Wider die Kriegshysterie

Bundeskanzler Olaf Scholz besucht einen Rüstungskonzern nach dem anderen, Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert, Deutschland müsse "kriegstüchtig" werden, und Katarina Barley, die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, fantasiert über eine europäische Atombombe: Alle drei wollen Frieden und Sicherheit, sagen sie, doch wenn selbst Sozialdemokraten dabei nur noch an Waffen und Soldaten denken, läuft in der Debatte einiges schief. Willy Brandt und Egon Bahr, SPD-Vordenker der Entspannungspolitik während des Kalten Kriegs, würden sich vermutlich im Grabe umdrehen.

Höchste Zeit, den Fokus auf Alternativen zur Gewalt zu richten: Christine Schweitzer vom Bund für Soziale Verteidigung erklärt im Interview mit meiner Kollegin Melanie Kräuter, warum sie das Bundeswehr-Sondervermögen streichen würde und warum ihr Bewegungen im globalen Süden Mut machen, die auf zivilen Widerstand gegen Gewalt setzen. 

Ich wünsche Ihnen starke Nerven angesichts der anschwellenden Kriegshysterie und eine anregende Lektüre auf unserer Webseite.

Tillmann Elliesen

Das bewegt die Redaktion

Jetzt ist es passiert: Im vergangenen Jahr war die Welt rund 1,5 Grad wärmer als im vorindustriellen Mittel. Das Ziel der Pariser Klimakonferenz von 2015, diesen Schwellenwert nicht dauerhaft zu überschreiten, dürfte damit Makulatur sein. Wir müssen uns also auf eine deutlich stärker erhitzte Welt einstellen - und auf die teilweise katastrophalen Folgen. Das hat der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen schon vor gut vier Jahren in einem Aufsatz mit dem programmatischen Titel „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ gefordert. Technisch sei es vielleicht noch möglich, die Erderwärmung bei 2 Grad zu stoppen, nicht aber politisch und gesellschaftlich, schrieb Franzen damals. Klimaschutz sei wichtig, aber wir sollten aufhören, einem illusionären Ziel zu folgen, und stattdessen mehr dafür tun, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an die Folgen des Klimawandels anzupassen und krisenfest zu machen. Klimaschützer haben Franzen damals Defätismus und ähnliches vorgeworfen. Jetzt zeigt sich: Er hatte von Beginn an recht. Ich fand seine Gedanken schon damals mit das Klügste, was es zum Klimawandel zu lesen gibt.

Neu auf "welt-sichten"

Mobilisiert mehr Privatkapital! Die Bundesregierung kürzt wie andere Geber die Entwicklungshilfe. Könnte privates Geld die Lücke füllen? Teilweise schon, meint der Ökonom Roger Peltzer - und kritisiert: Deutschland hat die Werkzeuge dafür, nutzt sie aber nicht genug. 

Fette Beats, magere Tantiemen: Musik ist weltweit ein Riesengeschäft. Verwertungsgesellschaften sollen dafür sorgen, dass Musikerinnen und Musiker einen fairen Anteil der Gewinne kriegen. In Afrika funktioniert das noch nicht so richtig; engagierte Künstler und Produzenten wollen das ändern, berichtet Monika Hoegen.

Brüssel kürzt die Entwicklungsfinanzierung: Im Rahmen ihrer Halbzeitprüfung des Haushalts 2021-2027 hat die EU der Ukraine weitere Unterstützung zugesagt. Mehr Geld gibt es auch für die Kontrolle von Migration – auf Kosten der Entwicklungspolitik. Das sorgt für Kritik.

Von Nicaragua in den Vatikan: Nach einem Jahr im Gefängnis hat die nicaraguanische Regierung den katholischen Bischof Rolando Álvarez freigelassen und in den Vatikan abgeschoben. Die Beziehungen zwischen der Kirche und der Regierung von Daniel Ortega bleiben gespannt, berichtet Katja Dorothea Buck.

Noch immer interessant

Seit dem Massaker der Hamas in Israel und den Angriffen der israelischen Armee auf Gaza scheint der Nahostkonflikt schwerer lösbar denn je. Wie konnte sich die Lage in den vergangenen Jahrzehnten derart zuspitzen und welche Rolle hat die Religion dabei gespielt? Das hat der Bremer Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg bereits vor zwölf Jahren schlüssig in einem Artikel für "welt-sichten" erklärt. Er zeigt, wie seit den späten 1970er Jahren in Israel der Anspruch auf das umstrittene Land und bei den Palästinensern der Widerstand gegen die Besatzung religiös verbrämt wurden. Die jeweils andere Seite wird seitdem buchstäblich verteufelt - wohin das führt, sehen wir seit dem 7. Oktober 2023. Kippenbergs Analyse ist hochaktuell und immer noch lesenswert. 

Medienschau: Worüber andere berichten

Der Senegal wankt: Präsident Macky Sall hat im Senegal Wahlen verschoben und die eigene Amtszeit verlängert – und er versucht, Kritiker mundtot zu machen. Der "Guardian" lässt einige von ihnen schildern, was sie von Sall halten, was sie erlebt haben und nun für ihr Land fürchten.

Showdown in Genf: Indien und Südafrika wollen Ende Februar bei der Welthandelsorganisation formell gegen den CO2-Grenzausgleichsmechanismus CBAM der EU protestieren. Sie fühlen sich von der Klimaschutzabgabe auf Exporte in die EU diskriminiert, berichtet "EUobserver".

Reden statt schießen! Dutzende Städte in Burkina Faso werden von Dschihadisten belagert, die gegen die Regierung kämpfen, berichtet ein Sprecher der Zivilgesellschaft in "The New Humanitarian" - und fordert die Regierung zum Dialog auf.

Denkfabrik: Was Fachleute sagen

Gefährliche Mischfinanzierung: Entwicklungsländer brauchen viel mehr Finanzhilfe für Klimaschutz und Klimaanpassung. Eine Studie betrachtet kritisch, ob man, um die aufzubringen, mit öffentlichem Geld Privatinvestitionen fördern soll. Bernd Ludermann hat sie gelesen.

Werkzeug für Kolonialherren, Befreiungskämpfer und Völkermörder: Vor 100 Jahren ging in Südafrika die erste Radiostation des Kontinents auf Sendung. Für Millionen Afrikaner ist das Radio bis heute die wichtigste Informationsquelle. Ein Rück- und Überblick in "The Conversation".

Völker, hört ihr die Biosektkorken knallen? Erstmals in der Geschichte gehören die meisten Menschen auf der Erde zur Mittelklasse oder sind sogar reicher, erklärt Homi Kharas in einem Interview mit "Brookings". Sie wollen kräftig konsumieren – aber dank moderner Technik nachhaltiger.

Ausblick

Eine dekolonisierte Entwicklungszusammenarbeit ist möglich! Aber wie? Darum geht es am 1. und 2. März auf der Konferenz "Decolonize NOW! – Erinnern. Umdenken. Verändern." des Eine Welt Netz NRW in Kooperation mit dem Gustav-Stresemann-Institut e.V. Bonn und der Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW. Weitere Informationen zu Programm und Anmeldung gibt es hier.

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