sich unvermindert fort“, sagte Pruin. Für insgesamt 14 Länder sei die Bewertung schlechter ausgefallen als im Jahr zuvor. So wird die zivilgesellschaftliche Lage beispielsweise in Belgien oder der Tschechischen Republik als „beeinträchtigt“ eingestuft. Bei Belgien sorgte „anhaltende Gewalt seitens der Sicherheitskräfte selbst bei friedlichen Versammlungen gegen Rassismus und soziale Ungleichheit im Winter 2020/21“ für das Abrutschen in der Bewertung. Unter anderem Jordanien und Mali und Singapur fallen im diesjährigen Atlas in die Kategorie „unterdrückt“. Es sei davon auszugehen, dass die Grundfreiheiten weltweit weiter abnehmen, erklärte das Hilfswerk.

Auch in der EU werden Grundrechte eingeschränkt

Insgesamt leben den Erhebungen zufolge nur drei Prozent der Weltbevölkerung in Staaten, in denen zivilgesellschaftliche Grundfreiheiten garantiert sind. Auch in der Europäischen Union (EU) werden Grundrechte beschränkt, wie aus dem Atlas hervorgeht. Nur 173 Millionen von 445 Millionen Menschen in der EU lebten in offenen Gesellschaften, heißt es. Als beeinträchtigt gelten die Grundrechte in zwölf EU-Staaten mit knapp 59 Prozent der EU-Bürgerinnen und -Bürger. Deutschland gehört weiterhin zu den als „offen“ eingestuften Ländern.

Auf der Liste der Länder mit Beschränkungen stehen unter anderem auch Polen und Ungarn. „Die polnische Regierungspartei PiS hat eine Justizreform vorangetrieben, die die Gewaltenteilung schwer beschädigt“, erklärte Pruin. Zudem seien auch die Presse- und Meinungsfreiheit in Polen eingeschränkt: „Die Grenze zu Belarus wurde von der Öffentlichkeit abgeschirmt und die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten und Menschenrechtsorganisationen behindert.“

Deutlicher Rückgang der Internetfreiheit

Für Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger sei die Arbeit besonders in lateinamerikanischen Ländern gefährlich, ergänzte Silke Pfeiffer, Leiterin des Referats für Menschenrechte und Frieden des Hilfswerks. „Allein in Kolumbien und Mexiko wird die Hälfte ermordet.“

Zudem seien noch nie so viele autokratische Regime gezählt worden, sagte Pfeiffer. „Das erleben wir auf allen Kontinenten.“ Die am häufigsten beobachtete Verletzung zivilgesellschaftlicher Handlungsräume sei dabei das Vorgehen gegen Aktivistinnen und Aktivisten sowie gegen Journalistinnen und Journalisten - insbesondere im Kontext von Demonstrationen. „Wir erleben aber zum Beispiel auch einen deutlichen Rückgang der Internetfreiheit, die im letzten Jahr auf dem Tiefpunkt war“, erklärte Pfeiffer.

Die Ergebnisse des Atlas basieren auf Rechercheergebnissen der Nichtregierungsorganisation Civicus, die insgesamt 194 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sowie Palästina und Taiwan beobachtet. Für ihre Berichte wertet die Organisation unter anderem Berichte lokaler und internationaler Organisationen aus.

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