Besser dran im neuen Dorf?

David gegen Goliath: An das biblische Duell erinnert das Porträt einer Dorfgemeinschaft in Kolumbien, die einer riesigen Kohlegrube weichen soll. Jens Schanze hat die Gegenwehr der Wayuu beobachtet.

Etwa 35 Familien mit 180 Mitgliedern leben in Tamaquito in den Wäldern im Norden Kolumbiens an der Grenze zu Venezuela. Die Indigenen der Volksgruppe der Wayuu bauen Gemüse an, halten Schafe und Rinder, jagen im Wald und fischen in einem nahen Fluss. Doch der größte Kohletagebau der Welt rückt immer näher. Ein Drittel der 100.000 Tonnen Kohle, die in der Mine El Cerrejón täglich gefördert werden, wird nach Deutschland exportiert. Dort sind nach dem Atomausstieg etliche neue Kohlekraftwerke geplant, die Steinkohleförderung hingegen soll bis 2018 auslaufen.

Die Umsiedlung scheint unausweichlich. Um die schädlichen Folgen zu begrenzen, setzt der besonnene junge Dorfvorsteher Jairo Fuentes auf Verhandlungen mit der Bergbaufirma, die dem Schweizer Konzern Glencore Xstrata, der britischen Anglo American und der britisch-australischen BHP Billiton gehört. Nur widerwillig erklären sich die Konzernvertreter zu einem Vertrag bereit, der den Indigenen ein neues Dorf in 30 Kilometer Entfernung mit Stromversorgung und fließendem Wasser zusichert. Doch die Hoffnung auf ein besseres Leben in modernen Steinhäusern trügt: Das mineralreiche Wasser des einzigen Brunnens ist in der trockenen Steppe für Tier und Mensch kaum genießbar, Ernten bleiben aus.

Der Dokumentarfilmregisseur Jens Schanze schildert die Verhandlungen und die Umsiedlung in fünf Kapiteln, die mit Wachstum, Glück, Macht, Wettbewerb und Fortschritt überschrieben sind. In ruhigen Bildfolgen zeichnet der Grimme-Preisträger das beschauliche Alltagsleben im Dorf nach. Ungetrübt ist die scheinbare Idylle aber keineswegs: Im Radio wird mehrfach über Bombenanschläge der linken FARC-Guerilla auf Kohlezüge berichtet; wiederholt tauchen im Dorf schwer bewaffnete Militärs auf.

Schanze verzichtet auf Interviews und erklärende Off-Kommentare und setzt stattdessen auf die Stringenz der Ereignisse. Der Nachteil: Dem Zuschauer bleiben wichtige Informationen vorenthalten. So erfährt man erst aus dem Presseheft des Filmverleihs, dass das Dorf Tamaquito in der Region Guajira eine große Ausnahme ist. Während seine Bewohner dank des klugen Vorstehers an einem Strang ziehen und auf ihre Rechte pochen, sind viele andere Dorfgemeinschaften zerfallen, ihre Mitglieder vom Gefühl der Ohnmacht gelähmt.

Der Film liefert Stoff zum Nachdenken. Eine alte Frau etwa wirft die Frage auf, wem die Ressourcen unter ihren Füßen eigentlich gehören und wem sie zugute kommen sollen: „Die Weißen sollten teilen“, fordert sie.  Und im Abspann erfährt man, dass weltweit jedes Jahr 1,5 Millionen Menschen umgesiedelt werden, weil auf oder unter ihrem angestammten Land Kohle oder andere Bodenschätze abgebaut werden sollen. Die Bewohner von Tamaquito 2 haben mit ihrem hartnäckigen Dialog weit mehr erreicht als andere Dörfer. Bislang fordern sie zwar nur wenig erfolgreich die Einhaltung des Vertrags ein – doch ihr einmütiges Engagement kann als Vorbild dienen.

Reinhard Kleber
 

 

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