Warum Visionen in der Politik nötig sind

Herausgeberkolumne
Fünf Jahre „Laudato si‘“. Papst Franziskus kritisiert in der Enzyklika das gängige des Paradigma unbegrenzten Wachstums. Anstelle eines Wirtschaftsmodells, das auf Gewinnmaximierung und Konkurrenz basiert, fordert er neue Konzepte nachhaltiger und integraler Entwicklung. Daran sollte sich die Bundesrepublik orientieren, wenn sie im Juli für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt – insbesondere bei der Afrikapolitik.

Nicht zuletzt die Corona-Krise zeigt, wie stark die Regionen der Welt einerseits miteinander vernetzt sind und wie groß andererseits die sozialen und ökonomischen Spaltungen und Ungleichheiten sind. Wir wissen, wie schlecht es um den Erdplaneten bestellt ist und dass wir die Bremse ziehen müssen, um die ökologische und soziale Krise nicht noch weiter voranzutreiben. Doch es fehlt an politischem Willen, diese Verantwortung tatsächlich wahrzunehmen. Das hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si‘“ leidenschaftlich angemahnt – aus „Sorge um das Gemeinsame Haus“. 

Vor genau fünf Jahren veröffentlicht, ist die Enzyklika heute aktueller denn je. Kritisiert wird darin ein Fortschrittsdenken, das zu sehr auf Wachstum setzt – auf Kosten der Armen und der Schöpfung. Weltweit. Zugleich zeichnet die Enzyklika ein visionäres Bild, wie es anders geht. Wie heute in globalen Zusammenhängen gutes Leben für alle – Mensch und Natur – gelingen kann, ja, gelingen muss!

Franziskus Menschenbild stellt den Gerechtigkeitsansatz in den Mittelpunkt: Alle haben gleiche Rechte auf eine intakte Mitwelt, Gesundheit, ein Leben in Würde. In der Realpolitik ist dies leider zu wenig angekommen. Die Bedeutung öffentlicher Güter wie der Gesundheitssysteme wird durch die Corona-Krise sichtbar. Es ist kaum vorstellbar, welche humanitären Katastrophen Corona in ärmeren Ländern anrichten könnte, deren Gesundheitssysteme schwach sind, in denen Millionen in Slums auf engstem Raum leben und es kaum Absicherungsmechanismen gibt. 

Eine Kehrtwende ist nötig, und während der EU-Ratspräsidentschaft hat die Bundesrepublik die Chance, die politische Agenda der EU mehr als sonst mitzugestalten. Zeiten wie diese unterbrechen das Faktische, um Leidensgeschichten zu hören, Sensibilität für die Verwundbarsten wahrzunehmen und sie über Krisenzeiten hinaus als Wertmaßstab aufrechtzuerhalten. 

Es braucht eine kohärente europäische Afrikapolitik

Das könnte eine Perspektive für den Gipfel zwischen der EU und der Afrikanischen Union sein, der im Oktober in Brüssel stattfinden soll. Dabei wollen die Regierungen ein neues Vertragsabkommen über die europäisch-afrikanischen Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur, Reise und Gesundheit schließen. Es ist längst überfällig, die Beziehungen zum afrikanischen Kontinent neu zu formulieren und zu gestalten – nicht erst seit Corona. Es braucht dringend eine kohärente europäische Afrikapolitik mit einer gemeinsamen Zielsetzung: Beide Kontinente müssen für nachfolgende Generationen die Bewahrung der Schöpfung als dringliche Aufgaben angehen. Die deutsche  EU-Ratspräsidentschaft sollte deutlich machen, dass in der global vernetzten Welt nicht Unternehmensprofite, nationale Egoismen und geostrategische Taktiken im Mittelpunkt einer europäischen Außenpolitik stehen dürfen. Vielmehr gilt es, von den Lebensbedingungen der Ärmsten und Verletzlichsten her zu denken – und zwar dort und hier. Dazu braucht es nicht zuletzt einen neuen Multilateralismus auf der Basis von guter Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und ökologischen und sozialen Standards im globalen Handelssystem. 

Denn dieses ist nach wie vor nicht fair, beispielsweise im Agrarsektor: Es braucht hier eine Landwirtschaftspolitik, die nicht afrikanische Märkte bedroht, sondern lokale Wertschöpfung und nachhaltige Produktion fördert.  Dazu sind auch privatwirtschaftliche Investitionen zu begrüßen. Allerdings ist darauf zu achten, dass dabei der Klimaschutz beachtet sowie menschenrechtliche und ökologische Standards eingehalten werden.

Gleichzeitig ist es wichtig, den Klimaschutz in Europa sofort und substanziell voranzubringen. Hier stellt sich „Laudato si‘“ einmal mehr dem verbreiteten Denken in „Mein und Dein“ entgegen: „Das Klima ist gemeinschaftliches Gut von allen und für alle“, heißt es in der Enzyklika. (LS 23, 95) Darin liegt eine besondere Verantwortung. Die fortschreitende Erderhitzung, von der besonders die Länder im Süden betroffen sind, lässt sich nur durch eine grundlegende Veränderung unserer Lebens- und Produktionsweise aufhalten. Dies regelt eben nicht allein „der Markt“; eine wertebasierte Politik in solidarischer Haltung ist gefordert. In visionärer Weise hat Papst Franziskus hierfür in „Laudato si‘“ bereits vor fünf Jahren Orientierung angeboten. Deutschland sollte diese während seiner anstehenden Ratspräsidentschaft im Blick haben.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2020: Kino im Süden
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