Goldene Pässe für die Reichen

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

vergangene Woche fand im Haus von Brot für die Welt in Berlin der Solidarity Hub statt, organisiert von ACT Ubumbano, einem Netzwerk südafrikanischer und europäischer Entwicklungsorganisationen mit Sitz in Pretoria. Anderthalb Tage lang diskutierten Vertreterinnen und Vertreter von rund zwei Dutzend Organisationen darüber, wie die Entwicklungsarbeit zwischen Nord und Süd gleichberechtigter organisiert werden kann, welche Praktiken dafür geändert und welche Denkmuster aufgebrochen werden müssen. Wie nötig eine solche Dekolonisierung ist, zeigte sich schon daran, dass einer der wichtigsten Referenten aus Südafrika nicht teilnehmen konnte, weil ihm die deutsche Botschaft aus nicht nachvollziehbaren Gründen kein Visum ausstellen wollte. 

Das ist kein Einzelfall. Wer den falschen Pass hat und dazu möglicherweise noch eine dunkle Hautfarbe, hat ziemlich schlechte Aussichten, legal nach Deutschland reisen zu können - und hier geht es nicht um Arbeitsmigranten, sondern um Universitätsprofessoren, die für einen Vortrag für ein paar Tage zu uns kommen wollen, oder eben wie vergangene Woche in Berlin um Teilnehmer einer internationalen Konferenz.

Deutschlands Visapolitik ist alles andere als dekolonisiert. Sie ist schlichtweg rassistisch.

Wer ein paar Hunderttausend Euro übrig hat, kann sich natürlich einen Pass kaufen, mit dem man diese Probleme nicht mehr hat - etwa den eines Karibikstaates oder gar des EU-Mitglieds Malta. Etliche Staaten bieten zahlungskräftigen Interessenten die Staatsbürgerschaft an, berichtet Kristin Surak in ihrem Beitrag, in dem sie für uns die wichtigsten Erkenntnisse aus ihrem Buch "The Golden Passport" zusammenfasst: "Papiere für die große Freiheit" - leider halt nur für die, die es sich leisten können.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre - auch dieses Newsletters, der ab heute in neuem Gewand erscheint. Gefällt es Ihnen? Schreiben Sie uns, indem Sie einfach auf diesen Newsletter antworten.

Das bewegt die Redaktion

Keine Probleme, nach Deutschland zu kommen und uns in der Redaktion zu besuchen, hatte diese Woche Margarita Pastene, die seit knapp einem Jahr für uns aus Chile berichtet, wo sie als freie Journalistin lebt und arbeitet. Es tut gut, auch mal den Menschen hinter den Texten zu sehen und mit ihm zu plaudern. Interessant ist es allemal: Margarita, die vor vielen Jahren in Deutschland studiert und bei der Zeitung "Schwäbisches Tagblatt" in Tübingen gearbeitet hat,  hatte einiges zu erzählen aus ihrer Heimat. Das heißeste innenpolitische Thema ist dort derzeit die offenbar in der Kommunalpolitik weit verbreitete Korruption, die ein Team von Journalisten und Journalistinnen aufgedeckt hat. Und ein weiterer Aufreger: die Pressefotos, die den chilenischen Präsidenten Gabriel Boric auf der Ukraine-Friedenskonferenz vor einer Woche in der Schweiz händeschüttelnd und im trauten Zwiegespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj zeigen. Mit Blick auf Russlands Angriffskrieg wünschen sich viele Chileninnen und Chilenen eine ausgewogenere Position ihrer Regierung, hat uns Margarita erzählt.

Neu auf welt-sichten

Wie umgehen mit den Militärregimen im Sahel? Vier Krisenländer in der afrikanischen Region werden inzwischen von Militärs regiert. Einheimische Organisationen der Zivilgesellschaft sind uneins, wie Förderer in Deutschland damit umgehen sollten. Bernd Ludermann berichtet von einer spannenden Tagung.

Noch einmal Dekolonisierung und Nord-Süd-Arbeit: Unter dem Dach von Berlin Global Village sind rund 50 Eine Welt- und migrantische Gruppen aktiv, die auch mit Partnern im globalen Süden arbeiten. Die Einrichtung bekommt nun ein "Dekoloniales Denkzeichen". Was dahinter steckt, erklärt Claudia Mende.

Gerecht sind die Energiepartnerschaften noch nicht. Seit 2021 gibt es zwischen den G7-Staaten und Ländern im globalen Süden Partnerschaften für eine gerechte Energiewende. Doch laut zivilgesellschaftlicher Organisationen herrscht in den Abkommen ein starkes Machtgefälle, berichtet Melanie Kräuter.

Zoff um den Entwicklungsetat: Deutschlands Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe drohen empfindliche Kürzungen. Die Schlappe der Ampelkoalition bei der Europawahl wird das Tauziehen um den Bundeshaushalt noch einmal verschärfen, berichtet Marina Zapf.

Ein Handelskrieg, der dem Klima schadet: Die EU-Kommission hat hohe Zölle auf den Import von Elektroautos aus China verhängt und folgt damit dem Kurs der USA. Das wird den Klimaschutz bremsen und teurer machen, kritisiert Bernd Ludermann.

Noch immer interessant

Auch so manchem Fußballfan hierzulande könnte ein Dekolonisierungstraining nicht schaden, wenn man sich überlegt, dass laut einer ARD-Umfrage jeder fünfte Deutsche mehr "weiße" Spieler in der Nationalmannschaft will. Aber auch bei unseren Kickern blitzt sie immer wieder auf, diese muffige deutsche Überheblichkeit, vor allem wenn sie gewonnen haben. Vor dem Spiel gestern gegen Ungarn warnte Stürmerstar Thomas Müller, nach dem ersten Sieg gegen Schottland dürfe man nun nicht abheben. So wie nach dem 4:0-Sieg bei der WM 2014 gegen Portugal? "Ja, und dann haben wir gegen Ghana 2:2 gespielt", sagt Müller im Interview - und das klingt dann schon ein wenig wie: Wir waren so berauscht vom Kantersieg gegen Portugal, dass wir im nächsten Spiel nicht einmal gegen diese Luschen aus Afrika gewonnen haben. Dabei weiß selbst ein Fußballmuffel wie ich, dass die größten Ballkünstler afrikanische Wurzeln haben. Wie in Westafrika junge Männer sich ganz dem Fußball verschreiben und von der großen Karriere träumen, hat vor zwei Jahren Ikechukwu Ejekwumadu für uns aufgeschrieben. Immer noch lesenswert.

Medienschau: Was andere berichten

Kein EU-Geld mehr für das AKP-Büro? Die EU-Kommission hat offenbar gedroht, sie werde das Sekretariat der Organisation Afrikanischer, Karibischer und Pazifischer Staaten (OAKPS) nicht mehr finanzieren, wenn dort nicht besser gewirtschaftet werde, berichtet "Devex".

Haiti retten ohne die Haitianer? Der Start der internationalen Polizeimission gegen die Bandengewalt auf der Karibikinsel steht kurz bevor: Die kenianischen Polizisten, die die Mission anführen, sind bereits in der Region, die USA liefern Material. Nur die Bevölkerung wird wieder einmal im Unklaren gelassen, berichtet "Foreign Policy".

Fragwürdiger Naturschutz in Tansania: Die Maasai werden von ihrem Land vertrieben, weil die tansanische Regierung dort einen Nationalpark einrichten will. Und tatsächlich geschieht das wohl vor allem, um der Tourismusindustrie zu gefallen, berichtet die "taz".

Denkfabrik: Was Fachleute sagen

Wie Hilfe Zwietracht sät: Eine Studie aus Sambia zeigt, wie unterschiedliche Arbeitsbedingungen von Gesundheitskräften dazu führen, dass die Bevölkerung internationalen Fachkräften mehr vertraut als einheimischen. Barbara Erbe hat das Papier gelesen.

Nach den SDGs ist vor den SDGs: Die UN-Nachhaltigkeitsziele, etwa die Armut und den Hunger weltweit zu beseitigen, sollen bis zum Jahr 2030 erreicht werden. Das wird nicht klappen. Deshalb schlagen Fachleute jetzt vor, die Frist bis 2050 zu verlängern - und formulieren im Magazin "Nature" die Zwischenschritte bis dahin.

Ausblick: Was demnächst ansteht

Interessiert an Literatur aus Afrika? Dann ist das African Book Festival vom 28. bis 30. Juni in Berlin das richtige für Sie. Dieses Jahr geht es vor allem um Autorinnen und Autoren aus der LGBTQI+-Community und um Literatur, in der Homosexualität und Queerness in Afrika eine Rolle spielen. Informationen gibt es hier.

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