Dreifache Spurensuche in der Wüste

Nostalgia de la luz
Chile, Frankreich, Deutschland 2010
Regie: Patricio Guzman, 90 Minuten
Kinostart: 23. Dezember 2010


Die saubere Bergluft der trockenen Atacama-Wüste im Norden Chiles liefert Astronomen ideale Arbeitsbedingungen. Mit hochmoderner Technik beobachten sie dort in sechs internationalen Observatorien den Sternenhimmel. Die riesigen Beobachtungsstationen bilden in Patricio Guzmáns essayistischem Dokumentarfilm den Ausgangspunkt für eine dreifache Spurensuche in der Vergangenheit. Während die Forscher uralte Lichtquellen im All untersuchen, um mehr über die Entstehung der Welt und die mögliche Zukunft der Erde zu erfahren, graben Archäologen im Boden nach den Überresten präkolumbianischer Zivilisationen. Dabei finden sie auch mumifizierte Leichen von Minenarbeitern aus dem 19. Jahrhundert. In Sichtweite der Observatorien durchkämmen zudem ältere Frauen die Erde nach Überresten ihrer Angehörigen, die die Militärdiktatur von Augusto Pinochet zwischen 1973 und 1990 ermorden oder „verschwinden" ließ. Viele davon „verschwanden" in der Wüstensiedlung Chacabuco, wo das Regime die Arbeiterbaracken einer aufgelassenen Salpetermine zum Konzentrationslager umfunktionierte. Guzmán stellt unter anderem den Ex-Häftling Luis vor, der sich im KZ seine innere Freiheit bewahrte, indem er die so gut sichtbaren Sterne beobachtete. Diese Querverbindung steht symptomatisch für die souveräne Erzählhaltung des Films. Einige Massengräber sind inzwischen gefunden worden, doch nicht alle Leichen sind identifiziert. Außerdem habe das Militär viele Leichen mit Baggern ausgegraben und an unbekannter Stelle verscharrt oder im Meer versenkt, um Spuren zu verwischen, erfährt man im Film. Vicky Saavedra, die ihren Bruder vermisst, appelliert an die Militärs: „Sie müssen uns diese Informationen geben, damit wir die Toten angemessen begraben können."

Trotz jahrelanger vergeblicher Bemühungen haben einige Frauen die Suche noch immer nicht aufgegeben. Der renommierte 68-jährige Filmemacher Guzman, der 1973 emigrieren musste, bettet die rigide Wahrheitssuche der Frauen und der Forscher in ruhige faszinierende Bildsequenzen der majestätischen Landschaft. Dank seiner subtilen metaphorischen Erzählweise gibt Guzmán dem Zuschauer viele Denkanstöße, ohne je in plakative Botschaften zu verfallen.


Reinhard Kleber

 

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Segelboot aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!