Das Militär soll es richten

Rio de Janeiro - „Keiner akzeptiert dieses Wahlergebnis. Mit Sicherheit gab es Wahlbetrug“, sagt der Demonstrant Mario Jorge Ramos in Rio de Janeiro. Wie Tausende andere Menschen ist er wenige Tage nach der Stichwahl um das brasilianische Präsidentenamt vor den Duque de Caixas Palast, den Hauptsitz des Militärs in Rio de Janeiro, gekommen, um seine Unterstützung für den gerade abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro zu zeigen. Die meisten Menschen hier tragen die Nationalfarben Grün und Gelb, viele haben sich auch eine Brasilien-Flagge um die Schultern gewickelt. Die Demonstrantin Jaqueline Ferreira sagt: „Ich demonstriere hier für meine Nation, mein Vaterland.“

Am Sonntag hatte der rechtsextreme Amtsinhaber Jair Bolsonaro die Stichwahl ums Präsidentenamt knapp verloren. Der Ex-Militär erhielt 49,1 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer, der Linkspolitiker Luiz Inácio Lula da Silva, kam auf 50,9 Prozent. Der 77-jährige Lula, der bereits von 2003 bis 2011 Präsident von Brasilien war, soll im Januar 2023 seine dritte Amtszeit antreten.

Genau das wollen die Demonstrierenden verhindern. „Wir fordern eine Militärintervention“, sagt Ramos in seiner aufgebrachten Rede - wie viele seiner Mitstreiter fordert er damit unverhohlen einen Staatsstreich. Der Aufruf zum Putsch ist in Brasilien illegal und wirkt angesichts der bis 1985 herrschenden Militärdiktatur befremdlich.

Die Demo in Rio ist kein Einzelfall: An vielen Orten protestieren seit dem entscheidenden Wahlgang Menschen auf der Straße. Außerdem haben Lkw-Fahrer seit Sonntagnacht im ganzen Land Straßenblockaden organisiert. Die Berufsgruppe ist dafür bekannt, Bolsonaro zu unterstützen. Autos und Anhänger werden quer gestellt, teilweise brennen Barrikaden. Es häufen sich die Nachrichten, dass notwendige Lebensmittel und Medikamente nicht mehr überall ankommen.

Am Mittwochabend schließlich sagte Bolsonaro, der seit seiner Wahlniederlage auffällig still war, dass er die Straßenblockaden nicht für ein geeignetes Mittel halte. Andere Formen des Protestes seien aber willkommen. Viele der Blockaden wurden daraufhin abgebaut, aber nicht alle Protestierenden leisteten der Aufforderung des noch amtierenden Präsidenten Folge. Insgesamt soll es in den vergangenen Tagen mehr als 800 Sperren gegeben haben, auch am Tag nach Bolsonaros Wortmeldung zählte die Polizei noch immer 73. Besonders viele davon befinden sich im Süden und Südosten von Brasilien, wo die Agrarindustrie besonders stark ist.

Trotz dieses Aufruhrs waren die Tage nach der Wahl in Brasilien ruhiger als erwartet. Viele Expertinnen und Experten hatten vor möglichen gewaltsamen Ausschreitungen oder gar einem Putschversuch gewarnt, weil Bolsonaro immer wieder deutlich gemacht hatte, dass er eine Wahlniederlage nicht akzeptieren werde. Doch viele wichtige politische Partner von Bolsonaro haben die Wahl bereits anerkannt und auch viele seiner Anhänger wollen nach dem erbittert geführten Wahlkampf wieder zur Normalität zurückkehren.

Auf den ersten Blick erscheinen die Demonstrationen und Blockaden als ein letztes Aufbäumen von schlechten Verlierern, einer kleinen Minderheit, die sich nicht an die Spielregeln halten möchte. Doch die Proteste zeugen zugleich von der durch Bolsonaro mit vorangetriebenen Polarisierung der brasilianischen Gesellschaft. In den vergangen vier Jahren wurden viele Menschen radikalisiert und glauben heute eher Verschwörungsmythen als seriösen Nachrichten. Ihre wichtigste Informationsquelle sind auf WhatsApp geteilte Bilder und Nachrichten.

Einige der Protestierenden haben zudem offen rechtsextreme Tendenzen: Bei einer Demo in São Miguel im Bundesstaat Santa Catarina haben Demonstrierende die brasilianische Nationalhymne gesungen und dazu den Hitlergruß gezeigt. Die polarisierte Gesellschaft unter diesen Voraussetzungen wieder zusammenzubringen und Brasilien in den kommenden Jahren friedlich zu regieren, wird eine enorme Herausforderung für den linksgerichteten Lula.

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