Heerführer und Altnazis: Deutsche in Argentinien

Bernd Wulffen
Deutsche Spuren in Argentinien
Christoph Links Verlag, Berlin 2010.
260 Seiten, 19,90 Euro


Es ist schon verblüffend, wie viele und wie tiefe Spuren die Deutschen im Laufe der Jahrhunderte in Argentinien hinterlassen haben. Jeder weiß, dass das Land nach dem Zweiten Weltkrieg ein Refugium für die schlimmsten Nazi-Verbrecher war, allen voran der KZ-Arzt Joseph Mengele und der Holocaust-Organisator Adolf Eichmann. Auch die Unterstützung deutscher Industriebetriebe für das blutige Militärregime, das sich 1976 an die Macht putschte, ist weitgehend bekannt. Aber es gibt auch Positives über Deutsche in Argentinien zu berichten. Bernd Wulffen, der lange als Diplomat in Buenos Aires lebte, rollt die Geschichte deutscher Präsenz seit den Zeiten der Eroberung bis in unsere Tage auf. Er würdigt seine Landsleute, die Großes für ihre Wahlheimat geleistet haben, macht aber auch keinen Bogen um die schändlicheren Kapitel.

Auch Österreicher, wie Eduard Kailitz Freiherr von Holmberg, die in der kollektiven Erinnerung Argentiniens oft als Deutsche haften blieben, haben sich um ihre südamerikanische Wahlheimat verdient gemacht. Holmberg, ein Veteran aus den Kriegen gegen Napoleon, führte 1812 ein siegreiches Heer von Patrioten gegen die spanische Kolonialherrschaft in die Schlacht von Tucumán. Der Bierbrauer Anton Martin Thym erwarb sich zwar keine militärischen Meriten, diente aber 1826 als Dolmetscher Argentiniens im Krieg gegen Brasilien. Deutsche Expertise war auch in den Vernichtungsfeldzügen gegen die als Fortschrittshindernis betrachtete indianische Bevölkerung gefragt. Friedrich Rauch drillte Truppen und triumphierte 1827 an der Spitze eines Regiments an der Salzlagune von Epecuén über die Mapuche.

Tiefere Spuren hinterließen aber die Industriellen. Johann Christian Zimmermann, der in die Familie Halbach einheiratete, wurde zu einem der größten Gutsbesitzer und ab 1829 Honorarkonsul von Hamburg am Río de La Plata. Er förderte die deutsche Einwanderung, was durchaus im Interesse der argentinischen Regierung lag. Außenminister Celedonio Gutiérrez schrieb damals: „Deutschland ist ein Land, dessen Auswanderer infolge der Sittlichkeit und Arbeitstüchtigkeit, welche die deutschen Familien auszeichnen, für die Konföderation von Vorteil sind“. Die deutsche Immigration aller Gesellschaftsschichten war immerhin so bedeutend, dass der sozialdemokratische Vorwärts Verlag Ende des 19. Jahrhunderts in Buenos Aires das Argentinische Wochenblatt herausgab. Am 1. Mai 1890 erklang bei einer Feier der deutschen Sozialdemokraten erstmals die Internationale auf amerikanischem Boden.

Auch Juan Domingo Perón, der sich 1940 an die Macht putschte, wusste deutsche Zuverlässigkeit und Präzision zu schätzen. Dem Druck der USA, Deutschland den Krieg zu erklären und deutsches Eigentum zu konfiszieren, gab er erst nach, als Zusammenbruch und Kapitulation im Frühjahr 1945 unmittelbar bevorstanden. Perón fand auch wenig später nichts dabei, führenden Nazis, die sich als Ingenieure, Tierärzte oder andere Experten nützlich zu machen verstanden, Unterschlupf zu gewähren.

Während der Militärdiktatur fanden sich Deutsche auf Seiten der Täter und der Opfer, allerdings mehr auf der Täterseite. Und deutsche Behörden zeigten wenig Interesse, dem Schicksal von Verschwundenen mit deutschem Pass nachzugehen. Die deutsch-argentischen Beziehungen haben eine lichtvolle Geschichte mit vielen dunklen Flecken.

Ralf Leonhard

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