Integration durch Bildung

Herausgeberkolumne
Knapp 30 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention sind besonders Kinder auf der Flucht darauf angewiesen, dass ihre Rechte respektiert werden, meint Katrin Weidemann.

Erst wurde er unter Androhung von Gewalt gezwungen, seinen religiösen Überzeugungen abzuschwören, dann kam er in Haft. Der junge Seehofer war gerade mal 18 Jahre alt, als er in Bayern verurteilt und eingesperrt wurde.

Das Ereignis liegt mehr als 500 Jahre zurück. Arsacius Seehofer, ein jugendlicher Student an der Universität Ingolstadt, musste – um der „lutherischen Schalkheit entgegenzuwirken und zu verhüten, dass sie in Ingolstadt Wurzel fasse“ – öffentlich die reformatorischen Schriften widerrufen, bevor er von der Universität ausgestoßen, von seiner Familie getrennt und zur Klosterhaft in Ettal verurteilt wurde.

Autorin

Katrin Weidemann

ist seit Juli 2014 Vorsitzende der Kindernothilfe.
Wir schreiben das Jahr 2018 und erleben, dass das Recht jedes Kindes auf Schutz, Leben und Entwicklung massiv bedroht ist – besonders für diejenigen, die ihre Heimat verlassen mussten. Die Debatten über Flucht, Migration und Asyl vermitteln den Eindruck: Kinderrechte haben Grenzen, und wer auf der Flucht ist, verliert sein Recht. Nicht nur autokratisch geführte, sondern auch demokratisch legitimierte Regierungen akzeptieren heutzutage, dass Kinder inhaftiert, Asylsuchende an der Grenze abgewiesen und Flüchtlinge schiffbrüchig werden – als gäbe es keine Genfer Flüchtlingskonvention, keine Europäische Menschenrechtskonvention, keine Kinderrechtskonvention. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet ein Namensvetter des jungen Arsacius heute für eine Politik steht, die zivilisatorische Fortschritte wie die vor fast 30 Jahren verabschiedete UN-Kinderrechtskonvention auslöschen möchte. Diese legt klar und verbindlich fest: Kinder, egal, wo sie leben, woher sie kommen oder welcher Religion sie angehören, haben das Recht auf besonderen Schutz, auf besondere Förderung und besondere Beteiligung. In 54 Artikeln buchstabiert die Konvention die bürgerlichen und politischen, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von Kindern – und ausdrücklich auch von geflüchteten Kindern durch.

Im Libanon können Hunderttausende nicht zur Schule

Länder wie Uganda und der Libanon orientieren sich beispielhaft daran. Das verhältnismäßig arme Uganda heißt fast zwei Millionen aus dem Südsudan und dem Kongo geflohene Menschen willkommen. Alle, insbesondere Kinder, bekommen sofort Bürgerrechte. Integration steht für verantwortliche Stellen an erster Stelle. Der Libanon hat allein aus Syrien eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Hunderttausende Mädchen und Jungen können dort jedoch nicht zur Schule gehen, da die staatlichen Schulen überlastet sind – es gibt mehr syrische als libanesische Kinder im schulpflichtigen Alter. Hier macht die Not erfinderisch: Die Kindernothilfe unterstützt ihre libanesischen Partner dabei, Kindern das Recht auf Bildung zu gewähren. Mit einem Zweischicht-betrieb findet morgens regulärer Unterricht für syrische und libanesische Kinder statt, nachmittags können zusätzlich Flüchtlingskinder mit ihren besonderen Bedürfnissen in die Schule kommen. So erhalten alle Kinder durch Bildung eine bessere Chance zur Verwirklichung von Kinderrechten.

Arsacius Seehofer fand 1523 übrigens eine couragierte und streitbare Fürsprecherin. Die adlige Bayerin Argula von Grumbach, selbst Mutter von vier Kindern, machte sich für den inhaftierten Jugendlichen stark. „Schämt ihr euch nicht…“, empörte sie sich über die Universitätsgelehrten und setzte sich bei der Landesregierung für den jugendlichen Magister ein. Dem gelang es, aus der Haft zu fliehen. Der von Argula provozierte Skandal aber wirkte weiter: „Weil ich keinen Mann sehe, der reden will“, bezog sie in zahlreichen offenen Briefen Stellung gegen die landesherrliche Kirchenpolitik. Ihre Flugschriften provozierten ein enormes mediales Echo, das grenzüberschreitend weite Kreise zog.

Mit Zivilcourage grenzüberschreitend denken und menschlich handeln – fünfhundert Jahre später ist es wieder höchste Zeit dafür. Damit Kinder – gerade Kinder, die ihre Heimat verlassen mussten – ihre Rechte wahrnehmen können, braucht es das solidarische Handeln der internationalen Gemeinschaft. Es braucht den starken Einsatz für Kinder- und Menschenrechte für Flüchtende. Es braucht den starken politischen Einsatz für Demokratie in den Herkunftsländern. Und es braucht eine Entwicklungspolitik, die der Armutsbekämpfung dient und nicht innenpolitischen Interessen.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2018: Drang nach Schönheit
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