Computer-Friedhöfe in Afrika

Computer-Friedhöfe in Afrika

Immer mehr Elektroschrott landet in Entwicklungsländern

Von Marc Engelhardt

Was gestern noch ein Rechner war, ist heute schlicht Elektroschrott. 50 Millionen Tonnen davon entstehen jährlich weltweit. Weil die vorgeschriebene fachgerechte Entsorgung teuer ist, umgehen findige Händler die Ausfuhrverbote in Länder des Südens: Sie deklarieren den Sondermüll als Handelsware. Allerdings ist nicht jeder Export von ausgedienten Computern schädlich. So werden ältere, aber funktionsfähige Rechner in Kenia im Schulunterricht eingesetzt.

„Computer, Monitore, Mobiltelefone!“ Aus vollem Hals preisen die Händler auf dem Elektronikmarkt von Ikeja im Norden von Nigerias Millionenmetropole Lagos ihre Produkte an. Was in Europa und den USA längst veraltet und unverkäuflich ist, erzielt hier noch einen Preis: Ein Pentium III-Computer bringt mehr als 100 Euro, ein alter Röhrenfernseher immerhin die Hälfte. 500 Schiffscontainer mit gebrauchter Elektronik, so die Umweltschützer vom „Basel Aktions-Netzwerk“, landen jeden Monat allein im Hafen von Lagos. „Drei Viertel davon ist Schrott, mit dem sich nichts mehr anfangen lässt“, so die Bilanz des Verbandes der Computerhändler in Nigeria.

Dieser Elektroschrott landet auf Deponien, nicht weit vom bunten Treiben des Marktes in Ikeja entfernt. Dort erheben sich auf einem ehemaligen Feuchtgebiet die rauchenden Überreste des digitalen Equipments so weit das Auge reicht. Jim Puckett, dem Direktor des „Basel Aktions-Netzwerks“, haben sich die Bilder förmlich eingebrannt: „Immer wenn ein Müllberg zu hoch wird, zünden die Leute ihn an. Kinder laufen barfuß auf der Suche nach Verwertbarem durch die schwelende Masse und atmen Dämpfe aus Dioxinen und Furanen ein.“ Organisierte „Rohstoffküchen“ wie in Asien, wo vor allem Frauen ungeschützt giftigste Stoffe aus Computerbestandteilen herauskochen, gibt es in Nigeria nicht. In Zukunft, befürchtet Puckett, könnte sich das ändern.

Denn die Müllmenge, die nach Afrika verschifft wird, wächst. Jedes Jahr, so schätzt das UN-Umweltprogramm (UNEP), fallen weltweit bis zu 50 Millionen Tonnen des mit Blei, Cadmium, Barium, Quecksilber, Chrom und anderen Giftstoffen beladenen Elektroschrotts an. Das sind gut fünf Prozent des gesamten Müllaufkommens. Besonders gefährlich sind die alten Elektrogeräte, weil sie aus einer komplexen Mixtur unterschiedlicher Materialien bestehen. Ein durchschnittliches Mobiltelefon weist 500 bis 1000 Komponenten auf. Viele davon enthalten giftige Schwermetalle, Chemikalien und PVC. Zwar verbietet die 1989 verabschiedete Basler Konvention den Export von Giftmüll in Entwicklungsländer. Doch dieses Verbot umgehen findige Händler: Sie deklarieren den Müll, der in Europa für viel Geld fachgerecht entsorgt werden müsste, als Recyclinggut oder Handelsware.

Das illegale Geschäft lohnt sich, weil das Wachstum grenzenlos scheint. Allein im Jahr 2006 wurden weltweit eine Milliarde neue Mobiltelefone verkauft, ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um mehr als ein Fünftel. Die Halbwertzeit der Geräte ist kurz, ebenso wie bei Computern, MP3-Playern und vielen anderen Geräten. Einer der Gründer des Chip-Herstellers Intel stellte schon vor 40 Jahren fest, dass die Prozessorengeschwindigkeit von Rechnern sich im Schnitt alle zwei Jahre verdoppelt. Ein heute gekaufter Rechner ist nach einigen Jahren schon deshalb schrottreif, weil Softwarehersteller mit ständig neuen Programmversionen „alte“ Rechner überfordern. Von 30 bis 40 Millionen ausgemusterten PCs jährlich allein in den USA geht die US-Umweltbehörde EPA aus. „Der Berg obsoleter Elektronikgeräte wächst ebenso rapide wie unser Konsum an Neuheiten“, so Greenpeace-Kampagnenleiter Martin Hojsik.

Hojsik ist Co-Autor eines im  Februar 2008 veröffentlichten Berichtes, der vor dem gigantischen „hidden flow“, einem unsichtbaren Strom von nicht fachgerecht entsorgtem Elektronikschrott, warnt. Selbst in der Europäischen Union, die mit den umfangreichsten Sammlungs- und Wiederverwertungssystemen der Welt aufwarten kann, schätzen die Umweltschützer den „hidden flow“ auf 6,6 Millionen Tonnen jährlich, drei Viertel der jährlich anfallenden Menge; in den USA liegt er mit 80 Prozent noch höher. Noch düsterer sehen die Zahlen aus, wenn man nur Computer betrachtet: Lediglich zehn Prozent aller Rechner werden fachgerecht entsorgt, bei Fernsehern sind es gerade mal 14 Prozent. „Was mit den Geräten passiert, die einmal dem Wiederverwertungskreislauf entzogen sind, kann man nicht mit Gewissheit sagen“, so Hojsik. Immer mehr landen jedenfalls in Asien oder Afrika.

An den alten Kais des Hamburger Hafens, wo fern des Containerterminals noch Stückgut auf verrostete Hochseedampfer geladen wird, warten nicht nur Schrottautos, die in Deutschland unverkäuflich sind, sondern auch ganze Ladungen von Röhrenmonitoren und anderen Elektrogeräten in zweifelhaftem Zustand auf den Abtransport. Bei einem Ortstermin war Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, entsetzt: „Dass Hamburgs Umweltsenator behauptet, der Inhalt sei funktionstüchtige Handelsware, ist ein schlechter Witz.“ Auf Reschs Fotos sind Monitore zu sehen, die lieblos übereinander gestapelt sind: Verkäuflich wirken sie nicht.

Nach Recherchen der Umwelthilfe kaufen skrupellose Schrotthändler selbst FCKW-haltige Kühlschränke und Gefriertruhen auf, deren Export generell verboten ist. Weil die Entsorgung elektronischer Geräte Geld kostet, geben viele ihre Altgeräte gerne für einen Spottpreis ab – sparen tun sie sowieso. Andere Geräte, so Jim Puckett vom „Basel Aktions-Netzwerk“, werden sogar in gutem Glauben gegeben: Regierungsagenturen, Schulen oder andere Institutionen verschenken ihre gebrauchten Rechner nichtsahnend an „bedürftige Afrikaner“.

Etwa 800 Computer, weiß der nigerianische Umweltschützer Olayemi Adesanya, passen im Schnitt in einen Schiffscontainer. „So einen Container von den USA nach Lagos zu verschiffen, kostet etwa 4.000 Euro.“ Beim derzeitigen Verkaufspreis heißt das, dass bereits 40 Pentium III-Rechner die Transportkosten wieder wettmachen. „Und dann kommen skrupellose Händler aus den Industrieländern und machen ihren Geschäftspartnern in Nigeria das Angebot: 400 gute Rechner kannst Du haben, wenn Du auch 400 Schrottgeräte nimmst.“

Ein Geschäft, dass sich angesichts des Fehlens einer Umweltgesetzgebung und von Kontrollen in Nigeria lohnt. Der überzählige Schrott landet allenfalls für ein Handgeld auf einer Müllkippe wie der von Ikeja. Unerfahrene Händler, so Adesanya, setzen manchmal auch auf so genannte „Überraschungscontainer“: „Das sind Container, in denen wild zusammengewürfelter Schrott ist: Manchmal befindet sich darunter etwas besonders Wertvolles, dann hat man Glück gehabt.“ Doch generell gelte, dass die Verkäufer in den Industrieländern den Käufern in Afrika überlegen sind. In Asien, wo sich das Blatt inzwischen gewendet hat, kommen hingegen immer weniger Schrottgeräte an. Im Gegenteil: Auch asiatische Exporteure verschiffen ihren Schrott immer häufiger nach Afrika.

Dabei sind nicht alle Exporte von Altgeräten schlecht. Jim Lynch, der in San Francisco die Hilfsorganisation „CompuMentor“ leitet, verurteilt diejenigen, die Computerschrott nach Afrika verschiffen, als „gewissenlose Müll-Cowboys“. Seine Organisation, so Lynch, testet jeden Rechner, bevor er grünes Licht zur Verschiffung nach Afrika bekommt. Auch Norman Mutunga von der kenianischen Organisation „Computer für Schulen“ verteidigt den Import alter Rechner: „Wir haben klare Regeln für die Spender, kein Rechner darf älter als sechs Jahre sein.“ Mit entsprechender Betreuung, so Mutungas Erfahrung, hält ein Rechner dann noch weitere vier Jahre durch. Vier Jahre, in denen Schüler in Kenia lernen können, mit dem Computer zu arbeiten. „Wenn die Geräte endgültig kaputt sind, nehmen wir sie auseinander – einen Teil recyceln wir hier, einen Teil schicken wir zurück, auf Kosten der Spender.“

Tatsächlich ist die Öko-Bilanz dieses Recyclings oft gut. In Entwicklungsländern werden viele Einzelteile, etwa Röhren, noch als Ersatz- oder Bauteile benutzt, die in Industrieländern nicht mehr lohnend recycelt werden können. Nicht umsonst plant der Druckerhersteller Hewlard-Packard mit „Computer für Schulen“ derzeit ein Pilotprojekt.

Das Hauptproblem ist aus Sicht der Experten die Grauzone, in der sich der Handel mit gebrauchten Elektrogeräten derzeit abspielt. Besonders gilt das für die USA, außer Haiti und Afghanistan das einzige Land, das die Basler Konvention bis heute nicht ratifiziert hat. Halbseidene Müllhändler können dort praktisch folgenlos Gifte nach Afrika exportieren. Doch auch in anderen Staaten stellt sich das Problem der Kontrolle. „Was wir brauchen, ist ein einheitliches Label, das Computern und anderen alten Elektronikgeräten die Tauglichkeit bescheinigt“, fordert die Direktorin der Basler Konvention, Sachiko Kuwabara-Yamamoto. Greenpeace-Experte Hojsik sieht die Verantwortung bei den Produzenten: „Geräte müssen von vornherein ohne schädliche Substanzen gebaut und auf freiwilliger Basis vom Hersteller zurückgenommen werden.“

Wie tödlich Wohlstandsmüll tatsächlich ist, zeigt eine Untersuchung des UN-Umweltprogramms (UNEP) in Dandora, der einzigen Müllkippe von Kenias Hauptstadt Nairobi. Wo ursprünglich mit Weltbankgeldern eine Modellsiedlung entstehen sollte, ist inzwischen jeder freie Meter mit stinkendem, rauchendem Müll aufgefüllt. Viele Hütten der Bewohner von Dandora, die zu den Ärmsten der Stadt gehören, werden Stück für Stück von den Abfallmassen eingeschlossen. Wer hier lebt, stirbt früh. Blutproben bei 328 Kindern und Jugendlichen zwischen zwei und achtzehn Jahren brachten erschreckende Ergebnisse: Bei der Hälfte der Kinder liegt die Bleikonzentration im Blut über den Grenzwerten.

Die Folge: Niedrige Hämoglobinwerte und Blutarmut, die bei fast allen betroffenen Kindern festgestellt wurde. Hohe Bleiwerte im Blut werden zudem für andere Krankheiten, darunter Krebs und Hirnschäden, verantwortlich gemacht. Gut die Hälfte aller untersuchten Kinder litt zudem an Asthma, Bronchitis oder anderen Atemwegserkrankungen sowie an Darm- und Hautbeschwerden. „Die Lage in Dandora spiegelt die Lage auf Müllplätzen in vielen Teilen Afrikas wieder“, bilanziert UNEP-Chef Achim Steiner. Denn woher die Krankheiten kommen ist klar: Proben des Bodens ergaben zehn Mal höhere Bleiwerte als erlaubt, und auch Wasser und Luft sind nach UNEP-Erkenntnissen infolge der Müllablagerung vergiftet.

Marc Engelhardt ist freier Journalist in Nairobi und arbeitet als Afrikakorrespondent unter anderem für den epd, die tageszeitung und die ARD.

welt-sichten 4-2008

 

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2008: Müllprobleme
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