Lebenswichtige Medikamente für die Menschen in der Ukraine

In der Ukraine sind Millionen Menschen von medizinischer Versorgung abgeschnitten. Ein freiwilliger Helfer aus Potsdam transportiert Medikamente aus privaten Sammlungen in das Land, das sich im Krieg befindet.

Lwiw - Der Junge rutscht in seinem Krankenbett unruhig hin und her. Eine grüne Schutzmaske bedeckt sein fahles Gesicht. Tima ist elf Jahre alt, stammt aus Charkiw im Osten der Ukraine und leidet an der unheilbaren Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose. „Mein Tima schläft schlecht“, sagt seine Mutter Anna, die sichtbar besorgt ist. „Der ständige Beschuss von Charkiw hat ihm schwer zugesetzt.“

Die Mutter und Tima fuhren mehr als zwei Tage mit Zügen aus ihrer Heimatstadt nach Lwiw in den relativ sicheren Westen der Ukraine. Seit einer Woche leben sie dort in einem Kinderkrankenhaus. Der Kleine erhält nun eine lebenswichtige Behandlung mit Medikamenten und medizinischen Geräten. In Charkiw, das Russland Armee seit Tagen attackiert, gibt es keine Therapie für Tima.

Die speziellen Antibiotika-Tabletten und die Inhalatoren, die dem Patienten zugutekommen, stammen aus Deutschland. „Die Hilfe aus Deutschland ist sehr wichtig für uns“, sagt Olena Koslowa, die Direktorin des Krankenhauses. Sie zeigt in ihrem Büro auf eine große Wandkarte. „Wir haben Patienten aus der ganzen Ukraine bei uns, besonders aus dem umkämpften Osten.“

Unbezahlbare Therapien

In dem gewaltgeplagten Land sind Millionen Menschen von regelmäßiger medizinischer Versorgung abgeschnitten. Drei von vier der Ukrainerinnen und Ukrainer können sich nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation Medikamente und Therapien nicht mehr oder kaum noch leisten. Ein Beispiel: Die notwendige lebenslange Behandlung gegen die Mukoviszidose mit dem Medikament Creon etwa kostet pro Tag zehn Euro - zu viel für etliche der verarmten Erkrankten, die viele Arbeiten nicht verrichten können.

Eine medizinische „Katastrophe dieses Ausmaßes hat es auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben“, bilanziert der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Henri Kluge die Gesamtlage.

Alarmiert vom Leiden der Menschen in der Ukraine trat kurz nach Beginn des russischen Großangriffs im Februar 2022 der Verein Atemspende aus Mainz auf den Plan. Der Verein sammelt Spenden für Medikamente, besonders gegen Mukoviszidose und chronische Lungenkrankheiten, und koordiniert deren Verteilung. Finanziert wird das Hilfsprojekt durch private Spender und vom deutschen CF Verein Mukoviszidose sowie dem Verein Apotheker ohne Grenzen.

Verdienstorden für Medikamententransport

Dabei zählt Atemspende auf ehrenamtliche Helfer wie den Potsdamer Wolfgang Rackebrandt. Der Beamte des Europäischen Parlaments in Luxemburg transportiert seit zwei Jahren Medikamente, medizinische Apparate und andere Hilfsgüter in das osteuropäische Land. Zehn Fahrten mit Waren im Wert von rund 300.000 Euro hat er nun hinter sich - einige Wochen Urlaub nahm er dafür in Anspruch. Den unentgeltlichen Einsatz des Deutschen lohnten die Ukrainer mit einem staatlichen Verdienstorden. „Ich wollte etwas Konkretes für die Menschen tun, nicht nur auf den Knopf zu Überweisung von Spenden drücken“, sagt Rackebrandt.

Der 57-jährige Vater einer erwachsenen Tochter sitzt am Steuer seines Kleintransporters. Links und rechts der holprigen Straße gleitet die hügelige Landschaft der westlichen Ukraine vorbei. Im Rückspiegel taucht Blaulicht auf. Es ist ein Konvoi aus zehn schweren Lastkraftwagen, ohne Nummernschilder, eskortiert von Polizeifahrzeugen. Die Lkw rauschen in Richtung Osten. Sie liefern Rüstungsgüter an die Front.

Gegenüber den mächtigen Trucks mit der todbringenden Fracht nimmt sich Rackebrandts humanitäre Lieferung winzig aus. Doch die Spenden aus Deutschland zeigen Wirkung: Eine Fuhre mit Rackebrandts Kleintransporter reicht für drei Monate Behandlung Hunderter Menschen mit Mukoviszidose in der Ukraine. „Ich transportiere die Güter und sehe genau, dass die Hilfe auch ankommt“, erläutert der Sprachwissenschaftler und lenkt sein Vehikel auf den Hof eines Hospitals außerhalb von Lwiw.

Dort wartet Olena Waschschuk die Leiterin Innere Medizin. Die quirlige Frau führt durch den renovierungsbedürftigen Trakt, in dem Patienten mit Mukoviszidose liegen. Bogdan, ein 23-jähriger Mann aus dem nördlichen Tschernihiw, erhält hier seit 14 Tagen eine intravenöse Behandlung. „Wegen meiner Krankheit bin ich vom Wehrdienst befreit“, sagt Bogdan. Seine Augen blicken traurig in den kahlen Raum. Schon bald muss er das Bett für einen andere Patienten räumen.

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