Die irakischstämmige Drehbuchautorin und Regisseurin Maysoon Pachachi hat ihren ersten langen Spielfilm im Winter 2006 in Bagdad angesiedelt. Drei Jahre nach der Invasion der „Koalition der Willigen“, die unter Führung der US-Streitkräfte im Irak den Sturz des langjährigen Diktator Saddam Hussein zur Folge hatte, steckt das Land in einer tiefen Krise. Angriffe von ausländischen Truppen, Milizen und Terrorgruppen sowie Bombenanschläge und Gefechte zwischen schiitischen und sunnitischen Milizen, Ausgangssperren, Entführungen und Gewaltakte halten die Bevölkerung in Atem und sorgen für Dauerstress.
Furcht und Vorsicht bestimmen den Alltag der Autorin Sara (Darina Al Joundi) in Bagdad. Sie und ihre achtjährige Tochter Reema (Zainab Joda) wohnen mit ihrer Mutter, deren Name an keiner Stelle genannt wird, und ihrem Bruder Yahya (Ahmed Hashimi) zusammen. Sara, die über US-amerikanische Literatur promoviert hat, leidet unter einer Schreibblockade, sie findet keine passenden Wörter mehr für die Schrecken des Krieges. Für einen schmalen Lohn schreibt sie nun für Anwohner Bittbriefe und Erkundigungen nach vermissten Angehörigen auf Englisch an die US-Armee in Bagdad.
Während die warmherzige Frau erwägt, mit Reema aus dem Irak zu fliehen, hält sie in ihrem Viertel ein reges Netzwerk aus Freunden und Nachbarn zusammen. So ist sie mit einer Christin befreundet, die gerade einen Weihnachtsbaum aufgestellt hat und deren Tochter eine Freundin von Reema ist. Gegenüber wohnt der Taxifahrer Kamal (Basim Hajar), ein Ex-Kriegsgefangener, der sich gefälschte Dokumente beschafft, um als Buchhalter arbeiten zu können.
Die 1947 im Irak geborene Filmemacherin Pachachi lebt seit langem in London und hat dort Filmregie studiert. Seit 1994 realisiert die politisch engagierte Regisseurin in Irak, Iran, Syrien und den palästinensischen Autonomiegebieten Dokumentarfilme. Zudem unterrichtete sie Regie und Schnitt in England und Jerusalem, Gaza-Stadt und Ramallah.
Sarkasmus, Humor und Widerstandsgeist
In ihrem Spielfilmdebüt setzt sie sich explizit mit extremistischen sunnitischen und schiitischen Milizen auseinander, die mit Intoleranz und Hassbotschaften gegen Andersgläubige das Leben vieler Iraker vergiften. Sie zeigt aber auch Sarkasmus, Humor und Widerstandsgeist der Bevölkerung. Als eines Tages ein mürrischer Mann in Kamals Taxi steigt und nach langem Schweigen sagt, er sei auf dem Weg ins Paradies, vermutet Kareem, dass er gerade einen Selbstmordattentäter chauffiert – und wirft den Mann aus dem Auto.
Die ruhige Kamera von Jonathan Blum bleibt meist nah an den Figuren und folgt ihnen auf ihren Wegen durchs Viertel, auf denen sie immer wieder auf zerstörte Häuser, Autowracks und getötete Menschen treffen. Die Regisseurin zeigt die Gewalt nur indirekt. So hört man etwa eine Bombenexplosion, sieht aber nur Qualm und Feuer. Auch über den Häusern in der Ferne sind häufig Rauchsäulen zu sehen. Auch US-amerikanische Soldaten erscheinen nicht persönlich, sondern ihre Anwesenheit erschließt sich aus Radioberichten. Durch scheinbar beiläufige Beobachtungen erfahren die Zuschauenden, wie stark die allgegenwärtige Korruption das Alltagsleben der Bagdader beeinträchtigt. So gibt Yahya seinen Job als Bauprüfer auf, weil seine bestochenen Kollegen einen Neubau genehmigt haben, der mit minderwertigen Materialien erstellt wurde und wahrscheinlich bald einstürzen wird.
Pachachi verknüpft die Episoden nur lose und legt Wert auf eine gewisse Distanz zu den Ereignissen. Zwar erschweren die vielen verschiedenen Figuren es dem Publikum, den Überblick zu bewahren, dennoch ermöglicht der Film wertvolle Einblicke in einen arabischen Mikrokosmos im Dauerkrisenzustand. Das einfühlsame Drama, das mit Unterstützung der Hilfsorganisation Brot für die Welt entstanden ist, wurde auf dem Kirchlichen Filmfestival in Recklinghausen im März 2023 mit dem Ökumenischen Filmpreis ausgezeichnet.
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