Türen öffnen mit Kultur


Außenkulturpolitik will die Menschen verbinden – über nationale und kulturelle Grenzen hinweg. Zugleich ist sie eng verflochten mit wirtschaftlichen und politischen Interessen. Die Franzosen setzen vor allem auf Staatsnähe, die Deutschen auf die Vielfalt und Eigenständigkeit ihrer Stiftungen und Institute. Beide müssen ihre Beziehungen zur arabischen Welt neu gestalten.
Europa schrumpft. Nach Prognosen der Vereinten Nationen werden wir Europäer im Jahr 2050 nur noch 7,6 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Welche Rolle werden diese sieben Prozent in der internationalen Gemeinschaft spielen? Wer wird sich für europäische Kultur interessieren? Nicht erst die jüngsten Finanzkrisen zeigen: Eine Weltgemeinschaft kann sich nicht nur über Shopping definieren. Märkte allein bringen uns einander nicht näher.
 

Autorin

Jenny Friedrich-Freksa

ist Chefredakteurin der Zeitschrift „Kulturaustausch“, die vom Institut für Auslandsbeziehungen herausgegeben wird.

Einander näher zu kommen, über kulturelle und nationale Grenzen hinweg – das ist ein Grundgedanke von Außenkulturpolitik. Gleichzeitig verfolgt sie strategische Interessen. Kinder an deutschen Auslandsschulen sollen nicht nur deutsch lernen, um Goethe im Original lesen zu können. Sie sind auch die Fachkräfte von morgen, die irgendwann entscheiden, wo auf der Welt sie arbeiten wollen – der berühmte Kampf um die klügsten Köpfe. Die Kultur steckt in einem solchen politisch-wirtschaftlichen Interessensgeflecht naturgemäß in einem Dilemma. Zum einen wirkt sie für sich selbst, als Ergebnis dessen, was Menschen hervorbringen und was sie ausmacht – seien dies künstlerische Werke oder soziale Taten. Zum anderen wird Kultur in der Politik eingesetzt: Staaten wollen ihre Kultur in anderen Ländern bekannter machen und nutzen kulturelle Projekte für außenpolitische Ziele.

Die großen Spieler der europäischen Kulturpolitik sind Großbritannien, Frankreich und Deutschland, wobei die Briten den Vorteil haben, keine dezidierte Sprachpolitik betreiben zu müssen. Englisch wird in weiten Teilen der Welt freiwillig gelernt und gesprochen. Wie kaum ein anderes Land neben den USA weiß Großbritannien seine Kultur zu exportieren: Mode und Musik, Filme und Literatur. In ihrer Außenkulturpolitik spezialisieren sich die Briten seit Jahren – anders als die Deutschen und Franzosen – auf einige wenige Kernthemen, etwa den Klimawandel.

Wie sieht das bei Deutschland und Frankreich aus? Frankreich war der erste europäische Staat, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Vorläufer der Außenkulturpolitik erfand: mit einer Kulturabteilung im Außenministerium und kulturellen Institutionen im Ausland. Nach 1945 wurde Auswärtige Kulturpolitik ein eigenständiges Politikfeld, dessen Zuständigkeit beim Außenministerium liegt. Seit langem sind in Frankreich die Ideen von Nation, Identität und Kultur miteinander verbunden. Im 17. Jahrhundert bereits wurde die Académie francaise gegründet, die bis heute die Verwendung der französischen Sprache überwacht. Die Französische Revolution brachte die aufklärerischen Errungenschaften mit sich, auf denen das Selbstverständnis der französischen Nation beruht: Demokratie und Menschenrechte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg brachten vor allem einige französische Präsidenten und Kulturminister die Kulturdiplomatie voran. Zum einen weil sie glaubten, dass die Darstellung der eigenen Kultur zur Selbstbehauptung in der internationalen Gemeinschaft beitrage. Zum anderen, weil viele von ihnen Kultur liebende Persönlichkeiten waren. Charles de Gaulle war für seine Memoiren für den Literatur-Nobelpreis im Gespräch und hatte 1959 den Schriftsteller André Malraux zum ersten Kulturminister Frankreichs gemacht. Georges Pompidou war Verfasser eines literarischen Klassikers, der „Anthologie der französischen Poesie“, und Experte für moderne Malerei. Francois Mitterand und sein Kulturminister Jack Lang schufen mit der Bastille-Oper, der Nationalbibliothek, der Glasypyramide im Louvre und dem Triumphbogen „Grande Arche“ eine neue Architektur, die international für Aufsehen sorgte. All diesen Projekten lag die Idee einer Verbindung von Kultur und Zivilisation zugrunde – und der Wunsch, die Größe der französischen Kultur möge in die Welt strahlen.

Die Deutschen mussten nach 1945, nach dem Weltkrieg und dem Holocaust, erst einmal beweisen, dass sie zu zivilisiertem Verhalten anderen Völkern gegenüber in der Lage waren. Anfang der 1950er Jahre wurden die ersten Goethe-Institute und Büros des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD eröffnet, das Institut für Auslandsbeziehungen und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung wurden wieder gegründet. Man wollte zeigen, dass Deutschland nicht nur das Land Hitlers, sondern auch das von Bach und Beethoven, Goethe, Schiller, Kant und Hegel war. Doch sich wie Frankreich als „Grande Nation“ zu präsentieren, war vor dem historischen Hintergrund des „Dritten Reiches“ völlig undenkbar.

Ein neues Profil in der Auslandskulturarbeit gewannen die Deutschen vor allem ab den 1960er und 1970er Jahren: mit Lesungen und Diskussionen deutschsprachiger Autoren wie Günter Grass, Peter Handke oder Hans Magnus Enzensberger und mit Filmvorführungen junger Regisseure wie Volker Schlöndorff und Wim Wenders. Mit ihnen trat eine neue Generation an, die sich kritisch mit der deutschen Vergangenheit auseinandersetzte. Dazu passte, was Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler 1969 formulierte: Die Darstellung deutscher Kultur solle darauf zielen, „anderen Völkern neben den unvergänglichen Leistungen der Vergangenheit ein Bild dessen zu vermitteln, was in dieser Zeit des Übergangs auch in Deutschland an geistiger Auseinandersetzung und fruchtbarer Unruhe tägliche Wirklichkeit ist“.

Brandt war es auch, der die Auswärtige Kulturpolitik zur strategischen „dritten Säule“ der Außenpolitik machte – neben der klassischen Diplomatie und der Außenwirtschaftspolitik. 30 Jahre später, 1999, legte der damalige Außenminister Joschka Fischer die „Konzeption 2000“ vor, welche festhält, dass die Bedeutung außenkulturpolitischer Arbeit in Zeiten der Globalisierung wachse. Gleichzeitig fragt sie, wie viel Geld die öffentliche Hand zur Verfügung stellen soll, um den kulturellen Austausch über Landesgrenzen hinweg zu ermöglichen. Kulturarbeit soll weniger der Selbstrepräsentation als dem Unterstützen (privater) kultureller Initiativen dienen.

Mit Fischers Nachfolger Frank-Walter Steinmeier kam ein Mann ins Amt, der wirklich an den Wert kulturellen Austauschs für die Außenpolitik glaubte. Er erhöhte die Mittel für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und rief eigene Dialogprojekte ins Leben, etwa die Ernst-Reuter-Initiative gemeinsam mit seinem türkischen Amtskollegen Abdullah Gül, die die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei fördert.

Und heute? 2011 hat sich mit den arabischen Revolutionen gezeigt, dass man in der Wahl der Partner vielerorts weniger auf unabhängige Geister als auf regierungsnahe Vertreter aus Kunst und Kultur gesetzt hatte. Die aufständischen Kräfte waren kaum bekannt. Der deutsch-syrische Schriftsteller Rafik Schami etwa sagt: „Die offizielle deutsch-syrische Zusammenarbeit ist ein Desaster. Man förderte mit deutschen Steuergeldern regimetreue Künstler, während man aus falscher Rücksicht den Mund hielt, obwohl man wusste, dass syrische Menschenrechtler und engagierte Künstler in den Gefängnissen gefoltert wurden.“

Zum Problem wurde im Frühjahr die Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ in Peking. Erst wurde Außenminister Guido Westerwelle düpiert, als man einem Mitglied seiner Delegation, dem Publizisten Tilman Spengler, die Einreise verweigerte. Kurz darauf wurde der chinesische Künstler Ai Weiwei verhaftet. Kulturprojekte in nicht demokratischen Ländern zu organisieren ist immer schwierig, allerdings auch sinnvoll. Dort, wo politisch nichts mehr geht, bleibt so eine Tür zu den Menschen offen. Es kommt aber eben darauf an, mit wem man spricht und unter welchen Umständen. Die jüngsten Probleme können nicht Westerwelle angelastet werden. Doch er setzt, anders als Steinmeier, keine starken eigenen Akzente in der Außenkulturpolitik.

Die praktische Arbeit der Mittlerorganisationen, die mit Mitteln des Außenministeriums die Programmarbeit umsetzen, läuft dessen ungeachtet weiter. „Der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik geht es gut, obwohl die ganz offizielle Unterstützung nicht da ist“, beschreibt Professor Kurt-Jürgen Maaß, der an der Universität Tübingen Außenkulturpolitik lehrt, die Lage. Als große Aufgaben für die Zukunft sieht er die Neugestaltung der Beziehungen zur arabischen Welt und die Union für das Mittelmeer. Mit Johannes Ebert kommt passenderweise im März 2012 ein Kenner der arabischen Welt als neuer Generalsekretär an die Spitze des Goethe-Instituts: Ebert ist Islamwissenschaftler und leitete von 2002 bis 2007 das für seine Programmarbeit hoch gelobte Goethe-Institut in Kairo.

Das große Plus der deutschen Außenkulturpolitik ist die Vielfalt ihrer Mittler, die ihre Projekte inhaltlich frei gestalten. Die Franzosen verfolgen derweil ihre Tradition einer extrem staatsnahen Kulturpolitik weiter. So sind die Instituts Français direkt an die Botschaften angebunden. Seit mehr als zehn Jahren wird in Frankreich über Reform diskutiert, doch bisher hat sich strukturell kaum etwas getan. Auch die inhaltliche Diskussion kommt nicht voran. Zwar nennt Präsident Nicolas Sarkozy den ehemaligen Kulturminister Malraux als Vorbild. Praktisch ist aber von dessen Ideen – der Demokratisierung von Kultur und der Förderung der Künste – wenig zu sehen. „Wir geben zu viel Geld für das Falsche aus“, sagt Dominique Vidal von der französischen Monatszeitung Le Monde diplomatique, „teure Cocktails in den Botschaften und Einladungen an wichtige Persönlichkeiten, die in Fünf-Sterne-Hotels untergebracht werden.“

Was wären sinnvolle Ziele in der deutschen und der französischen Außenkulturpolitik? Zunächst einmal: sie stärker zusammen zu denken, also europäisch. Hierfür hat es in der Vergangenheit immer wieder theoretische und praktische Ansätze gegeben. Es gibt gemeinsame Kulturveranstaltungen etwa des Goethe-Instituts und der Sprachinstitute der Alliance française, einen deutsch-französischen Hochschulverbund und ein deutsch-französisches Schulbuch, das die Geschichte beider Länder gemeinsam erzählt. Auch der Kultursender Arte ist ein Erfolgsprojekt. Es fehlt jedoch eine gemeinsame Infrastruktur, etwa mit gemeinsamen Kulturhäusern im Ausland, die dann allerdings eher einen europäischen als einen nationalen Charakter hätten.

Zweitens: weniger Selbstrepräsentation im Ausland und mehr Rückspiegelung guter kultureller Auslandsprojekte ins Inland. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass Deutschland die Sarrazin-Thesen und Frankreich das Burka-Verbot diskutieren, während ihre Auslandsinstitute exzellente Veranstaltungen zu Migration oder kultureller Vielfalt abhalten, von deren Ergebnissen aber daheim kaum etwas ankommt. Drittens, und das ist vielleicht der wichtigste Punkt: Die Außenkulturpolitik des alternden Europa muss eine Kulturpolitik mit jungen Leuten und für junge Leute sein. Klimawandel, knappe Ressourcen und Massenmigration sind die großen globalen Aufgaben der Zukunft. Die Jungen werden sie zusammen lösen müssen. Die Politik sollte helfen, sie zusammenbringen – für eine fruchtbare Unruhe.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2011: Globalisierung: Auf dem Weg zur Einheitskultur?
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