El Salvador: Hunger als Druckmittel

Mexiko-Stadt/San Salvador - Eine vermeintliche Erfolgsmeldung jagt die nächste: „Seit drei Tagen wurden kontinuierlich täglich mehr als tausend Terroristen festgenommen“, twitterte El Salvadors Präsident Nayib Bukele jüngst und versprach: „Sie werden im Gefängnis alt werden.“ Seit das von Bukeles Partei Nuevas Ideas (Neue Ideen) dominierte Parlament Ende März den Ausnahmezustand beschloss, wurden knapp 27.000 mutmaßliche Mitglieder krimineller Banden in dem mittelamerikanischen Land festgenommen.

Dem Beschluss war ein Wochenende vorausgegangen, an dem mindestens 87 Menschen bei Kämpfen der „Pandilleros“ gestorben sind. Seither ist das Versammlungsrecht eingeschränkt und das Recht auf Verteidigung ausgehebelt. Polizisten können ohne Begründung Verdächtige festnehmen und 15 Tage lang festhalten. Soldaten und Polizeibeamte machen vor allem in armen Gegenden Jagd auf alle, die sie den „Maras Salvatrucha“, „Barrio 18 Revolucionarios“ oder „Barrio 18 Sureños“ genannten Banden zurechnen.

Zehntausende junge Männer hinter Gitter

Menschenrechtsorganisationen schlagen derweil Alarm. „Statt die Salvadorianer vor der Gewalt der Banden zu schützen, haben die Sicherheitskräfte die Befugnisse missbraucht, die ihnen das Parlament gegeben hat“, sagte Tamara Taraciuk Broner von Human Rights Watch.

Zehntausende meist junge Männer, die hinter Gitter sitzen, behandelt Bukele als Geiseln. „Das Essen wurde reduziert“, schrieb er auf Twitter, seinem liebsten Kommunikationskanal. „Sie haben ihre Zellen nicht verlassen und die Sonne nicht gesehen“. Den Anführern der Banden drohte er damit, sie verhungern zu lassen.

Der 40-Jährige, der sich „CEO von El Salvador“ nennt und gerne jugendlich mit Basecap auftritt, gewann die Präsidentschaftswahlen 2019 mit dem Versprechen, die Gewalt einzudämmen. Zunächst schien ihm das auch zu gelingen. Die Banden, die oft ganze Stadtteile mit äußerster Brutalität kontrollieren, hielten relativ still und die Mordzahlen in dem Land, das zu den gewalttätigsten weltweit zählt, sanken.

Deal zwischen den Kriminellen und dem Präsidenten

Doch der ungewöhnlichen Waffenruhe lag offenbar ein Deal zwischen den Kriminellen und dem Präsidenten zugrunde. Das Online-Portal „El Faro“ veröffentlichte Dokumente, die das bestätigten. Im Gegenzug für einen Gewaltverzicht seien die Bedingungen der Inhaftierten verbessert worden, und die Gangs in Freiheit hätten „Wohltaten“ erhalten, hieß es. Obwohl die Vorwürfe auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen basieren, weist Bukele sie bis heute zurück. Die US-Regierung verhängte jedoch Sanktionen gegen zwei salvadorianische Politiker, die an den Absprachen beteiligt gewesen sein sollen. Der Vorwurf: Kooperation mit der organisierten Kriminalität.

Heute ist der Deal ohnehin Geschichte. Nach dem blutigen März-Wochenende verabschiedete das Parlament mehrere repressive Gesetze. Bandenmitglieder können nun mit bis zu 40 Jahren Haft bestraft werden. Auch die Presse gerät zunehmend ins Visier: Wer Texte, Bilder oder Graffiti der Gangs veröffentlicht oder diese herstellt, muss ebenfalls mit hohen Gefängnisstrafen rechnen. „Der Anlass für die Reform war zwar die brutale Mordserie, aber Bukele nutzt die Situation aus, um die kritische Presse auszuschalten,“ sagt die Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in San Salvador, Ingrid Wehr.

Viele Intellektuelle gehen ins Exil

Es bestehe die Gefahr, dass alle kriminalisiert werden, die darauf hinweisen, dass Menschenrechte auch für Kriminelle gelten, so Wehr. 50 Intellektuelle sind bereits ins Exil gegangen, unter ihnen auch der Anthropologe Juan José Martínez. Bukele hatte den Wissenschaftler als „Abfall“ bezeichnet, weil dieser gesagt hatte, die Jugendbanden spielten eine „notwendige soziale Rolle“.

Während Kritiker befürchten, in El Salvador würden systematisch demokratische Rechte abgebaut, kommt das autoritäre Vorgehen beim Großteil der Bevölkerung gut an. Obwohl sogar die 1.Mai-Demonstration verboten wurde, das Land bankrott ist und Bukeles Einführung des Bitcoin noch mehr Schulden auftürmen könnte, stehen über 80 Prozent hinter dem Präsidenten. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup zufolge unterstützen sogar 91 Prozent Bukeles Vergeltungsschläge gegen die Banden. Wehr wundert das wenig: „Fast jede Familie in El Salvador hat ein Todesopfer zu beklagen oder wurde zum Opfer von Schutzgelderpressung.“

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