Bürokratie schreckt ab

Gewalt gegen Frauen
Bolivien kämpft verstärkt gegen Gewalt gegen Frauen – unter anderem mit einem neuen Gesetz und einer Sondereinheit der Polizei. Nardi Suxo, derzeit Botschafterin des Landes bei den Vereinten Nationen in Genf, erklärt, was das bislang gebracht hat.

Trotz allen Anstrengungen, unter anderem bei der Einrichtung von Beratungsstellen und Frauenhäusern, hat man den Eindruck, dass in Bolivien die Brutalität gegenüber Frauen eher zugenommen hat.
Nach meiner Einschätzung hat die Gewalt nicht zugenommen. Doch es werden immer mehr Fälle bekannt, die Frauen schweigen nicht mehr. Das hängt mit Kampagnen gegen Gewalt zusammen. Sie müssten kontinuierlich geführt werden und tiefer gehen. Und sie müssen begleitet werden von Aktionen, die an Kinder und Frauen gerichtet sind, und von Maßnahmen der staatlichen Stellen gegen Gewalt.

Welche Strategie verfolgt die bolivianische Regierung?
Die Justizministerin hat in angemessener Weise Kampagnen zur Information über das neue Gesetz und die Bestimmungen zur Umsetzung auf den Weg gebracht. Aber es bleibt eine große Herausforderung: Es gibt keine verlässlichen Daten. Die brauchen wir, damit wir zielgerichteter Politik machen und Prioritäten setzen können. Und auch, um zu verstehen, warum einige Frauen die Gewalttaten immer noch nicht anzeigen.

Was steckt Ihrer Meinung nach dahinter?
Ich glaube, dass viele Frauen vor den umständlichen bürokratischen Prozeduren zurückschrecken. Eine Frau, die bei der Polizeieinheit gegen Gewalt Anzeige erstatten will, muss eine gerichtsmedizinische Bescheinigung besorgen, zur Staatsanwaltschaft gehen und ist häufig auf einen Anwalt angewiesen. Das können sich viele Frauen nicht leisten.

Welche Rolle spielen zivilgesellschaftliche Organisationen beim Kampf gegen Gewalt an Frauen?
Die sind leider schwächer geworden. Ich komme aus der Rechtshilfeorganisation CDC und einst gab es eine starke Bewegung für die Verabschiedung des Gesetzes gegen innerfamiliäre Gewalt. Heute habe die Organisationen an Durchschlagskraft verloren, weil sie sich entweder nur an Aufklärungskampagnen beteiligen, oder die Opfer zwar informieren, sie aber nicht über den ganzen Prozess hinweg begleiten. Und ohne Unterstützung bekommen sie kein Recht.

Das CDC arbeitet auch mit Tätern, vor allem Jugendlichen, die wegen Gewalt gegen Frauen angezeigt wurden. Mit welchem Ziel?
Es ist wichtig, zu verstehen, dass die Gewalt nicht nur das Opfer verletzt, sondern das ganze persönliche Umfeld. CDC bietet Tätern Workshops, um bei ihnen ein Bewusstsein für die Schäden zu schaffen. Aber in erster Linie müssen sie verstehen, dass der Dialog und die Verständigung immer Vorrang vor Aggressionen haben müssen.

Eine Besonderheit der neuen bolivianischen Verfassung ist die Gleichstellung von indigener und offizieller Justiz. Was bedeutet das in Bezug auf die Gewalt gegen Frauen?
Die indigene Justiz basiert vor allem auf dem Dialogprinzip, auf der Idee, zu einer Einigung zu kommen. Es geht nicht, wie häufig behauptet, um Lynchjustiz. In der indigenen Justiz wird vielmehr auf Verständigung hingearbeitet. Es gibt einen großen Respekt gegenüber den älteren Generationen. Würden wir mehr Fälle über diese indigenen Autoritäten behandeln, würde die offizielle Justiz entlastet.

Bei Gewalt gegen Frauen ist per Gesetz aber keine solche Verständigungslösung erlaubt.
Manchmal wird die Kultur zum Vorwand genommen, damit es bei einer Straftat zu keiner Verurteilung kommt. Dann wird behauptet, es sei Tradition, Frauen zu schlagen beziehungsweise so zu „erziehen“. Das stand vor einigen Jahrzehnten übrigens auch noch in den staatlichen Gesetzen. Eine solche Einstellung muss verändert werden. In Bolivien haben Frauen inzwischen hohe Entscheidungspositionen erreicht. Und wir werden nie mehr körperliche oder moralische Strafen akzeptieren. Das durchzusetzen ist eine gemeinsame Aufgabe von Männern und Frauen.

Das Gespräch führte Peter Strack.

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