Am Horn der verlorenen Hoffnung

Die Regierung von Puntland im Norden Somalias hat der Piraterie ein Ende bereitet. Doch seitdem ist die Region bei Gebern in Vergessenheit geraten. Der Präsident steht unter Druck und die politischen Spannungen wachsen.

Träge weht die schwere Fahne im heißen Wüstenwind. Blau-weiß-grün quergestreift, auf dem blauen Streifen prangt ein weißer Stern: Diese Flagge ist in keinem Atlas der Welt zu finden, ebenso wenig wie das Land, zu dem sie gehört. Und doch steht der Fahnenmast im Regierungsviertel von Puntland, auf den Hügeln außerhalb der Hauptstadt Garowe, wo es außer den mit weiß gekalktem Stein eingefriedeten Ministerien nichts gibt, nicht einmal Straßen, denn für die fehlt das Geld. „Puntland bekommt von der internationalen Gemeinschaft nicht einen einzigen Cent Budgethilfe“, klagt Achmed Ibrahim Abdirahman, der im Kabinett von Puntlands Präsident Abdirahman Mohamud Farole Planungsminister ist. „Das einzige, wofür aus dem Ausland Geld fließt, ist die Arbeit von nichtstaatlichen Organisationen.“ Seine Enttäuschung ist Abdirahman mit jedem Wort anzumerken. Denn zuletzt ließ sich alles so gut an. Doch die Hoffnungen der vergangenen Jahre sind zerstoben. Die Zukunft ist ungewiss, und die Regierenden wie Abdirahman sind wütend auf die, die sie dafür verantwortlich machen.

Autor

Marc Engelhardt

ist freier UN-Korrespondent mit Sitz in Genf.

Gerade hat Puntland sein 15-jähriges Bestehen gefeiert. Präsident Farole hatte zu einem großen Empfang im neuen State House geladen, dem Sitz der international nicht anerkannten Regierung. Seine Minister waren gekommen, Geschäftsleute und Clanführer aus der Region. Farole nutzte die Gelegenheit, um verbal in alle Richtungen zu schießen: in Richtung Hargeisa, wo die Regierung von Somaliland sitzt, ein wie Puntland nicht anerkannter Staat, der sich aber ganz von Somalia losgesagt hat – anders als Puntland, das sich nur als teilautonom bezeichnet. Jetzt will Somaliland Öl fördern, in Gebieten, die Puntland als seine betrachtet. Seit 2002 kommt es deshalb dort immer wieder zu Gefechten.

„Wir wollen Frieden und gute Nachbarschaft“, sagt Farole. „Aber wenn Somaliland weiter auf unserem Land nach Öl sucht, wird das Konsequenzen haben.“ Noch deutlicher sind die Warnungen in Richtung Mogadischu, wo Somalias vor einem Jahr gewählte Regierung versucht, die Macht zentral zu bündeln. „Puntland stellt alle Zusammenarbeit und Beziehungen mit der Regierung in Mogadischu ein“, wettert Farole. Entscheidungen des somalischen Parlaments werde man ebenso wenig akzeptieren wie Beschlüsse der Regierung in Mogadischu. Die Festgemeinde klatscht und jubelt ihrem Präsidenten zu. Kämpferische Töne kommen hier derzeit gut an.

Puntland liegt im äußersten Osten Afrikas, an der Spitze des afrikanischen Horns. Im Süden grenzt es an Somalia, ein von Warlords und Islamisten in zwei Jahrzehnten Gewaltherrschaft zugrunde gerichtetes Land. Westlich liegt Somaliland, das mit seinem einzigartigen Zweikammersystem als demokratisches Musterbeispiel am Horn von Afrika gelten könnte, wenn nur irgendein Staat das seit 1991 weitgehend stabile und friedliche Land anerkannt hätte. Wie ein Puffer dazwischen liegt Puntland, das sich irgendwie als Teil Somalias versteht, seit 1998 aber seinen eigenen Weg geht.

Seinen Ruf hat das Land spätestens mit dem Aufschwung der Piraterie am Horn von Afrika verspielt. Von Puntlands Küste zogen mit Maschinengewehren und Raketenwerfern bewaffnete Seeräuber aus, um europäische Frachter zu kapern und gegen hohe Lösegelder freizulassen. Über 130 Millionen Euro sollen Puntlands Piraten 2011 mit der Entführung von 275 Schiffen verdient haben, trotz Patrouillen von NATO und EU. Die Piraten hatten einfach ihr Operationsgebiet ausgeweitet, bis vor die Küsten von Madagaskar und Indien. Diese Stunde höchster Not war die Stunde von Präsident Farole. Er sah die Chance, die in der Krise steckte – die Chance für sich, seine Regierung, seinen Staat.

Somalia:  Ein zerrissenes Land

Als der Autokrat Siad Barre 1991 aus Mogadischu floh, begann in Somalia ein Bürgerkrieg, der 20 Jahre lang anhalten sollte. Erst seit September 2012 hat Somalia wieder einen gewählten Präsidenten. Hassan Sheikh ...

2011 machten Unterhändler westlicher Regierungen Farole in Garowe ihre Aufwartung. Sie baten um seine Mithilfe im Kampf gegen die Piraterie, boten im Gegenzug Hilfen an. Von offizieller Anerkennung war nicht die Rede, doch Farole reichte die implizite Aufwertung. Nicht mit der somalischen Regierung, die damals noch weitgehend handlungsunfähig in den wenigen von ihr kontrollierten Straßenzügen Mogadischus ausharrte, verhandelte der Westen – sondern mit ihm, mit Puntland. Farole war der einzige, der helfen konnte. Und er half. Wie genau, weiß niemand, doch kurze Zeit später war der Spuk vorbei. Zurzeit halten somalische Piraten gerade einmal noch zwei Schiffe fest, und auch die nicht in Puntland, sondern südlich der Grenzlinie zu Somalia. Puntlands Küsten sind piratenfrei, bestätigen mit Verwunderung selbst ausländische Sicherheitsberater, die in Puntland für die UN arbeiten.

Seitdem boomt Garowe. In der einst so unscheinbaren Siedlung, die auf allen Seiten von unfruchtbarer Steinwüste umgeben ist, sind in den vergangenen zwei Jahren Hotels, Restaurants, Autovermietungen und Dienstleistungsbetriebe aus dem Boden geschossen. Ihre Kunden sind vor allem UN-Angestellte, Mitarbeiter von nichtstaatlichen Organisationen (NGO) und die, die von ihnen profitieren. 60.000 Einwohner hat Garowe heute. Das ist weniger als Bosaso, die Hafenstadt am Golf von Aden, die als Puntlands wirtschaftliche Hauptstadt gilt, aber mehr als je zuvor. Der Aufschwung, daran zweifelt niemand, ist die direkte Folge der Hilfen, die Garowe zur Hochzeit der Piraterie versprochen wurden. Alles könnte also gut sein, doch das ist es nicht.

Und damit zurück auf das großzügige Gelände im Regierungsviertel, wo die puntländische Flagge träge weht und wo Planungsminister Achmed Ibrahim Abdirahman das Ende des Booms verwaltet. Denn inzwischen schicken die Geberländer ihre Unterhändler nicht mehr nach Garowe, sondern nach Mogadischu. „Die internationale Gemeinschaft hat das Wichtigste über Somalia einfach nicht verstanden“, sagt Abdirahman und schüttelt den Kopf. „Der somalische Staat ist Anfang der 1990er Jahre zusammengebrochen, weil es keine funktionierende Zentralregierung gab, die Regionen aber haben weiter funktioniert.“

In Puntland habe man sich zusammengerauft, während die zerstrittenen Clans im Süden Somalias weiter und immer weiter gekämpft hätten. „Als sie sich jetzt endlich,  unter Beteiligung Puntlands, geeinigt haben, haben wir uns mit ihnen gefreut. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir der Zentralregierung misstrauen, und zwar zu Recht.“ Die Einigung der Clans im Süden Somalias und die Wahl von Hassan Sheikh Mohamud zum somalischen Präsidenten vor einem Jahr wurde weltweit als Durchbruch für Somalia gefeiert. Mohamud gilt als integer, in die Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte war er nicht verwickelt.

Im Poker um Macht und Geld hat Mogadischu bessere Karten

Doch in seiner Heimat ist er ein Jahr nach seiner Wahl umstritten. Im Ausland wirbt Mohamud Millionen für den Staatsaufbau ein, während er nach innen einen starken Zentralstaat aufbaut, um die Macht der Regierung – seine Macht – zu festigen. Den Gebern gefällt es, dass Hilfsgelder künftig über Mogadischu in die Regionen verteilt werden sollen. „Doch wie können wir sicher sein, dass das Geld von dort wirklich hier landet?“, fragt Abdirahman. „Bis jetzt tut es das jedenfalls nicht.“

Die Geber scheint das nicht zu kümmern. Denn im Poker um Geld und Macht hat Mogadischu inzwischen die besseren Karten als Garowe. Vom Erfolg der Regierung in Mogadischu hängt zumindest symbolisch die Zukunft des „normalen“ Somalia ab. Nach 20 Jahren Anarchie ist das Land endlich wieder Teil der Staatengemeinschaft. Das will niemand aufs Spiel setzen. Puntland dagegen hat sein wichtigstes Pfund verloren: Die Piraterie am Horn von Afrika ist Geschichte. Der Rest ist aus Sicht der Diplomaten somalische Innenpolitik. Planungsminister Abdirahman hält diese Ignoranz für fatal: „Die Regierung in Mogadischu missbraucht ihre Macht, und wenn sie das weiterhin tut, können jederzeit neue Kämpfe ausbrechen.“

Einen Stellvertreterkrieg gibt es schon. In Jubaland, der Region in Südsomalia um die Hafenstadt Kismayo, kämpfen Milizen um die Führung im neuesten somalischen Bundesstaat, den die Regierung in Mogadischu nicht anerkennen will. Vor allem aber will sie nicht Sheikh Achmed Madobe als dessen Präsidenten akzeptieren, der kürzlich in Garowe als Staatsgast empfangen wurde. Madobe ist Anführer der Ras-Kamboni-Miliz, die als Vorhut der kenianischen Armee die islamistische Al-Shabaab aus dem Süden Somalias vertrieben hat.

Aus puntländischer Sicht ist die Gleichung einfach. Madobe und Farole gehören beide den Darod an, einem der fünf großen somalischen Clans. Würden sie als Führer ihrer jeweiligen Regionen anerkannt, würde das ihrem Clan auch in Somalia weitreichenden Einfluss und vermutlich den nächsten Präsidentenposten sichern. Andere Clans wollen das verhindern, auch die Hawiye, zu denen Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohamud zählt. Auch deshalb macht die Regierung in Mogadischu Puntland das Leben schwer, wo sie kann; sie weigert sich, puntländische Abschlusszeugnisse anzuerkennen, und schließt puntländische Studenten von ausländischen Stipendien aus; sie liefert nicht die dringend benötigten Banknoten in den Norden aus und leitet auch keine Hilfsgelder weiter.

Die Soldaten haben seit Monaten keinen Sold bekommen

Dass Puntland Hilfe braucht, steht außer Frage. Für eine Bevölkerung von gut 3,9 Millionen gibt es gerade einmal hundert Ärzte. Das Gesundheitsministerium hat zwar wie das Planungsministerium ein großes, leeres Gelände mit Flaggenmast, aber nur ein Auto, um Bedürftige in entlegenen Regionen zu erreichen. „Manche Dörfer sind mehrere Tage Fahrt entfernt, Hilfe dorthin zu bringen, ist ein riesiges Problem“, sagt Jeremiah Kibanya, der die Arbeit der Hilfsorganisation World Vision in Puntland koordiniert, einer der knapp 50 Hilfsorganisationen, die in Puntland tätig sind. Auch Kibanya beobachtet eine wachsende Spannung in der Region.

Selbst in der Mustersiedlung Jilab, die Kibanya kürzlich eingeweiht hat, ist diese Angst zu spüren. Dabei haben die Bewohner hier richtig Glück gehabt: 600 Häuser hat World Vision in Jilab gebaut, mit Geld aus Deutschland und den USA. Darin wohnen die ärmsten Familien, die eine Hälfte Flüchtlinge vor allem aus Mogadischu, die andere Hälfte Puntländer wie Mohammed Said. Gemeinsam mit seiner Frau Zaina ist Said in eines der zehn Quadratmeter großen Steinhäuser gezogen.

Beide lebten davor in einem Bretterverschlag im Zentrum von Garowe. Jetzt haben sie zum ersten Mal seit dem Elternhaus eine eigene, sichere Bleibe. „Ich bin Soldat und arbeite für die Regierung“, sagt Said. Seit sieben Monaten habe er keinen Sold mehr bekommen. „Einige Kameraden sind mit ihren Waffen abgehauen oder erpressen Schutzgeld. Ich bin ehrlich geblieben – jetzt sichere ich diese neue Siedlung, aber wann ich dafür bezahlt werde, weiß ich nicht.“

So wie Said geht es vielen Regierungsangestellten. Ladenbesitzer und Unternehmer merken schon länger, dass die Leute weniger Geld in den Taschen haben. „Ich habe heute noch so gut wie nichts verkauft“, seufzt Deka Abdi Osman, die hinter dem Tresen einer Bude aus knallrot gestrichenem Wellblech steht. Die Toastpakete, Dosenbohnen und andere Waren im notdürftig zusammengezimmerten Regal hinter ihr leuchten in der untergehenden Abendsonne. Gleich wird sie schließen. „Wir haben vor vier Monaten aufgemacht, aber das Geschäft will einfach nicht laufen.“

Die Unzufriedenheit in der eigenen Bevölkerung könnte Farole gefährlich werden. „Wenn Faroles Regierung nicht mehr liefert, dann ist sie so schnell weg, wie sie gekommen ist“, sagt ein puntländischer Analyst, der seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte. Spielräume hat die Regierung kaum, denn die eigenen Einnahmen sind verschwindend gering. Loyalitäten sind kurzlebig.

Nicht erst seit der Wahl Faroles Anfang 2009 haben die Puntländer Korruption und Misswirtschaft hingenommen, solange sie auf eine bessere Zukunft hoffen konnten. Staatsgeschäfte, Clangeschäfte und die Geschäfte des Präsidenten vermischen sich. Die Anti-Piraterie-Einheit, die mit Unterstützung aus dem Ausland aufgebaut wurde, ist heute Faroles Leibgarde. In Puntland ist sein Wort Gesetz: Polizisten stürmten sogar das UN-Gelände, weil die Vereinten Nationen einem Verwandten Faroles ein Geschäft entzogen hatten. Von freier Presse kann keine Rede sein, und die Wahl eines neuen Präsidenten wird seit langem immer wieder verzögert.

Farole steht vor einem Dilemma: Derzeit versucht er, sein Puntland im Kampf gegen den vermeintlichen Feind aus Mogadischu zu einen und damit seine Position zu stärken. Gleichzeitig versucht er händeringend, an Geld aus dem Ausland zu kommen – bislang weitgehend erfolglos. Vielleicht, so argwöhnen manche seiner Unterstützer, müssten einfach bald die Piraten zurückkehren, damit Puntland wieder mit Hilfen aus dem Ausland rechnen kann.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2013: Solidarität: Was Menschen verbindet
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