Fluch der guten Absicht

Mit dem Projekt der Tschad-Kamerun-Pipeline wollte die Weltbank ein Modell des verantwortlichen Umgangs mit Öleinnahmen in den Tschad verpflanzen. Die Regierung des Sahel-Staates hat die Verein­barungen bald außer Kraft gesetzt. Doch das Geld, das in die Fördergebiete fließt, hat dort unvorhergesehene Folgen für die sozialen Beziehungen.

Die Weltbank hat sich vor über zehn Jahren an der Seite des Tschad und Kameruns sowie des Esso-Konsortiums im Erdölprojekt Tschad-Kamerun engagiert. Das sollte die Gesamtsituation in der Mehrheit der Erdöl fördernden Länder Afrikas verändern. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge, was zeigt, dass die Debatte über das Projekt selbst innerhalb der Weltbank kontrovers verlief. Wie wurde dann das Modell umgesetzt, wie berücksichtigte es die Realität vor Ort?

Seit den 1990er Jahren bestätigte sich, dass im Doba-Becken im Süden des Tschad etwa 800 bis 1000 Millionen Barrel Rohöl unter dem Boden liegen. Wegen der Binnenlage sollte es durch eine Pipeline von mehr als tausend Kilometern Länge nach Kamerun geleitet und in Kribi, einer Stadt an der kamerunischen Atlantikküste, ein Offshore-Terminal für die Lagerung und Verschiffung gebaut werden. Die Gesamtkosten dieses Projekts beliefen sich auf etwa 3,7 Milliarden Dollar. Da weder der Tschad noch Kamerun ein Projekt dieser Größenordnung mit tragen konnten, bat das Konsortium – hier hielten Esso 40 Prozent des Kapitals, Chevron 25 Prozent und Petronas aus Malaysia 35 Prozent – 1994 die Weltbank um eine Ko-Finanzierung. Die Beteiligung der Weltbank sollte vor allem sicherstellen, dass dieses kostspielige Projekt unter den hochgradig instabilen sozialen und politischen Rahmenbedingungen reibungslos abliefe.

Die Weltbank stimmte im Juni 2000 der Ko-Finanzierung unter spezifischen Bedingungen für die Durchführung zu. Die Bank geht in den meisten Entwicklungsländern nach der Annahme vor, dass für die Verringerung der Armut gute Regierungsführung und starke öffentliche Institutionen nötig sind. Daher besteht sie auf Reformen des öffentlichen Sektors und der Bekämpfung der Korruption. Zudem ist sie überzeugt, dass für Entwicklung Ressourcen nötig sind, vor allem solche aus Naturressourcen. Der Tschad ist eines der ärmsten Länder der Welt; das Projekt sollte die öffentlichen Ausgaben für wirtschaftliche und soziale Grunddienste ansteigen lassen, also für Entwicklung.

Dafür wandte die Weltbank große Mühe auf. Zunächst verlangte sie vom Tschad – wie von den meisten von ihr unterstützten armen Ländern – eine Nationale Strategie zur Verringerung der Armut. Sie entwickelte ein vielfältiges Unterstützungsprogramm für die Regierung und den Staat, um sie auf dem Weg zum Ölexporteur zu begleiten. Damit der Tschad die gewaltigen Erdöleinnahmen effizient im Sinne der Entwicklung verwalten könnte, gewährte die Weltbank einen Kredit für zwei Projekte zum Ausbau der Kapazitäten des Staates. Unter anderem sollten die Führung der öffentlichen Finanzen verbessert, Wirtschaftsreformen auf den Weg gebracht und eine bessere Kontrolle der Ressourcenbewirtschaftung bewirkt werden.

Das Herzstück bildete jedoch die Reform, die im Gesetz vom Januar 1999 über das Management der Erdöleinnahmen niedergelegt ist. Wegen dieses Gesetzes und der damit verbundenen Maßnahmen bezeichnete die Weltbank das Projekt Tschad-Kamerun als Modellprojekt für den Erdölsektor, das Entwicklung und Umweltschutz miteinander verbinde. Laut dem Gesetz mussten zehn Prozent der Öleinnahmen auf ein Treuhandkonto für künftige Generationen bei einer Bank in London eingezahlt werden, 90 Prozent gingen an die Staatskasse des Tschad. Hiervon wurden 80 Prozent den sogenannten vordringlichen Sektoren zugewiesen, nämlich öffentliche Gesundheit, Sozialwesen, Bildung, Infrastruktur, ländliche Entwicklung sowie Umwelt und Wasser. 15 Prozent wurden für den laufenden Betrieb des Staates vorgesehen und fünf Prozent für die Region Logone Oriental, wo das Erdöl gefördert wird. Ein gemischtes Kontroll- und Überwachungsgremium aus Vertretern der Regierung und der Zivilgesellschaft wurde eingerichtet, um die Finanzflüsse zu prüfen und die Entwicklungsprojekte zu bestätigen. Auch ein Umweltplan wurde angenommen, der etwa vorsah, mögliche Schäden der Ölförderung für Gemeinden in der Förderregion und entlang der Pipeline abzumildern.

Das dem Ölprojekt zugrundeliegende Modell folgt der erwähnten Vision der Weltbank für arme Länder, es erinnert aber in vieler Hinsicht an das Norwegens. Dieses Land hat für die Steuerung seiner Erdölindustrie und der Einnahmen daraus ein Modell angenommen, dessen Transparenz und Effizienz heute Schule machen. Als Folge sehen manche Beobachter in Norwegen eins der wenigen Länder, das dem berühmten Fluch der Ressourcen und der holländischen Krankheit – einer von Öleinnahmen bedingten Inflation – entgangen ist. Die Einnahmen Norwegens aus dem Erdöl fließen in einen Fonds, der sie reinvestiert oder aber langfristig im Ausland anlegt. Die Erträge hieraus kommen dem norwegischen Staatshaushalt zugute. Zudem hat der Staat Anteile am Erdölsektor erworben, um die Anwendung der Regeln und der guten fachlichen Praxis, vor allem im Umweltschutz, besser kontrollieren zu können.

Der Fonds für künftige Generationen im Tschad und die Vielzahl an Maßnahmen, die dort für Transparenz sorgen sollen, erinnern frappierend an das norwegische Modell. Und verschiedene Steuerungsmechanismen für Umweltrisiken im Tschad sind angelehnt an die norwegische Petroleum Safety Authority, die jedes Jahr einen Bericht über Unfälle wie Erdölableitungen und Lecks veröffentlicht. Bloß scheinen Norwegen und der Tschad nicht mehr gemein zu haben als das Öl. Historisch, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und institutionell betrachtet liegen Lichtjahre zwischen beiden Ländern. Die in Norwegen herrschenden gesellschaftlichen Normen, das mehr oder weniger demokratische und transparente Arbeiten der Institutionen sowie ein funktionierendes Justiz- und Rechtssystem ermöglichen, das Modell dort reibungslos anzuwenden. Diese Voraussetzungen fehlen im Tschad weitgehend.

Auf dem Land ist die Ernüchterung groß

Die Regierung dort hat sich zunächst so gut es ging den Erfordernissen des Modells angepasst. Andernfalls hätte das Projekt auch gar nicht begonnen. Doch als es einmal angelaufen war und die Lizenzeinnahmen herabzuregnen begannen, änderte der Tschad nach und nach seine Haltung. Nur fünf Jahre nach dem Start des Projekts revidierte die Regierung das Gesetz vom Januar 1999: Der Fonds für die künftigen Generationen wurde abgeschafft, der für das Funktionieren des Staates vorgesehene Anteil der Einnahmen von 15 auf 30 Prozent angehoben und die „bevorzugten“ Sektoren wurden ausgeweitet – dazu zählen nun auch Energie und Erdöl, die Justiz, Sicherheit und die Verwaltung. Die Weltbank zog sich deshalb im September 2009 desillusioniert aus dem Projekt zurück. Der Tschad zahlte seine Kredite an die Weltbank zurück, nahm die Erdölvorkommen vollständig in Besitz und bewirtschaftete sie fortan so, wie er es für richtig hielt.

Man sollte allerdings kein vollkommen düsteres Bild des Erdölprojekts malen. Entwicklungen der Infrastruktur sind auf nationaler Ebene und in den großen städtischen Zentren des Tschad zu beobachten. Die Hauptstadt N’Djamena schmückt sich quasi täglich mit neuen Kleidern, um zum Schaufenster Afrikas zu werden. In der Erdölförderregion Logone Oriental entstehen hier und da Straßen, Krankenhäuser und Schulen, vor allem entlang der großen Hauptverkehrsstraßen. Diese Infrastruktur kann aber allein nicht die Entwicklung bringen, die zu Beginn des Projekts versprochen worden war. Außerdem ist die Qualität der Bauten oft ganz offensichtlich zweifelhaft, sie ähneln eher „weißen Elefanten“. Die fünf Prozent der Öleinnahmen, die nach Logone Oriental fließen, werden nach derselben Logik verwendet – die Unfähigkeit, für dauerhafte Entwicklung zu sorgen, springt ins Auge.

Wie hat das Projekt sich lokal, auf die Menschen in der Förderregion ausgewirkt? Auf dem Lande ist die Ernüchterung groß. Die Infrastruktur für die Erdölindustrie hat einen Großteil des bebaubaren Landes und des Buschs in Beschlag genommen; einzelne Besitzer und ganze Gemeinden wurden enteignet. Die Folgen für die lokale Gesellschaftsordnung hatte niemand vorher bedacht. Weil nur Einzelne und nicht Familiengemeinschaften für Ausgleichszahlungen in Betracht kommen, werden etwa Grundbesitzrechte individualisiert. Neue Formen der Landüberlassung treten auf: Land wird nun verpachtet und verkauft – eine tiefgreifende Veränderung, denn mit einem Verkauf wird die symbolische Bindung an das Land unwiderruflich gelöst. Außerdem steht Land nun im Mittelpunkt zahlreicher Streitigkeiten und Konflikten in Familien und unter Erben, frühere Bündnisse oder Freundschaftsbande spielen keine Rolle mehr. Unter den neuen Umständen müssten die Bauern von der extensiven zur intensiven Bewirtschaftung übergehen. Da die landwirtschaftlichen Techniken dafür aber nicht angepasst sind, sinken das Produktionsniveau und der Lebensstandard. Das zeigt sich bei der Nahrungsversorgung: Der Rückgang der Produktion schlägt sich auf den Märkten in höheren Preisen für Lebensmittel nieder.

Für Landenteignungen oder andere Güter, die infolge des Erdölprojekts zerstört wurden, gab es hohe Ausgleichszahlungen, und zu Beginn des Projekts wurden manche hohe Gehälter gezahlt. Das Geld daraus taucht im üblichen Konsumkreislauf wieder auf. Das hat etwas ausgelöst, was ich Monetarisierung nenne – eine Art Inflation, die sich auf die sozialen Institutionen auswirkt. Geld rückt in den Mittelpunkt der meisten sozialen Beziehungen. Bei der Brautmitgift zum Beispiel handelte es sich früher mehr um einen symbolischen Akt, der die Verbindung zwischen Eheleuten und Familien besiegelte. Das ist heute vorbei, die Beträge haben sich in kurzer Zeit inflationär auf das drei-, vier- oder gar fünffache erhöht.

Das Erdöl hat keineswegs die erwartete Entwicklung gebracht

Sobald Ausgleichszahlungen für ein bestimmtes Stück Land vorgesehen sind, werden die mit dem Landstück verknüpften sozialen Beziehungen instabil und brüchig infolge der harten Forderungen und Ansprüche, die dieses Geld auslöst. Seitdem haben die Bauern verstanden, dass der großartige Traum sich in Luft aufgelöst hat. Das Geld aus dem Öl gilt fortan als schlechtes Geld, verfluchtes Geld – heißes Geld, das die Finger verbrennt und das man schnellstens ausgeben muss.

Die Propaganda für das Erdöl-Projekt hat zudem einen Ansturm von Menschen ausgelöst, die in den Ölförderzonen eine Arbeit suchten oder Geschäftsmöglichkeiten witterten (Händler, Prostituierte und verschiedenste andere, darunter Kriminelle). Kleine Orte sind aus dem Boden gewachsen, wo Kaschemmen, Boutiquen, Bars, Nachtlokale und Herbergen eröffnet wurden – ganz in der Nähe der einheimischen Dörfer. Schnell wurden diese Orte zu Anziehungspunkten, an denen sich die Bauern, die eine Ausgleichszahlung erhalten hatten, oder Lohnempfänger den besten Teil ihrer Zeit vertrieben und den Großteil ihres gerade erhaltenen Geldes ausgaben. Alkoholismus nahm in den Dörfern zu. Der Besuch bei Prostituierten ließ nicht nur manche Ehegatten ihr Heim verlassen, sondern setzte sie vor allem verstärkt dem Risiko aus, sich mit dem Aids-Virus anzustecken.

Autor

Hoinathy Remadji

ist promovierter Ethnologe am Centre de Recherches en Anthropologie et Sciences Humaines (CRASH) in N’Djamena. Im Rahmen eines Projektes mit der Universität Halle hat er über die Folgen der Öleinkommen im Süden des Tschad geforscht.

Das Erdöl hat also in Logone Oriental keineswegs die erwartete Entwicklung gebracht, sondern eher Veränderungen herbeigeführt, die sich im Kern als Schwächung der Lebensgrundlagen und der Lebensweise der Menschen zusammenfassen lassen. Auch die Institutionen und sozialen Beziehungen auf dem Lande wurden geschwächt. Die Indikatoren des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) zur menschlichen Entwicklung im Tschad haben sich trotz der Ölressourcen nicht verbessert. Dies zeigt, dass die Lage der Bauern in Logone Oriental als repräsentativ für den Tschad insgesamt angesehen werden kann.

Wie ist das Modell also zu bewerten? Selbstverständlich waren die Maßnahmen auf dem Papier vorbildlich – so vorbildlich, dass es zu schön ist, um wahr zu sein. Die Beteiligung der Weltbank hat die Debatte über das Erdöl für Beteiligte aus der tschadischen Zivilgesellschaft geöffnet. Das ist meiner Meinung nach eines der großen Verdienste des Modells. Diese Öffnung hat es der Zivilgesellschaft ermöglicht, zu mobilisieren und kritische Auffassungen zum Projekt einzubringen sowie größeren Respekt für die Rechte der Bevölkerung und der Umwelt zu fordern. Oft wurden ihre Initiativen ignoriert oder nicht ihrem wahren Wert entsprechend berücksichtigt. Dennoch ist im Lauf der Zeit die Zivilgesellschaft, trotz ihrer Schwierigkeiten und inneren Schwächen, weiter gewachsen und hat sich einen entscheidenden Platz in der Debatte über das Erdöl erobert. Und mit Aktionen an der Basis hat sie den Weg geöffnet für die Entstehung von bürgerschaftlichem Bewusstsein auf dem Lande.

Aber ist das Modell für den Tschad geeignet? Die Weltbank konnte das Land auch mit Hilfe aller Geländer, die sie errichtet hat, nicht auf dem abgesteckten Weg halten. Erdöl auf dem Gebiet eines Staates ist für diesen eine Frage der Souveränität. Auf Grundlage dieser Souveränität hat der Tschad irgendwann entschieden, das Erdöl nach seinen eigenen Vorstellungen zu nutzen. Im Übrigen zeigt das Beispiel deutlich, dass es bei Rechts- und Verwaltungsreformen und bei noch so umfassenden Projekten zum Aufbau von Fähigkeiten nicht immer möglich ist, mit der grundlegenden Verhaltenslogik der Beteiligten und ihren mitunter gut verborgenen Zielen fertig zu werden.

Aus dem Französischen von Bernd Stößel

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erschienen in Ausgabe 7 / 2013: Neues Wissen im Blick
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