Viele Geber sollen Geld abschreiben

Schuldenkrise
Zwei Drittel der Entwicklungsländer sind kritisch verschuldet, so der neue Schuldenreport. Er fordert schnelle Erleichterungen und sieht dafür gerade die G7-Länder in der Pflicht.

Viele Staaten haben sich 2020 zusätzlich verschuldet, um die Corona-Krise zu bewältigen – auch Entwicklungsländer. Anders als Industrieländer hat sich ihre Schuldensituation aber mit der Erholung der Weltwirtschaft 2021 kaum entspannt, findet der gerade erschienene Schuldenreport 2023. Der jährlich erscheinende Bericht wird von Misereor und Erlassjahr.de herausgegeben; er bewertet die Schuldenlast von 152 Entwicklungs- und Schwellenländern, darunter auch Russland, China sowie süd- und südosteuropäische Staaten.

Danach war die Verschuldung von 136 Staaten Ende 2021 mindestens leicht kritisch, davon bei 58 kritisch (zweite Warnstufe) und bei 40 sehr kritisch – diese sind praktisch zahlungsunfähig. Am meisten betroffen sind Länder in Afrika und Lateinamerika. Infolge der Schuldenlast können viele Entwicklungsländer soziale Grunddienste nicht mehr finanzieren, betont der Bericht; 55 Staaten hätten von 2019 bis 2021 mehr an ausländische Gläubiger gezahlt als für ihr Gesundheitswesen ausgegeben.

Viele Auslandsschulden hätten Entwicklungsländer in den Jahren 2010 bis 2015 angehäuft, als die Rohstoffpreise hoch waren. Der Anstieg der Zinsen seit 2022, der in den Zahlen des Berichts noch nicht berücksichtigt ist, erschwert und verteuert es nun zusätzlich, Auslandsschulden zu bedienen oder sie mit neuen Krediten abzulösen. Entsprechend erwarten nun Weltbank und IWF laut dem Bericht, dass der Anteil der Zins- und Tilgungszahlungen an den Staatseinnahmen steigt und in Ländern mit niedrigem Einkommen untragbar wird. 

60 Prozent des Geldes sind von privaten Anlegern

Der Schuldenreport analysiert auch, bei wem Entwicklungsländer im Ausland verschuldet sind. Etwa 60 Prozent des Geldes schulden sie danach privaten Anlegern: Käufer ihrer Staatsanleihen, etwa Pensionsfonds, halten 47 Prozent der Forderungen, Banken und andere private Kreditgeber weitere 14 Prozent. Auf multilaterale Geber wie die Weltbank und den Weltwährungsfonds entfallen 26 Prozent, nur 13 Prozent auf andere Regierungen, darunter auch China. In den 27 Ländern mit niedrigen Pro-Kopf-Einkommen sieht es anders aus: Sie haben über die Hälfte der Schulden bei Multilateralen, ein gutes Drittel bei anderen Regierungen und nur wenig bei Privaten. Die Summe ihrer Auslandsschulden ist allerdings mehr als zwanzig Mal kleiner als die der 95 Länder mit mittlerem Einkommen, erläutert Kristina Rehbein von Erlassjahr.de.

Schnelle Schuldenerleichterungen sind laut dem Bericht nötig. Verzögerungen kosteten arme Länder Entwicklungschancen und machten es am Ende für alle teurer, sagte Rehbein bei der Vorstellung der Studie Ende März. Bisher hätten die Gläubiger aber kaum echte Schuldenminderungen zugestanden; speziell China setze auf Umschuldungen – also neue, günstige und langlaufende Kredite für die Rückzahlung alter Schulden – und wolle keine Schulden streichen, auch weil es sich als Entwicklungsland sehe. Die anderen Kreditgeber dürften sich aber nicht mit Verweis auf China aus der Verantwortung stehlen. Der Bericht betont, dass die G7-Staaten und die EU nicht nur für Kredite politisch verantwortlich sind, die sie selbst vergeben haben. Für multilaterale Kreditgeber wie der Weltbank und regionaler Entwicklungsbanken hätten sie als Anteilseigner Mitverantwortung; Verantwortung für den Einbezug von Privatkrediten habe das Land, in dem das Kreditinstitut sitze, und bei Anleihen der Staat, nach dessen Recht die Anleihe ausgegeben wurde – das sind meist die USA oder Großbritannien. 

Die Gruppe der 20 großen Industrie- und Schwellenländer hat sich zwar Ende 2020 geeinigt, dass alle Gläubiger sich an Schuldenerleichterungen, etwa Teilerlassen, beteiligen sollen. Es fehlen laut dem Bericht aber Druckmittel auf private Gläubiger. Die sollten die G7-Länder, auch Deutschland, nun schaffen und etwa unmöglich machen, dass unkooperative Gläubiger auf gesamte Rückzahlung klagen. Darüber hinaus sollten sie Chinas Forderung nachgeben und multilaterale Geber nicht länger von Erlassen ausnehmen; im Gegenzug könnte Peking seinerseits Erlasse hinnehmen. Auch für Reformschritte wie mehr Transparenz solle die Bundesregierung sich zunächst einsetzen. Das Fernziel müsse aber ein internationales Regelwerk für Staateninsolvenzen bleiben.

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