Frankfurt a.M./Mogadischu - Somalia wählt einen Präsidenten - in einem schwerbewachten Flugzeughangar. Drei Jahrzehnte, nachdem fast alle staatlichen Strukturen kollabierten, ist bereits die Organisation von Wahlen ein wichtiger Schritt für das ostafrikanische Land und eine logistische Herausforderung. Mehr als ein Jahr später als geplant ist nun für Sonntag die Abstimmung vorgesehen, bei der die Abgeordneten des frischgewählten Parlaments ihre Stimme abgeben sollen. 38 Kandidaten und eine Kandidatin treten für das höchste Staatsamt an, so viele wie noch nie.
Wie angespannt die Sicherheitslage noch immer ist, zeigt der Ablauf der Wahl: Die Halle nahe dem Flughafen in der Hauptstadt Mogadischu, in der die Parlamentsabgeordneten ihre Stimme abgeben, wird von Einheiten der internationalen Militärmission ATMIS bewacht. Gegenstände und elektronische Geräte sind verboten. Abgeordnete werden in speziellen Fahrzeugen vom Eingangstor zur Halle gefahren und müssen ihre eigenen Wagen und Leibwächter außerhalb des Geländes lassen. Zu groß ist die Angst, ein Attentäter oder eine Autobombe könnte die Wahl stören.
Parlamentarier wählen den neuen Präsidenten
Die islamistische Terrorgruppe Al-Shabaab verübt seit Jahren immer wieder Anschläge auf Behörden, Regierungsgebäude, Restaurants und Hotels, die von Abgeordneten und Funktionären besucht werden, und greifen auch die internationalen Truppen an. Als die Parlamentsabgeordneten vor wenigen Wochen in ihr Amt eingeführt wurden, beschoss Al-Shabaab das Gelände. Die Miliz versucht, die wenigen staatlichen Einrichtungen zu schwächen, um einen eigenen Gottesstaat errichten zu können. Al-Shabaab wurde in den vergangenen Jahren zurückgedrängt, kontrolliert aber immer noch Teile des Landes und hat Behörden infiltriert.
Nach dem Sturz des Regimes von Präsident Siad Barre 1991 versank Somalia in einem Bürgerkrieg, der noch immer die Fundamente des Landes erschüttert. Oft regieren Clans, Gewalt und Misstrauen, gerade auch innerhalb des Staats. Wegen interner Streits wurde die Wahl immer wieder verschoben, was im Frühjahr des vergangenen Jahren blutige Kämpfe auslöste. Der derzeitige Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmajo“, der erneut antritt, ist bereits mehr als ein Jahr ohne Mandat an der Macht. Seine Amtszeit war offiziell im Februar 2021 abgelaufen. In den vergangenen Monaten wurden in einem mehrstufigen Verfahren bereits das Parlament neu bestimmt. Die insgesamt 329 Abgeordneten der beiden Kammern wählen in zwei Runden nun den Präsidenten.
Als einzige Frau kandidiert Außenministerin Fawzia Yusuf Adam
Neben Präsident „Farmajo“ treten unter anderem zwei frühere Präsidenten - Sharif Sheikh Ahmed und Hassan Sheikh Mohamed - und der ehemalige Ministerpräsident Hassan Ali Khaire an, die als stärkste Herausforderer gelten. Als einzige Frau kandidiert Außenministerin Fawzia Yusuf Adam für die vierjährige Amtszeit.
Nach „Farmajos“ Wahl 2017 gab es Hoffnungen, er könnte Somalia vereinen und zumindest einen Teil der Probleme lösen. Dass Al-Shabaab das ostafrikanische Land weiterhin terrorisiert und der Präsident zuletzt alles versuchte, um an der Macht zu bleiben, hat ihn jedoch unbeliebt gemacht. „Farmajos“ Wiederwahl sei deshalb alles andere als sicher, sagte Mohamed Muse Matan von der Universität von Somalia dem Sender VOA.
Außer mit der Sicherheitslage und der Spaltung der Regierung wird sich der neue Präsident auch mit der sich verschlechternden humanitären Situation beschäftigen müssen. Das Welternährungsprogramm (WFP) warnte im April, Somalia drohe in den kommenden sechs Monaten eine Hungersnot, wenn kein Regen fällt und humanitäre Hilfe ausbleibt. Etwa sechs Millionen Menschen, rund 40 Prozent der Bevölkerung sind demnach von Hunger bedroht.