„Freiheit für die Konkurrenz“

Vor allem in Ländern mit autoritären Regierungen oder in Staaten, die sich über eine vorherrschende Religion definieren, haben religiöse Minderheiten einen schweren Stand. Aber auch Religionsgemeinschaften tun sich oft schwer damit, Anhänger eines anderen Glaubens als gleichberechtigt anzuerkennen. Dabei ist es ihre Aufgabe, zu einem gesellschaftlichen Klima beizutragen, das den Schutz und die Achtung der Religionsfreiheit befördert, meint der UN-Sonderberichterstatter Heiner Bielefeldt.


Schwindet die Achtung vor der Religionsfreiheit?

So pessimistisch würde ich das nicht ausdrücken. Aber die Religionsfreiheit ist sowohl praktisch als auch konzeptionell unter Druck geraten, und zwar in ganz unterschiedlichen Regionen der Welt. Auch im Westen finden sich gelegentlich grundlegende Missverständnisse in Bezug auf dieses Menschenrecht. Das gilt etwa, wenn sich in das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften Kategorien von kulturellem Erbe und Leitkultur schieben. Das kann Diskriminierung zur Folge haben, das erleben wir auch in Deutschland. Problematisch ist es auch, wenn man Begriffe wie Neutralität und Säkularität des Staates so auslegt wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Er sagt, er habe nichts gegen den französischen Islam, wohl aber gegen den Islam in Frankreich. Damit bestreitet er, dass eine nicht traditionell ansässige Religion öffentlich sichtbar sein kann. Damit wird Religionsfreiheit exklusiv in der Privatsphäre angesiedelt, was auf eine Verkürzung dieses Menschenrechtes hinausläuft.

Frankreich hat im April das Tragen von Ganzkörperschleiern in der Öffentlichkeit verboten. Ist das ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit?

Zunächst einmal ist klarzustellen, dass die Religionsfreiheit nicht unbeschränkt gilt. Man kann ihrer äußeren Manifestation von Staats wegen Grenzen setzen, aber dafür müssen bestimmte Kriterien beachtet werden. Erstens braucht man eine gesetzliche Grundlage. Diese ist zweifellos gegeben. Zweitens muss dieses Gesetz einem legitimen Ziel dienen. Auch hier wird man die Legitimität nicht von vornherein abstreiten können. Ich selbst finde die Burka ja auch unerträglich. Denn darin drückt sich ein Verständnis vom Verhältnis zwischen Mann und Frau aus, das unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten höchst problematisch ist. Es muss allerdings noch ein drittes Kriterium erfüllt sein, damit man der Religionsfreiheit Grenzen setzen darf: Die gesetzliche Maßnahme muss geeignet sein, das Ziel, dem sie dienen soll, tatsächlich zu befördern, und sie muss dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit genügen. Dass das französische Gesetz diesen Kriterien gerecht wird, scheint mir in der Tat sehr zweifelhaft.

Warum?

Die erklärte Stoßrichtung des Gesetzes ist ja der Kampf gegen das Patriarchat. Deshalb sollen theoretisch diejenigen hart bestraft werden, die Frauen unter die Burka zwingen. Darauf steht bis zu einem Jahr Haft, bei minderjährigen Frauen sogar bis zu zwei Jahren. Es ist aber davon auszugehen, dass es kaum zu einem solchen Strafprozess kommen wird, weil die Beweishürden in einem Rechtsstaat, in dem die Unschuldsvermutung gilt, sehr hoch sind. Deshalb ist eine Ersatzstrafe vorgesehen, die allerdings das mutmaßliche Opfer trifft: Wenn Frauen in der Öffentlichkeit mit Burka erwischt werden, droht ihnen ein Bußgeld bis zu 150 Euro plus staatsbürgerlicher Unterricht. Und das kann dazu führen, dass Frauen, die unter Druck gesetzt werden, die Burka zu tragen, das Haus nicht mehr verlassen können. Das wäre gemessen an der freiheitlichen Zielsetzung ein paradoxes Resultat. Bei allem Verständnis dafür, dass man gegen die Burka etwas unternehmen will, halte ich das französische Gesetz daher für problematisch.

Trotz solcher Gesetze gilt die Religionsfreiheit in Europa als weitgehend durchgesetzt.

Man kann schon sagen, in Europa sieht es insgesamt gut aus. Aber wir haben auch hier Probleme mit der Religionsfreiheit, vor allem mit der Gleichberechtigung der Angehörigen unterschiedlicher Religionen. Das gilt auch für Deutschland. Wenn man die Gesetzgebung verschiedener Bundesländer zu religiösen Symbolen in staatlichen Schulen anschaut, werden recht unverhohlen christliche Symbole privilegiert und islamische Symbole diskriminiert. Darüber hinaus gibt es auch direkte Formen der Verfolgung. Griechenland etwa ist wiederholt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für Schikanen im Umgang mit den Zeugen Jehovas verurteilt worden. In der griechischen Verfassung ist ein Verbot des Proselytismus, also einer offensiven Missionstätigkeit, verankert, das in der Vergangenheit immer wieder gegen die Zeugen Jehovas eingesetzt worden ist.

Wo ist die Religionsfreiheit besonders in Gefahr?

In Staaten mit autoritären Regimen sieht es häufig besonders dramatisch aus. Manche Staaten wie China zeigen eine generelle Nervosität gegenüber allen Menschen oder Gruppen, die sich selbst organisieren und der staatlichen Kontrolle entziehen. Das können Blogger sein, Hauskirchen oder Religionsgemeinschaften wie die Falun Gong, die sich ohne staatliche Genehmigung versammeln. Darauf reagiert der Staat geradezu hysterisch und schlägt erbarmungslos zu. Das hängt wesentlich mit dem Legitimationsdefizit eines Einparteisystems zusammen. Schwierig ist die Lage auch in Staaten, die sich selbst mit Bezug auf eine vorherrschende Religion definieren. Dort besteht vielfach eine strukturelle Diskriminierung, die oft schon in der Verfassung festgeschrieben ist. Wie soll etwa ein Staat, der sich offiziell als islamischer Staat definiert und die islamische Scharia als Hauptquelle staatlicher Gesetzgebung ansieht, gewährleisten, dass Angehörige anderer Religionen gleichberechtigt an öffentlichen Ämtern oder politischen Entscheidungsgremien beteiligt sind?

Hat auch der Anteil der einzelnen Religionsgemeinschaften an der Bevölkerung einen Einfluss?

Nicht unmittelbar. Zunächst warne ich davor zu sagen, im Christentum sei Religionsfreiheit im Prinzip kein Problem und Islam sei sie im Prinzip immer ein Problem. Mit solchen Zuordnungen sollte man sehr vorsichtig sein. Ich würde eher sagen, alle Religionsgemeinschaften haben - offen oder versteckt - ihre Schwierigkeiten mit der Religionsfreiheit, weil diese ja immer auch die volle Freiheit und Gleichberechtigung der Konkurrenz bedeutet. Einen großen Einfluss hat darüber hinaus die Frage, ob man sich in einer Gesellschaft in der Minderheit oder in der Mehrheit befindet. Sehr grob formuliert, haben religiöse Minderheiten oft eher einen ausgeprägten Sinn für die Dringlichkeit der Religionsfreiheit als Angehörige von Religionen, die sich in einer starken Mehrheitsposition befinden. So ist der Durchbruch zur katholischen Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil sehr stark von den USA ausgegangen, wo der Katholizismus über lange Zeit eine Minderheitskonfession war.

Ein anderes Beispiel: Im März war ich auf meiner ersten offiziellen UN-Mission in Paraguay, wo ich unter anderem eine Siedlung der evangelischen Glaubensgemeinschaft der Mennoniten im Nordosten des Landes besucht habe. Sie sind eine sehr kleine Minderheit, die in ihrer Geschichte vielfach selbst verfolgt worden ist, aber in dieser Region in Nordosten Paraguays eine ökonomische und auch politische Vormachtstellung erlangt hat. Dort sind sie in Gefahr, die Religionsfreiheit der indigenen Bevölkerung zu missachten.

Weil sie aggressiv missionieren?

Viele Indigenen sind Christen, möchten aber gleichzeitig ihre traditionellen religiösen und schamanistischen Praktiken weiter pflegen oder revitalisieren. Die katholische Kirche steht ihnen dabei in Paraguay mittlerweile eher mit Sympathie gegenüber und beteiligt sich gelegentlich an Projekten, das spirituelle Erbe wiederzubeleben. Andere Konfessionsgruppen aber wollen das tendenziell eher verhindern und bringen dabei zum Teil ihre ökonomische Übermacht ins Spiel. Missionstätigkeit ist Bestandteil der Religionsfreiheit, das muss immer klar gesagt werden. Aber wenn sie nicht zwischen freien und gleichberechtigten Menschen geschieht, kann sie zur Verletzung von Religionsfreiheit führen. Genau hier liegt ein Problem, weil sich viele Angehörige der indigenen Völker in extremer ökonomischer Abhängigkeit und struktureller Verletzlichkeit befinden.

Was müssen die Religionsgemeinschaften tun, um zur Verwirklichung der Religionsfreiheit beizutragen?

Die Religionsfreiheit ist ein säkulares Menschenrecht. Aber sie kann nur da wirklich gedeihen, wo nicht nur der Staat sie durchsetzt, sondern auch die Religionsgemeinschaften sich diesem Anliegen öffnen. Ein solcher Öffnungsprozess ist in verschiedenen Kontexten unterschiedlich weit fortgeschritten. Schlichte religiöse oder konfessionelle Zuordnungen gehen dabei in die Irre. Man kann zum Beispiel nicht einfach sagen, die Christen haben den Umgang mit der Religionsfreiheit ein für allemal gelernt, die Muslime aber generell noch nicht. Wenn man Stellungnahmen der russisch-orthodoxen Kirche zur Religionsfreiheit liest, merkt man, dass auch in manchen christlichen Kontexten nach wie vor große Vorbehalte bestehen.

Tun sich Religionen, die wie der Buddhismus keine Buchreligionen sind, leichter?

Der Buddhismus steht im Ruf, eine friedliche Religion zu sein, die keinen emphatischen Wahrheitsanspruch vertritt. Wer meint, die Probleme mit der Religionsfreiheit in erster Linie von der Theologie entwickeln zu können, wundert sich, dass etwa in Sri Lanka buddhistische Mönche an nationalistischer Hetzpolitik zugunsten der singhalesischen Mehrheit beteiligt waren. Und in manchen südostasiatischen Ländern ist der Staat bestrebt, eine Art buddhistische Leitkultur zu organisieren, weil er die buddhistischen Strömungen am besten zu kennen glaubt und Angst hat vor christlichen Missionaren.

Islamische Staaten haben versucht, das Recht auf Religionsfreiheit dahingehend neu zu interpretieren, dass es den Schutz der Religion vor Verunglimpfungen garantiert. Der UN-Menschenrechtsrat hat aber im März eine Resolution verabschiedet, die auf den Schutz von Personen gegen Intoleranz oder Gewalt aufgrund ihrer Religion oder ihres Glaubens zielt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Es ist noch zu früh, das eindeutig zu sagen. Aber es ist bemerkenswert, dass man es geschafft hat, nach einem mehr als zehnjährigen Ritual, in dem die Organisation islamischer Staaten hoch umstrittene Resolutionen zum Thema „Bekämpfung der Religionsdiffamierung" auf den Tisch gebracht hat und die westlichen Staaten immer dagegen waren, ein Konsensdokument zu verabschieden. Darin formulieren beide Seiten ihren Willen, religiöse Stereotypenbildung und religiösen Hass zu überwinden. Es geht dabei also nicht um die Ehre der Religion, sondern darum, Menschen zu schützen, die sich Vorurteilen, Stereotypen und Hasspropaganda ausgesetzt sehen. Man kann nur hoffen, dass diese neuartige Resolution nicht nur eine Atempause im Prozess wechselseitiger Blockaden ist, sondern tatsächlich eine neue Ebene des Zusammenwirkens eröffnet.

Welche Wirkung erwarten Sie?

Solche Resolutionen setzen Standards, die völkerrechtliches Gewicht gewinnen. Die neue Resolution steht inhaltlich im Zusammenhang mit vier Konferenzen, die das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in diesem Jahr in Europa, Afrika, Asien und Amerika zum Thema Aufstachelung zu rassistischem und religiösem Hass durchführt. Der Internationale Pakt über bürgerliche und zivile Rechte legt unter anderem fest, dass jeglicher nationaler, rassistischer oder religiöser Hass, der zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt anstiftet, verboten werden soll. Diese Rechtsnorm ist bislang wenig beachtet worden. Das Thema wird nun in diesen Konferenzen bearbeitet, die politische und rechtliche Wirkung entfalten werden.

Als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Religionsfreiheit sind Sie bei diesen Konferenzen dabei. Welche Aufgaben haben Sie außerdem?

Ich engagiere mich in Fällen einzelner Verfolgter oder in Krisen. Das sind etwa Brandanschläge auf koptische Häuser in Ägypten im vergangenen Herbst, die Verurteilung einiger führender Baha'i in Iran im Herbst 2010, Übergriffe auf Mitglieder der Ahmadiyya in Ägypten und Indonesien, Verhaftungen und Folter an Angehörigen der Falun Gong in China, aber auch Kampagnen gegen Muslime in der Schweiz oder Abschiebungen aus Europa in Länder, in denen die Religionsfreiheit bedroht ist. Ich bitte die Regierungen der betroffenen Länder um Auskunft, darüber wird dann in den Vereinten Nationen berichtet. Ferner führe ich offizielle UN-Missionen in einzelnen Ländern durch, wie im Frühjahr im Paraguay. Und drittens geht es darum, das Recht auf Religionsfreiheit gegen Missverständnisse und Fehldeutungen zu schützen.

Was können Sie mit Ihrer Arbeit bewirken?

Diese Frage möchte ich eigentlich nicht beantworten. Ich sehe mich als Mosaikstein in einem großen Ganzen, nur im Zusammenwirken vieler Akteure können wir etwas erreichen.

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.


Heiner Bielefeldt
ist seit Juni 2010 Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit des UN-Menschenrechtsrates. Der Theologe und Philosoph hat an der Universität Erlangen-Nürnberg den Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik inne.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2011: Die Freiheit des Glaubens
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