Nairobi (epd). Mit Graffiti verzierte Matatu-Busse, unzählige Autos, Motorradtaxis und Lkw schieben sich an einem Montagabend über eine der zentralen Kreuzungen in Kenias Hauptstadt Nairobi. Am Straßenrand haben Verkäufer zur Rushhour kleine Stände aufgebaut. Wenige Meter entfernt versammeln sich junge Erwachsene, die dem Trubel entkommen wollen, im „Beer District“.
Alle zwei Wochen wird in der Bar der kenianischen Craft-Bier-Brauerei 254 zu den „Drunken Lectures“ geladen: Vorträgen bei einem Glas Bier. Das Thema heute: „Geometrische Formen in der Natur versus in menschlichem Design“. Viele Leute hätten Fachwissen, aber keine Gelegenheit, dieses zu vermitteln, sagt Keith Ang'ana, einer der Organisatoren der Veranstaltung: „Deswegen machen wir das hier informell - und was wäre dafür besser geeignet als eine Bar?“
Gemeinsam mit seinen Freunden Mathias Mwangi und Mutinda Kilonzo hat Ang'ana die „Drunken Lectures“ im Februar gestartet. Sie wollten einen Ort für Nerds schaffen, um gemeinsam zu lernen. Mittlerweile erreichen sie ein breites Publikum. An diesem Montag sitzen mehr als 120 Gäste an den Tischen und auf den Mauern des Außenbereichs - und das trotz der umgerechnet 3,50 Euro Eintritt, die zum ersten Mal verlangt werden. Wer will, bekommt dafür das erste Bier umsonst.
Frisch gezapftes Bier steht auf vielen der Tische. Weil es in Nairobi nachts gerade kühl ist, sind auch schwarzer Tee mit Milch oder das Ingwer-Zitronen-Konzentrat Dawa beliebt. So auch bei Faith, einer Buchhalterin, die zum ersten Mal bei einer der „Drunken Lectures“ ist. Die junge Frau, die ihren Nachnamen lieber nicht in der Öffentlichkeit sehen möchte, fühlt sich direkt wohl: „Das hier ist eine Gemeinschaft der jüngeren Generation“, sagt sie. Orte, wo man ohne Prüfungsdruck, aber gemeinsam lernen könne, seien rar.
Zu Beginn bekommt jeder Tisch eine provokative Frage; Faith und ihre Tischnachbarinnen diskutieren etwa darüber, welche Form Künstliche Intelligenz hat - und wenn die KI ein Mensch wäre, wie würde sie aussehen? Am Nachbartisch geht es darum, ob runde Häuser zu glücklicheren Ehen führen. Jede Gruppe präsentiert ihre besten - oder lustigsten - Argumente. Wer den meisten Jubel erntet, gewinnt.
Den eigentlichen Vortrag des Abends hält aber Eric Mwaura, schwarze Jacke, schwarze Basecap. Er ist Grafikdesigner und hat einen TikTok-Kanal, auf dem er Zehntausenden Menschen regelmäßig Physik und Mathematik erklärt. Heute erklärt er die Unterschiede des menschlichen Designs zur Geometrie der Natur. Die Fernseher, auf denen normalerweise Fußball läuft, zeigen die Slides seiner Präsentation. Zu sehen ist ein Schneckenhaus - dazu die sogenannte Fibonacci-Folge, die Spiralen berechnet.
„Es ist so, dass die Natur kein Material verschwendet. Sie nutzt die geringste Oberfläche, um etwas zu formen. Alle Planeten, alle Sonnen, Monde, sind rund“, sagt Mwaura. Im menschlichen Design dagegen überwögen eckige Formen, weil dadurch auf wenig Platz mehr untergebracht werden könne - mehr Häuser auf wenig Raum, mehr Schachteln im Regal. An anderen Abenden ging es in den Vorträgen auch schon um Automechanik und das Bierbrauen.
Doch auch politische Themen spielen eine Rolle. Anfang Juni diskutierten die Gäste über das Haushaltsgesetz, gegen das vor einem Jahr Zehntausende Menschen in dem ostafrikanischen Land auf die Straße gegangen sind. „Das politische Erwachen nach den Protesten im vergangenen Juni, der Durst nach Wissen und nach freier Meinungsäußerung hat sicher zu Formaten wie diesem beigetragen“, sagt Faith. Es sei gut, sich zu den politischen Gegebenheiten zu bilden. An den Tischen diskutieren viele Gäste auch über die aktuellen Proteste gegen die tödliche Polizeigewalt in dem ostafrikanischen Land.
Als ein DJ kenianische Musik auflegt, klingen die Gespräche langsam aus. „Wir wollen, dass Leute Montage lieben und gemeinsam lernen“, sagt Ang'ana. Er hofft, dass sie dafür weitere Mitstreiter finden, auch in anderen Städten.