Auf Kosten des Rechts auf Nahrung

Wenn Firmen mit Hauptsitz in der Schweiz in Entwicklungsländern investieren, dann sollten sie auch ihre Tochterfirmen zur Respektierung von Grundrechten verpflichten. Das fordern nichtstaatliche Organisationen und Hilfswerke. Doch die Regierung setzt auf freiwillige Maßnahmen. Dass das nicht ausreicht, zeigt ein Beispiel aus Sierra Leone.

Von Viera Malach, InfoSüd

Das Energieunternehmen Addax & Oryx Group (AOG) mit Sitz in Genf plant in Sierra Leone ein 220-Millionen-Euro-Projekt. Seine 2008 gegründete Tochterfirma Addax Bioenergy Sierra Leone Ltd. will dort den Anbau von Zuckerrohr von derzeit 400 auf 10.000 Hektar gepachtetem Land ausdehnen. Gebaut werden eine Raffinerie, die Agrotreibstoffe für den europäischen Markt produzieren, und ein Kraftwerk, das aus Biomasse Strom für den Regionalmarkt liefern soll. Wo rund 17.000 Menschen vornehmlich von der Landwirtschaft leben, lässt Addax Bioenergy rund 2000 Arbeitsplätze schaffen. „Wir wollen neben einem wirtschaftlichen Gewinn auch Verbesserungen vor Ort erreichen und befolgen Richtlinien internationaler Finanzinstitutionen“, betont der Projektverantwortliche Nikolai Germann.

Allerdings sehen sich betroffene Bauernfamilien ungenügend informiert und über den Tisch gezogen, auch wenn sie Auslandsinvestitionen grundsätzlich begrüßen. Punkte wie die finanzielle Entschädigung und die Kompensation von Land seien nicht transparent geregelt; zudem seien die Pachtpreise niedrig. Wie Mohamed Conteh vom afrikanischen Netzwerk für Recht auf Nahrung RAPDA in Sierra Leone auf einem Symposium im Oktober in Genf berichtete, fordern die Kleinbauern mit Unterstützung von regierungsunabhängigen Organisationen (NGO) und Kirchen eine Überprüfung der Landpachtverträge. Trotz guter Absichten von Addax müsse das Projekt „von allen Parteien gemeinsam weiterentwickelt werden“, plädierte der Generalsekretär des Kirchenrats von Sierra Leone, Sahr Kemoore Salia.

Das Geschäft ist kein Landraub, aber dennoch gefährlich

Der Leasing-Vertrag erlaube die Bodennutzung für beliebige andere Zwecke und gebe der Firma auch Rechte auf Wasserquellen, präzisierte Rechtsanwalt Sonkita Conteh aus Sierra Leone, der das Geschäft im Auftrag der Kirchen und NGOs untersucht hat. Die Gesetze des fragilen und bitterarmen Staates seien veraltet, es gebe kaum Sozial- oder Umweltauflagen, Addax erhalte etliche Vorteile wie Steuerbefreiung. Beat Dietschy, der Zentralsekretär von Brot für alle (BFA), resümierte, Addax begehe zwar keinen „Landklau“, doch das Beispiel zeige die Gefahr, „dass im Rahmen von Gesetzen das Recht auf Nahrung und der Zugang zu Wasser untergraben wird“. Nach Angaben von Mohamed Conteh umfassen sämtliche bestehende sowie kurz vor Abschluss stehende Leasing-Verträge ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Sierra Leone.

Brot für alle und Fastenopfer waren bei Recherchen zu „Land Grabbing“ auf das Großprojekt gestoßen. Zusammen mit der Kommission Dritte Welt der katholischen Kirche Genf (Cotmec) wollen sie die Verantwortung von Staat und Wirtschaft klären, um die Verletzung von Grundrechten infolge von Firmenaktivitäten im Ausland auszuschließen. Im Fall Addax in Sierra Leone sehen sie jedoch keine Möglichkeit, auf dem Rechtsweg in der Schweiz auf das Projekt Einfluss zu nehmen. Brot für alle und Fastenopfer wollen das Projekt jedoch langfristig beobachten.

Die Schweiz habe keine nationale Strategie für Unternehmensverantwortung im Ausland, erklärte Botschafter Jean-Jaques Elmiger, Direktor für Internationale Arbeitsfragen im Staatsekretariat für Wirtschaft (SECO). Die Regierung setze bewusst auf freiwillige Maßnahmen, der Staat spiele eine ergänzende Rolle, indem er Firmen zu sozialer Verantwortung (Corporate Social Responsibility) ermutige. Die grüne Abgeordnete Franziska Teuscher kritisierte, die wirtschaftliche Handelsfreiheit werde von Regierung und Parlament meistens höher gewichtet als Menschenrechte. Die Schweiz verhalte sich „rückschrittlich“, befand auch Chantal Peyer von Brot für alle.

Konzerne müssen mehr soziale Verantwortung übernehmen

Teuscher und Peyer machten mehrere Handlungsoptionen aus: Relativ einfach zu realisieren seien Unternehmensberichte „Land für Land“. Im Schweizer Handelsrecht ließe sich eine „Sorgfaltspflicht“ (Duty of Care) einführen, damit Unternehmen unabhängig vom Ort mit der nötigen Sorgfalt auf die Respektierung der Menschenrechte achten. Bei Zuwiderhandlung sollten Klagemöglichkeiten ausgebaut werden. Der für 2011 erwartete Bericht des UN-Sonderbeauftragen für Unternehmensverantwortung und Menschenrechte, John Ruggie, werde einen Referenzrahmen setzen. Auch von der laufenden Revision der OECD-Richtlinien erwarten die Fachleute klarere Vorgaben.

erschienen in Ausgabe 11 / 2010: Arabische Welt: Umworben und umkämpft
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!