Gefahr aus der Luft

Bei immer mehr Tuberkulosekranken versagen die herkömmlichen Antibiotika. Sie leiden unter der multiresistenten Form der bakteriellen Lungenerkrankung. Deren Behandlung dauert länger, ist teurer und hat schwere Nebenwirkungen. Und sie gefährdet das Erreichen des Ziels, die Häufigkeit von Tuberkulose und die Sterblichkeitsraten bis 2015 im Vergleich zu 1990 zu halbieren.

Viele Menschen auf engem Raum, feuchte Wände, geschlossene Fenster und Vorhänge – solche Unterkünfte sieht Christine Schmotzer bei ihren Hausbesuchen in den Slums der pakistanischen Millionenstadt Rawalpindi oft. „Tuberkulose ist eine Krankheit der Armen“, sagt die Ärztin. „Mangelnde Hygiene, beengte Verhältnisse, kein Licht, keine Lüftung, und dann noch Mangel- oder Unternährung – das erhöht das Risiko beträchtlich.“ Der Ansteckung durch ein krankes Familienmitglied ist unter solchen Umständen kaum zu entgehen. Sie geschieht mittels Tröpfcheninfektion: Beim Husten gerät der Erreger der Krankheit, in den meisten Fällen das Myobacterium tuberculosis, in die Luft und wird mit dem Einatmen übertragen.

Zwei Milliarden Menschen, ein Drittel der Weltbevölkerung, tragen Tuberkulose-Erreger in sich. Davon erkranken im Laufe ihres Lebens aber nur etwa ein Zehntel, deren Immunsystem durch Mangelernährung, andere Krankheiten oder Alter geschwächt ist. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden gegenwärtig knapp elf Millionen Menschen an der bakteriellen Lungenerkrankung, etwa 1,8 Millionen sterben jährlich daran. 95 Prozent der Tuberkulosekranken leben in Entwicklungs- und Schwellenländern, besonders betroffen sind Indien, China, Indonesien, Südafrika, Nigeria und Pakistan. Bislang gibt es lediglich einen einzigen Impfstoff, der aber äußerst unzuverlässig ist und deshalb selten angewendet wird.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".

Die Heilungschancen für einen Patienten liegen bei 85 Prozent, wenn er neun bis sechs Monate lang mit der von der WHO empfohlenen Kombination aus vier verschiedenen Antibiotika behandelt wird, der Directly Observing Therapy (DOT). Zwischen 1995 und 2008 wurden weltweit 36 Millionen Kranke auf diese Weise geheilt. Doch trotz allen Bemühungen stieg die Zahl der Neuerkrankungen nach Angaben der WHO zwischen 2000 und 2008 von 8,3 auf 9,4 Millionen. Auch die Zahl der Erkrankten geht weltweit nur langsam zurück, in einigen Regionen wie Afrika südlich der Sahara und den früheren Staaten der Sowjetunion wächst sie sogar.

Abbruch hat fatale Folgen

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielschichtig. Die Schwierigkeiten begännen bereits bei der Diagnose, erklärt Christine Schmotzer, die in Rawalpindi ein Behandlungs- und Kontrollzentrum für Tuberkulose leitet. Die Symptome – Husten, Fieber und Gewichtsabnahme – würden von Patienten und Gesundheitspersonal häufig nicht richtig gedeutet. Den Laboren fehle es an Ausrüstung und qualifizierten Mitarbeitern, um  zuverlässig den Erreger im Auswurf eines Patienten nachzuweisen. Auch Röntgengeräte für Lungenaufnahmen gebe es zu wenige, ferner seien viele Ärzte nicht in der Lage, die Bilder auszuwerten. Pakistan steht auf Platz acht der Liste von 22 Ländern, in denen die meisten Tuberkulosekranken leben. Mehr als 400.000 Menschen erkrankten laut WHO-Schätzungen 2008 in dem zentralasiatischen Land. In die 72-Betten-Klinik in Rawalpindi kämen jährlich 2000 Menschen mit Verdacht auf offene TB, bis zu 350 Patienten würden pro Jahr behandelt, berichtet Schmotzer.  

Ihre Therapie folgt dem strengen WHO-Regime – aber das ist nicht überall so. Zwar stellt der Staat die Medikamente kostenlos zur Verfügung, manchmal gehen sie jedoch aus und die Patienten müssen sie selbst kaufen. Weil es keine wirksame Arzneimittelkontrolle gebe, seien die Präparate oft von schlechter Qualität, sagt Schmotzer. Und: Wenn es den Patienten nach zwei oder drei Monaten besser gehe, hörten sie häufig auf, die Mittel zu nehmen. Das hat fatale Konsequenzen. Denn wenn die Antibiotika-Behandlung abgebrochen wird, dann entsteht eine Form der Krankheit, die auf die wichtigsten Medikamente nicht mehr anspricht, die multiresistente Tuberkulose (multidrug-resistant Tuberculosis – MDR-TB). Sie bereitet Gesundheitsexperten zunehmend Sorgen; die WHO schätzt die Zahl der Neuerkrankungen für das Jahr 2008 auf 440.000, Tendenz steigend.

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Die Diagnose von MDR-Tuberkulose ist ungleich schwieriger als bei der normalen Form, nur wenige Labore in Entwicklungsländern können sie nachweisen. Je seltener die Krankheit erkannt wird, desto eher kann sie sich über die üblichen Ansteckungswege ausbreiten. Statt vier Antibiotika müssen die Patienten zehn Präparate über eine Dauer von bis zu 30 Monaten einnehmen. Damit einher gehen schwere Nebenwirkungen wie Übelkeit, Gliederschmerzen, Juckreiz, Leber- und Hörschäden sowie psychische Erkrankungen wie Schizophrenie. Während Christine Schmotzer und ihre drei pakistanischen Kolleginnen und Kollegen normale Tuberkulose ambulant behandeln, müssen Patienten mit MDR-TB jeden Tag in die Klinik kommen, um ihre Medikamentenration einzunehmen.

 „Wir versuchen, das flexibel zu handhaben,“ sagt die Ärztin. „Aber trotzdem bedeutet das für viele Patienten einen Verdienstausfall.“ Auch die Therapiekosten sind höher, sie liegen laut Schmotzer bei bis zu 3000 Euro pro Person und werden nicht vom Staat übernommen. Ihre Klinik ist deshalb auf Förderung aus dem Ausland, unter anderem von der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe, sowie auf pakistanische Spender angewiesen.

Neue Medikamente getestet

Die Zunahme der MDR-Tuberkulose liegt laut der Gesundheitsexpertin des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), Sonja Weinreich, auch daran, dass die Erreger sich weiter entwickeln und die Medikamente veraltet sind. Es werde zu wenig geforscht, um neue Mittel mit neuen Wirkungsmechanismen zu entwickeln, kritisiert sie. Die Pharma-Konzerne nähmen ihre soziale Verantwortung nicht genug wahr. Der EED fordert deshalb gemeinsam mit der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, Ärzte ohne Grenzen und der Buko-Pharmakampagne in einem „Aufruf zum Handeln“ von der deutschen Bundesregierung, mehr Geld in die Forschung und Entwicklung für vernachlässigte Krankheiten, darunter Tuberkulose, zu stecken.

Das sei auch im Interesse der reichen Länder, meint der Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Stefan Kaufmann, der den Aufruf mit unterzeichnet hat. Zwar sei es gelungen, die Tuberkulose in den USA und in Westeuropa zurückzudrängen. 2008 erkrankten in Deutschland laut dem Robert-Koch-Institut rund 4.500 Menschen neu, acht Jahre zuvor waren es noch gut 9.000. Doch das dürfe man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Zu den Ländern, in denen die meisten Fälle von MDR-Tuberkulose auftreten, zählten viele osteuropäische Staaten. Es bestehe die Gefahr, dass sich die Krankheit über Migranten auch im Westen wieder mehr ausbreite.

Kaufmann verweist auf zehn neue Medikamente, die derzeit in klinischen Tests erprobt werden. Das sei ein großer Fortschritt gegenüber den vergangenen dreißig Jahren. „In diesem Zeitraum kamen nur drei Wirkstoffe auf den Markt“, berichtet er. Dennoch werde es noch mindestens fünf Jahre dauern, bevor die neuen Mittel Menschen heilen könnten. Ferner liefen zurzeit Tests mit zehn verschiedenen Impfstoffen, die aber frühestens in zehn Jahren einsatzbereit seien.

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Als vielversprechend bewertet der Wissenschaftler Kooperationen der Privatwirtschaft und staatlichen Institutionen zur Entwicklung von Medikamenten, wie die im März gestartete Initiative „Critical Path to TB Drug Regimes“. Daran sind unter anderem etliche Pharma-Konzerne und die US-amerikanische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA beteiligt. Zugleich warnt Kaufmann jedoch vor zu großen Hoffnungen. Man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass Impfstoffe einen hundertprozentigen Schutz bieten könnten. Inzwischen treten zudem Fälle von extrem resistenter Tuberkulose (Extensively drug-resistant TB) auf, bei deren Behandlung sämtliche bekannten Medikamente versagen.

Erhöhtes genetisches Risiko

Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Eindämmung der Tuberkulose besteht darin, dass sie mit HIV/Aids eine verhängnisvolle Allianz bildet. Bei Aidskranken bricht Tuberkulose mit höherer Wahrscheinlichkeit aus und umgekehrt. Das erschwert die Behandlung beider Krankheiten und erhöht das Risiko für die Kranken, zu sterben. Hier sieht Sonja Weinreich ebenfalls große Defizite: „Es ist noch ein weiter Weg, um Programme zur Aids- und zur Tuberkulosebekämpfung aufeinander abzustimmen.“ Christine Schmotzer nennt eine weitere problematische Kombination: Tuberkulose und Diabetes. In den zurückliegenden Jahren sei der Zuckerverbrauch infolge veränderter Essgewohnheiten stark gestiegen, sagt sie. Inder, Pakistaner und Nepalesen hätten ferner ein erhöhtes genetisches Risiko, an Diabetes zu erkranken. Dies schwäche das Immunsystem und erhöhe die Ansteckungsgefahr für Tuberkulose. Patienten, die an beiden Krankheiten leiden, müssten stationär behandelt werden.

Tuberkulose bedeutet nicht nur Schmerzen und Leid für die Patienten und ihre Familien. Da sie vor allem Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren trifft, die wirtschaftlich am produktivsten sind, leidet die ökonomische Entwicklung ganzer Länder. Die peruanische Regierung etwa hat darauf schon 1990 reagiert. Sie stellte mehr Mittel für den Kampf gegen Tuberkulose zur Verfügung und führte flächendeckend eine kostenlose Diagnose und Behandlung ein. Zwischen 1991 und 1999 wurden laut WHO 70.000 Neuinfektionen und Todesfälle verhindert. Wesentlichen Anteil an diesem Erfolg hatte die Entwicklung eines gemeindenahen Gesundheitsnetzes, das dazu beiträgt, Therapieabbrüche zu verhindern.

Auch Christine Schmotzer setzt bei ihrer TB-Behandlung auf soziale Kontrolle. „Wir haben freiwillige Gesundheitshelfer, die die Patienten unterstützen“, sagt sie. Nachbarn oder Lehrer übernehmen die Verantwortung, dass die Kranken ihre Behandlung bis zum Schluss fortführen. „Manche von ihnen machen das schon sehr lange“, erzählt die Ärztin. „Wenn sie zu mir sagen, diesen Patienten möchte ich lieber nicht übernehmen, weiß ich, dass ich hier doppelt aufpassen muss.“

 

erschienen in Ausgabe 7 / 2010: Andenländer, alte Kulturen neue Politik
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