Hunderte Tote bei Bootsunglück vor Griechenland befürchtet

Das erneute Sinken eines Flüchtlingsbootes im Mittelmeer mit möglicherweise Hunderten Toten löst Trauer und Wut aus. Seenotretter erheben schwere Vorwürfe gegen die Behörden.

Genf, Athen - Das neuerliche Sinken eines Flüchtlingsbootes mit möglicherweise Hunderten Opfern vor Griechenlands Mittelmeer-Küste hat Betroffenheit und Wut ausgelöst. Die Vereinten Nationen gaben sich am Donnerstag in Athen „zutiefst schockiert und traurig“ über das Unglück mit vielen Toten in südgriechischen Gewässern. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerte sich erschüttert. „Wir dürfen angesichts dieser Not nicht abstumpfen, sondern müssen beharrlich weiter daran arbeiten, legale Migrationswege zu schaffen.“

Bisher seien 79 Leichen geborgen worden, aber die Zahl der Todesopfer werde wahrscheinlich steigen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. Ersten Informationen zufolge war das Schiff von Libyen aus aufgebrochen und befand sich seit Mittwochmorgen in Seenot. Laut privaten Seenotrettungsorganisationen befanden sich darauf bis zu 750 Menschen.

Die griechischen Behörden hätten eine groß angelegte Aktion gestartet und 104 Menschen gerettet, sagte Gianluca Rocco, IOM-Chef in Griechenland. Es handele sich um eine der schlimmsten Bootstragödien im Mittelmeer. Die Situation unterstreiche die Dringlichkeit konkreter Maßnahmen seitens der Staaten, um Menschenleben auf See zu retten und gefährliche Reisen durch sichere Migrationswege zu reduzieren.

Faeser sprach von einer schrecklichen Katastrophe und versprach, die EU-Staaten am Mittelmeer weiter zu unterstützen und solidarisch Menschen aufzunehmen, die aus Seenot gerettet wurden. Dafür sei der vereinbarte dauerhafte „Solidaritätsmechanismus“ zwischen den EU-Staaten wichtig ebenso wie Migrationsabkommen, die Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit achteten.

Scharfe Kritik an der EU kam von Nichtregierungsorganisationen. „Die Tatsache, dass weiterhin Menschen im Mittelmeer sterben, sollte ein Weckruf für die Regierungen und Institutionen der EU sein, die derzeit über den EU-Pakt für Migration und Asyl verhandeln“, erklärte die Kinderhilfsorganisation „Save the Children“.

Auch private Seenotrettungsorganisationen riefen die EU-Staaten auf, sofortige Maßnahmen gegen das Sterben im Mittelmeer zu ergreifen. Die spanische Organisation „Open Arms“ kritisierte die griechischen Behörden scharf: „Sie haben Hunderte Menschen vor ihren Augen sterben lassen“, hieß es. „Die Behörden waren auf dem Laufenden viele Stunden vor dem Schiffsunglück und niemand hat sie gerettet.“ Über 100 Kinder und Frauen seien ertrunken. Es seien zwischen 400 und 750 Menschen an Bord gewesen, fünf Tage und Nächte, ohne Essen oder Wasser.

„Das Leben von in Seenot geratenen Menschen nicht zu retten, ist ein Verbrechen“, erklärte SOS Méditerranée: „Es ist schwer, erneut Worte zu finden, die Wut und Trauer über die neue Tragödie vor der griechischen Küste ausdrücken.“ Das Sterben hätte verhindert werden können.

Das Mittelmeer gehört zu den gefährlichsten Fluchtrouten der Welt. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM), starben bei der Überquerung in diesem Jahr bislang mehr als 1.300 Menschen oder sie werden vermisst. Es gibt allerdings keine staatlich organisierte Seenotrettung, sodass lediglich private Initiativen nach Geflüchteten in Seenot Ausschau halten.

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