Fischer und Wieczorek-Zeul stellen sich Fragen der Enquete-Kommission

Die Enquete-Kommission des Bundestags zu den Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz hat frühere Regierungsmitglieder angehört. Manches sehen sie heute kritisch. Den Einsatz an sich sehen sie aber nicht als Fehler. Es sei nicht umsonst gewesen, hieß es.

Berlin - Der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sieht im Rückblick auf den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr die mangelnde militärische Stärke Deutschlands kritisch, stellt die Mission an sich aber nicht infrage. „Ich halte das nicht für einen Fehler“, sagte Fischer am Montag bei seiner Befragung vor der Enquete-Kommission des Bundestags zu den Lehren aus dem Einsatz. Er begründete dies vor allem mit Bündnisinteressen. „Wären wir nicht mitgegangen, hätten wir einen enorm hohen Preis bezahlt im Bündnis“, sagte Fischer, der von 1998 bis 2005 Außenminister war. Auch die langjährige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) verteidigte den Einsatz. „Es war nicht umsonst“, sagte sie. 

Wieczorek-Zeul, die von 1998 bis 2009 Ministerin war, verwies vor allem auf die hohen Erwartungen der Frauen und Mädchen. Sie hätten sich erhofft, zur Schule und arbeiten gehen zu können. In den Jahren des Einsatzes sei einiges erreicht worden, sagte Wieczorek-Zeul und verwies auf 786 von Deutschland errichtete Trinkwasseranlagen in Afghanistan und die Halbierung der Müttersterblichkeit. 20 Jahre lang hätten die Menschen ein anderes Leben gehabt und viele versuchten, auch nach der erneuten Machtübernahme der Taliban davon Teile zu erhalten, sagte die Politikerin. Zugleich bezeichnete sie das zwischen den USA und den Taliban ausgehandelte Abkommen als unverantwortlich gegenüber den Frauen in Afghanistan.

Fischer und Wieczorek-Zeul sehen rückblickend negative Auswirkungen des von den USA angeführten Irak-Kriegs im Jahr 2003 auf die Situation in Afghanistan. Die Aufmerksamkeit der USA für Afghanistan habe nachgelassen. Der Skandal um die Folterung von Gefangenen durch US-Soldaten im Gefängnis Abu Ghraib habe auch in Afghanistan zu einer Verachtung gegenüber den USA geführt und für Unterstützung der Taliban gesorgt, sagte die frühere Entwicklungsministerin. „Afghanistan war das erste Opfer des Irak-Kriegs“, resümierte Fischer.

Vor die Kommission geladen wurde auch der frühere Bundesminister Thomas de Maizière (CDU), der insbesondere zu seiner Zeit als Kanzleramtschef in den Jahren 2005 bis 2009 befragt wurde. De Maizière sagte rückblickend, die militärische Stärke der Taliban sei unterschätzt, die politische Stärke der afghanischen Regierung überschätzt worden. Er hob hervor, welche Auswirkungen der Einsatz auf das Bild der Bundeswehr heute habe. Für die deutschen Streitkräfte sei der Einsatz eine „bittere, aber wichtige Erfahrung“ gewesen. Zudem habe sich Deutschland über die Zeit des Afghanistan-Einsatzes „als Sicherheitsmacht Respekt verschafft“. Die Bundeswehr habe bewiesen, dass sie verlässlich sei.

Deutlich kritischer äußerte sich der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, vor den Abgeordneten und Experten. Er kritisierte die Arbeitsbedingungen für seine Mitarbeiter in Afghanistan. Er habe damals Zweifel am Sinn des Einsatzes gehabt und habe diese noch heute, sagte er. Gleichzeitig hob er auch hervor, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst 19 Anschläge auf die deutschen Streitkräfte in Afghanistan verhindert habe.

Die Enquete-Kommission hat die Aufgabe, den 20-jährigen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des internationalen Militäreinsatzes rückblickend zu analysieren und daraus Lehren für künftige Einsätze zu entwickeln. Rund 160.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten leisteten zwischen 2001 und 2021 Dienst in Afghanistan, 59 verloren dabei ihr Leben. Ende Juni 2021 verließen nach einem Nato-Beschluss die letzten deutschen Streitkräfte das Land. Die Taliban übernahmen kurz darauf die Macht. 

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