Brasilien vor klimapolitischer Richtungswahl

Rio de Janeiro - „Rückschritt, Zerstörung und Inkompetenz - das sind die drei Dinge, die die Regierung Bolsonaro uns in Sachen Klimapolitik hinterlässt“, sagt Izabella Teixeira. Sie war in zwei früheren Regierungen der Arbeiterpartei Umweltministerin. Heute berät sie verschiedene Akteure der Klimapolitik und arbeitet am Wahlkampfprogramm von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva mit, der erneut für das Amt kandidiert. Die klimapolitische Debatte wird auch in Brasilien immer wichtiger.

Das größte südamerikanische Land wählt am 2. Oktober einen neuen Präsidenten. Zur Wahl stehen der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro und der Sozialdemokrat Lula. In allen aktuellen Umfragen liegt Lula vorn. Einiges deutet darauf hin, dass er schon im ersten Wahlgang gewinnen könnte. Ansonsten steht eine Stichwahl am 30. Oktober an.

Armut, Hunger und Korruption als Themen

Dominierende Themen sind dabei Armut, Hunger und Korruption. Aber auch auf die Zerstörung der Umwelt richtet sich die Aufmerksamkeit zunehmend. In der Regierungszeit Bolsonaros hat die Abholzung in Brasilien Höchstwerte erreicht, außerdem wurden viele neue Pestizide zugelassen, die nun Boden und Wasser verseuchen. Sowohl in Amazonien als auch in der artenreichen Savannenlandschaft Cerrado im Zentrum des Landes wüten immer wieder riesige Feuer. Die Folgen davon sind verheerend - da sind sich die Expertinnen und Experten einig. „Wir stehen kurz davor, dass der Wasserkreislauf in Amazonien zusammenbricht und dann könnte ganz Südamerika zu einer Wüste werden“, fasst der Geograf Clovis Vailant vom Institut Gaia, das sich für Umweltforschung und -bildung einsetzt, das Ausmaß der Zerstörung zusammen.

Aus der Sicht von Izabella Teixeira hat die Regierung Bolsonaro alles, worauf früher Klimapolitik aufgebaut hat, außer Kraft gesetzt. Zum einen habe die Regierung sowohl wissenschaftliche Institutionen geschwächt als auch deren Erkenntnisse angezweifelt. Außerdem sei die Zivilgesellschaft aus allen politischen Prozessen rund um Klimapolitik ausgeschlossen worden. Zusätzlich hat die Regierung sich immer mehr aus dem internationalen Dialog zur Klimapolitik herausgezogen. „Die gesamte Maschinerie der Klimapolitik hier hat aufgehört zu funktionieren“, sagt sie.

Kürzungen im Klimaschutz

Adriana Abdenur, Gründerin und Geschäftsführerin des Thinktanks Cipó, verweist zudem darauf, dass in den vergangen vier Jahren an vielen Stellen die finanziellen und personellen Mittel für den Klimaschutz stark gekürzt wurden. Institutionen wie die brasilianische Umweltschutzbehörde Ibama haben nun so wenig Ressourcen, dass sie ihre Aufgaben gar nicht mehr effektiv erfüllen können. „Mit all dem hat Brasilien seine internationale Glaubwürdigkeit in Sachen Klimaschutz völlig verloren“, meint sie. Die müsse in den kommenden Jahren wieder aufgebaut werden. Ihr Thinktank hat Vorschläge für eine neue Klimapolitik ausgearbeitet. Dabei ist Abdenur sich sicher, was Priorität haben sollte: „Als erstes müssen wir den Trend der zunehmenden Abholzung stoppen.“

Dem stimmt Izabella Teixeira zu: „Das wird eine große Herausforderung, und wir können das nicht alles in einem Jahr schaffen.“ Zusätzlich müsste auch auf neue Ansätze gesetzt werden - beispielweise auf bessere Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Akteuren im Umweltschutz. Nach Einschätzung Abdenurs sollte Brasilien außerdem damit beginnen, ambitioniert an einer gerechten Energiewende zu arbeiten und erneuerbare Energien auszubauen. „Damit kann Brasilien ein positives Signal nach außen senden und zeigen, dass in Zukunft wieder konstruktive Zusammenarbeit möglich ist“, findet die Soziologin.

Sie und Teixeira trauen es einer möglichen Regierung Lula zu, dass Thema schnell zu einer Priorität zu machen. Clovis Vailant allerdings glaubt nicht, dass mit einer neuen Regierung in Sachen Klima alles auf einmal besser wird. „Ich hoffe aber, dass es dann wenigstens wieder die Möglichkeit zum Dialog gibt“, sagt er. Denn aktuell könne man in Klima- und Umweltfragen gar nicht mit der Regierung sprechen. (epd lku fu)

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