Fake News und gezielte Ansprache

Frankfurt a.M./São Paulo - Wer vor der Präsidentschaftswahl in Brasilien durch das Instagram-Profil von Laís Leão scrollt, merkt schnell, was ihr wichtig ist. Besonders häufig tauchen die Themen Frauen in der Politik und Stadtentwicklung auf. In einem Infopost klärt sie beispielsweise darüber auf, wie man sich für mehr Frauen in den Parlamenten einsetzen kann. Rund 3.000 Menschen folgen der 28-jährigen Brasilianerin auf Instagram. „Im Internet kursieren so viele Lügen, ich strenge mich an, qualitativ hochwertige Inhalte für soziale Netzwerke zu machen“, sagt die Städteplanerin und Aktivistin aus Curitiba im Süden des Landes.

Am 2. Oktober wählt Brasilien einen neuen Präsidenten. Favoriten sind der amtierende Staatschef Jair Bolsonaro und der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Wie Leão, die ihre politischen Positionen in Erklärposts, aber auch in lustigen Videos verpackt, stellen viele Brasilianerinnen die anstehenden Wahlen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten in den sozialen Netzwerken. Auch Sportler, Influencer oder Künstler positionieren sich. Besonders viel Aufmerksamkeit zog die Sängerin Anitta auf sich, als sie sich Anfang Juli dafür aussprach, Lula zu wählen und ihm ihre Reichweite für seine Kampagne anbot. Der Künstlerin folgen allein auf Instagram mehr als 60 Millionen Menschen.

Influencer aus dem Umfeld evangelikaler Pfingstkirchen

Nach Einschätzung des Juristen Francisco Brito Cruz können solche Aktionen zwar die Wahl beeinflussen, sind aber nicht das Einzige, was zählt. Ebenso wichtig wie Personen mit einer riesigen Reichweite seien sogenannte Nischen-Influencer, etwa aus dem Umfeld evangelikaler Pfingstkirchen, die Bolsonaro unterstützen. Sie erreichten bestimmte Zielgruppen besser als Accounts mit einem Millionenpublikum, sagt der Direktor des Internetlabs in São Paulo, das das Zusammenspiel von Menschen und Digitalem erforscht.

Welche enorme Rolle soziale Netzwerke bei den Präsidentschaftswahlen spielen, zeigt eine Untersuchung des Instituts DataSenado von 2019. Demnach hatte schon bei der vorigen Wahl vor vier Jahren knapp die Hälfte der Brasilianer und Brasilianerinnen angegeben, dass Inhalte auf Social Media sie bei ihrer Entscheidung beeinflusst haben. In dem südamerikanischen Land galt die Abstimmung im Jahr 2018 als die erste „Wahl des Internets“, bei der die Kampagnen im Netz und nicht mehr auf der Straße entschieden wurden.

Wahlkampf findet online statt

Auch in diesem Jahr finden große Teile des Wahlkampfs online statt. Der Anteil der Menschen, die sich vor allem dort informieren, dürfte dabei weiter gewachsen sein. „Wir sind alle den ganzen Tag im Internet, dann ist es nur logisch, dass hier auch Politik stattfindet“, sagt die Aktivistin Leão.

Durch den digitalen Wahlkampf ist es möglich, Personen gezielter anzusprechen. So bekommt ein junger Mensch auf dem Land andere Inhalte ausgespielt als eine ältere Brasilianerin in der Stadt. Der Wahlkampf im Internet habe dazu so geführt, dass die Kampagnen viel komplexer, aber auch intransparenter geworden sind, sagt Medienexperte Brito Cruz. Es gebe nun keine klare Instanz mehr, die entscheidet, wer im Fernsehen Sendeplätze bekommt. Stattdessen organisierten die Kandidaten und Unternehmen die Kampagnen viel dezentraler.

Mit den digitalen Kampagnen kommt eine enorme Herausforderung: Im Netz verbreiten sich Falschnachrichten mit rasanter Geschwindigkeit. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass Fake News bei den Wahlen im Jahr 2018 gezielt eingesetzt wurden, um politische Gegner zu diskreditieren. Davon hatte besonders Bolsonaro profitiert. „Auch jetzt sehen wir wieder, wie Desinformation in der politischen Kampagne genutzt wird“, sagt Brito Cruz. Das sei eine ernsthafte Bedrohung, aber Brasilien sei deutlich besser darauf vorbereitet als noch vor vier Jahren. So seien sowohl die politischen Rahmenbedingungen angepasst worden als auch die Richtlinien der sozialen Netzwerke selbst. Das löse zwar nicht alle Probleme, sei aber immerhin ein guter Ansatz.

Für die Stadtplanerin Leão sind die beste Waffe gegen Fake News gut recherchierte Inhalte, die sie über die sozialen Netzwerke verbreitet. Hierein will sie in den kommenden Wochen besonders viel Zeit stecken.

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