Wo der Seehandel Süßwasser kostet

Barbara Erbe
Drei Fünftel des Schleusenwassers aus dem Miraflores landen in Becken westlich des Kanals, aber zwei Fünftel fließen ins Meer.
Panamá-Kanal
In Panamá verbrauchen die Schiffspassagen im Kanal zwischen Atlantik und Pazifik riesige Mengen Süßwasser. Nun regnet es weniger. Der Verkehr wird leicht eingeschränkt, doch der Kanal macht auch Trinkwasser knapp.

Für Urlauber auf Kreuzfahrtschiffen ist eine Passage durch den Panamá-Kanal Miraflores eine besondere Attraktion. Sie fahren gewissermaßen über Land. Von der pazifischen Seite kommend sehen sie zunächst links und rechts der Wasserstraße mit Palmen bestandene Weiden, auf denen Kühe und Pferde grasen. Wenn sie dann nach wenigen Kilometern den Gatún-Stausee erreichen, tauchen sie in den tropischen Regenwald ein. Buchen die Touristen einen Landausflug, können sie eine der letzten Siedlungen der Eberá-Indígenas in diesem Wald besuchen. 

Um den Kanal zu passieren, gleitet ihre schwimmende Bettenburg jedoch zuerst langsam in die erste Kammer des 2016 fertiggestellten neuen Schleusensystems. Die füllt sich mit Wasser, das den Ozeanriesen langsam nach oben hebt. Über drei Kammern geht es so schrittweise um 26 Meter nach oben. Das Wasser, das die Schleusenkammern füllt, kommt aus dem Gatún-See, der bei der Passage durchquert wird. Er ist fast so groß wie der Bodensee. Der deutlich kleinere Alajuela-Stausee weiter im Osten bildet die zweite Quelle, aus denen die Schleusen das nötige Wasser zum Heben der Schiffe beziehen.

Ist das Schiff auf der Höhe der 82 Kilometer langen künstlichen Wasserstraße angekommen, wird das Wasser aus den Schleusen wieder abgelassen. Der Pegel in der ersten sinkt wieder auf die Höhe des Pazifiks – dort kann dann der nächste Ozeanriese in die Kammern einfahren. 60 Prozent des Wassers aus den Schleusen landen dabei in neun großen Becken westlich des Kanals und werden von dort für weitere Füllungen verwendet. 40 Prozent aber fließen ins Meer. Das sind nach Auskunft der Kanalverwaltung rund 200 Millionen Liter pro Schiff. Das ursprüngliche, schon 110 Jahre alte Schleusensystem, das parallel dazu im Osten verläuft, hat überhaupt keinen Mechanismus zum Wasserrecycling. Seine Kammern sind zwar deutlich kleiner, aber alles Süßwasser fließt nach dem Heben eines Schiffs ins Meer – noch einmal 200 Millionen Liter pro Passage. 

Autor

Toni Keppeler

ist freier Journalist und berichtet für mehrere deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus Lateinamerika.
Am anderen Ende des Kanals geht es in der Nähe der Stadt Colón wieder in drei Schritten nach unten auf die Höhe des karibischen Meers. Draußen in der Bucht vor Panamá-Stadt warten oft an die hundert Schiffe auf die Durchfahrt. Sie liegen dort drei oder vier, manchmal auch fünf Tage in der Warteschleife und bezahlen dann – je nach Größe – bis zu 800.000 US-Dollar Maut für die Passage. Doch das rechnet sich für die Reedereien; sie sparen Zeit und Treibstoff. Nur ein knappes Prozent der Durchfahrten sind Kreuzfahrtschiffe, für die dieser Weg eine Attraktion ist, alle anderen transportieren Handelswaren. Für den Umweg über Kap Hoorn an der Südspitze des amerikanischen Kontinents, der 15.000 Kilometer lang ist, benötigen Ozeanriesen mindestens zwei Wochen. Die Passage durch den Kanal dauert gerade einmal zehn Stunden. 

Gestrandeter Ozeanriese im Suezkanal

Mehr als eine halbe Milliarde Tonnen an Waren nahmen im vergangenen Jahr diesen Weg. Was passiert, wenn eine für den Welthandel so wichtige Wasserstraße blockiert wird, weiß man seit dem 23. März 2021. An jenem Tag strandete morgens um 7:40 Uhr Ortszeit die „Ever Given“, ein 20.000 Container fassendes Schiff, im Suezkanal. Der Frachter war auf dem Weg vom Tiefseehafen Yangshan am Roten Meer in China in den Kanal eingefahren und wollte über das Mittelmeer weiter nach Rotterdam. Schon nach wenigen Kilometern rammte er mit dem Bug das östliche Ufer der Wasserstraße. Das Heck schwenkte nach Westen und verhakte sich dort im Kanalufer. Die Wasserstraße, durch die rund zwölf Prozent der Welthandelsgüter transportiert werden, war sechs Tage lang blockiert. An beiden Enden des Kanals stauten sich insgesamt 370 Schiffe mit ihren Waren.

Der Suezkanal ist eine künstliche Wasserstraße auf Meereshöhe und braucht deshalb keine Schleusen – anders als der Panamá-Kanal. In dessen Kammern hätte die „Ever Given“ gar nicht gepasst. Die älteren, 1913 fertiggestellten Schleusen fassen Schiffe, die höchstens gut 294 Meter lang und 32 Meter breit sind und einen Tiefgang bis 12 Metern haben. Weil schon Anfang dieses Jahrhunderts rund die Hälfte der Containerschiffe zu groß für diese Schleusen war, baute man neben den ursprünglichen Ein- und Ausfahrten die neue, parallele Wassertreppe für Schiffe von bis zu 366 Metern Länge, 49 Metern Breite und einem Tiefgang von 15 Metern. Sind sie für den Transport von Containern ausgestattet, dann passen bis zu 13.000 solcher Metallboxen darauf. Inzwischen aber werden Ozeanriesen wie die 2018 vom Stapel gelaufene „Ever Given” gebaut. Der unter der Flagge von Panamá fahrende Frachter einer taiwanesischen Reederei ist fast 400 Meter lang, knapp 60 Meter breit und kann 20.000 Container fassen. 

Blockade auf Raten durch Wassermangel

Eine längere Totalblockade, wie sie dieses Schiff im Suezkanal verursacht hat, ist im Panamá-Kanal noch nicht vorgekommen. Was sich dort derzeit abspielt, ist eher so etwas wie eine Blockade auf Raten. Der Grund dafür ist Wassermangel.

Die ursprünglichen Pläne für den Bau des zweiten Schleusensystems sahen vor, dass jeden Tag vierzig Schiffe den Kanal passieren sollten. Trotz Warnungen von Umweltorganisationen nahmen die Kanalbehörde und die politisch Verantwortlichen damals das Wasserproblem nicht ernst. Martín Torrijos, der damalige Präsident des Landes, versicherte, dass kein neuer Stausee gebaut werden müsse, in dem dann wie im Gatún-See ganze Dörfer versinken würden. 

Heute aber ist die Wasserversorgung das größte Problem des Kanals. „Derzeit schleusen wir nur 35 oder 36 Schiffe pro Tag durch den Kanal“, sagt Ricaurte Vásquez Morales, der Chef der Kanalverwaltung. Zudem wurde der maximale Tiefgang der Schiffe seit Februar dieses Jahres in Stufen von 13,72 Meter auf 13,41 Meter verringert; weitere Einschränkungen sind bereits angekündigt. Den Reedereien gefällt das gar nicht, denn eine Reduzierung des Tiefgangs bedeutet, dass vor einer Passage die Ladung verringert werden muss. Schiffe, die weniger geladen haben, liegen nicht so tief im Wasser; ein Zentimeter weniger bedeutet etliche Tonnen weniger Ladung. 

Anhaltende Trockenheit lässt auch das Trinkwasser versiegen

Voraussichtlich wird es in diesem Jahr noch schlimmer kommen. Seit Februar hat es in Panamá nur rund die Hälfte dessen geregnet, was in üblichen Jahren vom Himmel fällt. „Wenn die Trockenheit anhält, werden wir die Zahl der täglichen Passagen auf 32 oder gar auf 28 absenken müssen“, sagt Vásquez Morales. Noch lebt der Kanal von den Reserven, aber die schmelzen dahin. So ist der Wasserpegel des Alajuela-Stausees schon um über sieben Meter gesunken. Das führt nicht nur zu Problemen im Kanal, sondern auch bei der Versorgung der 4,7 Millionen Panamaer, die rund die Hälfte ihres Trinkwassers aus den beiden Seen beziehen. Vor allem in ärmeren Wohngegenden von Panamá-Stadt und auf dem Land kommt schon jetzt oft für Stunden kein Wasser aus den Leitungen.

Es ist nicht zu erwarten, dass in dieser noch bis Ende Oktober anhaltenden tropischen Regenzeit der ursprüngliche Füllstand der Stauseen erreicht werden kann. In diesem Jahr nämlich beginnt ein alle paar Jahre auftretendes Klimaphänomen, das „El Niño“ genannt wird: Ausgehend von einer Erwärmung des Meeres vor der südamerikanischen Pazifikküste verändern sich weltweit die sonst üblichen Muster des Niederschlags und der Temperaturen. Für Panamá bedeutet dies höhere Durchschnittstemperaturen, was im Gatún- und Alajuela-See zu mehr Verdunstung führen wird, und weniger Niederschläge.

Eben deshalb werde die Kanalverwaltung auch in der Regenzeit Wasser sparen müssen, sagt Vásquez Morales, „damit sich die Seen wieder füllen können und gleichzeitig die Wasserversorgung für den menschlichen Konsum garantiert werden kann“. Und er fügt hinzu: „Wirtschaftliche Auswirkungen sind unvermeidbar.“

Panamá hängt finanziell am Tropf des Kanals

Zu allererst werden diese Auswirkungen Panamá selbst treffen. Das Land hängt finanziell am Tropf des Kanals. Der machte in den vergangenen Jahren stets Gewinne von 2 bis 2,5 Milliarden US-Dollar, die dann in den Staatshaushalt flossen. Gut die Hälfte der Ausgaben der öffentlichen Hand werden von der Wasserstraße finanziert. Weniger Passagen bedeuten weniger Mauteinnahmen und damit weniger Gewinne und Staatseinnahmen.

Auch die Weltwirtschaft wird von der sinkenden Zahl der Passagen beeinträchtigt. Zwar ist der Panamá-Kanal für die Handelsströme nicht so wichtig wie der Suezkanal: Nur etwa sechs Prozent der weltweit gehandelten Waren werden über die mittelamerikanische Landbrücke transportiert, halb so viel wie durch die Wasserstraße vom Roten Meer ins Mittelmeer. Die wichtigste Industriemacht USA aber wird empfindlich getroffen werden. Von den Waren, die im vergangenen Jahr durch den Kanal geschleust wurden, waren mehr als die Hälfte zwischen der Ostküste der USA und asiatischen Ländern unterwegs, vor allem China – in der einen oder anderen Richtung. Und je weiter die Zahl der Passagen reduziert wird, desto öfter wird es zu Verzögerungen in weltweiten Lieferketten kommen. 

Der Kanalverkehr wird voraussichtlich weiter zurückgehen

Die derzeitige Trockenperiode, verbunden mit dem Klimaphänomen „El Niño“, gilt im Vergleich zu früheren Jahren zwar als ungewöhnlich. Voraussichtlich aber werden die Einschränkungen im Kanalverkehr in Zukunft eher zu- als abnehmen. Nach allen Prognosen gehört Zentralamerika und damit auch Panamá zu den Weltgegenden, die am meisten vom Klimawandel betroffen sein werden. Dort werden die Temperaturen schneller steigen als im weltweiten Durchschnitt. Es wird also noch mehr Wasser aus den beiden den Kanal speisenden Stauseen verdunsten als heute. Und bis zum Ende des Jahrhunderts werden – je nach weltweiter Klimapolitik – zwischen 28 und 35 Prozent weniger Regenfälle erwartet. 

Wer dann wie viel vom noch verfügbaren Wasser bekommen wird, kann zu politischen und sozialen Verwerfungen führen. Kein Politiker, der seine Bevölkerung dürsten lässt, wird beim Volk Erfolg haben. Aber genauso wenig machen sich Regierungen Freunde, die wegen sinkender Kanaleinnahmen immer mehr Staatsausgaben zusammenstreichen müssen.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2023: Wasser: Knapp und kostbar
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